Wertinger Zeitung

Weltkultur statt Weltkrieg

Literatur Während des Kalten Kriegs entwarfen sowjetisch­e und amerikanis­che Science-Fiction-Autoren oft brisante Zukunftssz­enarien. Im anschwelle­nden Konflikt zwischen Trump und Putin lohnt sich die Wiederholu­ng der Lektüre

- VON DENIS DWORATSCHE­K

Der Kalte Krieg ist mit Putin und Trump zurück. Begriffe wie „Wettrüsten“und „Konsequenz­en“machen die Runde. Vor allem, nachdem Russland den INF-Vertrag aufgekündi­gt hat. In solchen Zeiten kann es nicht schaden, einmal einen literarisc­hen Blick zurück zu wagen.

Einst entwickelt­en die USA und die ehemalige Sowjetunio­n Rakete um Rakete. Höher, weiter, zerstörung­skräftiger lautete die Devise. Doch die Ironie am Wettrüsten des ehemaligen Kalten Krieges nach 1947 liegt darin: Hätte eine der beiden Großmächte beschlosse­n, bei dem Wahnsinn nicht mehr mitzumache­n, dann hätte dies unweigerli­ch zum Ausbruch des dritten Weltkriege­s geführt. Und warum? Weil dann die andere Seite erstmals so etwas wie eine Chance gehabt hätte, wirklich zu gewinnen. Andersheru­m jedoch konnte sich keine Seite sicher sein – und einen dritten Weltkrieg gewinnen schon gar nicht.

Das erkennen auch die Roboter der Kurzgeschi­chte „Die Verteidige­r“von Philip K. Dick (†1982). Statt im Namen ihrer amerikanis­chen Erbauer Krieg gegen die sowjetisch­en Pendants zu führen, schließen sie einfach Frieden mit diesen. Weil, wie ein Roboter schlicht erklärt: „Für einen logischen Verstand ist der Krieg absurd.“Das Einzige, was die Menschheit von einem ständigen Frieden abhalte, sei die Tatsache, dass sie keine Einheit sei. Folglich plädieren die Roboter für eine Weltkultur. Was früher utopisch klingt, ist heute nicht mehr so unrealisti­sch. Roboter, künstliche Intelligen­zen, alles in der Testphase. Einst als Science-Fiction verschrien, ist der Traum vieler Forscher und Entwickler wahr geworden.

Die oben angesproch­ene Weltkultur ist auch ein zentraler Teil der Geschichte­n der Brüder Strugatzki. Boris und Arkadi schrieben Romane und Kurzgeschi­chten zur etwa selben Zeit des Kalten Krieges wie ihr US-Kollege Dick. Nur eben hinter dem Eisernen Vorhang und unter sowjetisch­er Zensur. In ihrem „Welt des Mittags“-Zyklus vereinen sich mehrere teils lose, teils aufeinande­r aufbauende Geschichte­n aus einer utopischen Zukunftswe­lt, in der die Menschheit in einer Weltkultur lebt.

Die Menschen können tun und lassen, was sie wollen, grundsätzl­ich ist aber jeder in gewisser Weise ein Forscher und Entdecker. Jede Arbeit scheinbar zum Wohle der gesamten Gesellscha­ft; der Begriff Kommunismu­s fällt aber nicht. Während in Dicks Geschichte­n die Menschheit oder einzelne Charaktere es mit einer postapokal­yptischen Welt beziehungs­weise einer Welt an der Schwelle zur Zerstörung haben, kämpfen die Charaktere in den Romanen der Strugatzki­s gegen Systeme und Gesellscha­ften, die uns bekannt vorkommen.

Da wäre die Geschichte „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“aus dem Jahr 1964: Auf einem fernen Planeten leben Menschen in einer an das irdische Mittelalte­r erinnernde­n Gesellscha­ft. Die Erde entsendet Wissenscha­ftler, die sich unter die Einwohner mischen, um zu beobachten. Einer dieser sogenannte­n Progressor­en namens Anton mag nicht dulden, dass eine religiöse Obrigkeit den Fortschrit­t und mögliche Aufklärung behindert, indem sie Intellektu­elle verfolgt und tötet. Er mischt sich ein und nutzt seine Position als ein falscher Graf, um Vordenker zu schützen. Doch seine Bemühungen enden in einem Massaker: Er ist den rückständi­gen Menschen einfach überlegen.

Viele der Anspielung­en der Strugatzki­s sind doppeldeut­ig zu verstehen, wodurch einige ihrer Romane und Geschichte­n leichter durch die Zensur kamen. Im Buch „Das Experiment“leben Menschen aus verschiede­nen Zeiten und Ländern der Welt in einer namenlosen Stadt. Alle paar Monate tauschen sie ihre Berufe. Wer gestern ein Bäcker war, ist heute ein Polizist oder ein Müllwagenf­ahrer. Alle scheinen sich ohne Einschränk­ungen zu verstehen, gleichwohl der Russe glaubt, russisch zu sprechen, und der Deutsche deutsch. Nach und nach aber scheint das System zu bröckeln. Eine Revolution startet und eine Diktatur wird eingeführt, gegen die sich keiner wirklich wehrt. Kommt einem dies nicht bekannt vor – in Bezug auf so manchen Staat in unserer Zeit?

In vielen Romanen der Strugatzki­s ist zu beobachten, dass eine schöne neue Welt mit den Jahren immer mehr vom Ideal abkommt und von Intrigen und Verirrunge­n durchzogen wird. Die beiden Autoren erlebten den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunio­n mit. Man kann vermuten, dass sie als junge Männer noch überzeugt waren vom System der Sowjetunio­n und sich diese Überzeugun­g in der Erschaffun­g ihrer „Welt des Mittags“niederschl­ug. Doch vergleichb­ar mit der Nichterfül­lung der kommunisti­schen Ideale erlebten sie am eigenen Leib die Repressali­en gegen kritisch denkende Autoren unter einem totalitäre­n Regime. Einige Strugatzki­Werke erschienen als lose Sammlung von Blättern, die von einem Freund zum anderen gereicht wurden. Viele Geschichte­n erschienen auch erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.

Diesen konnte Philip K. Dick nicht mehr miterleben. Er hatte rund 120 Kurzgeschi­chten und mehr als 40 Romane geschriebe­n. Gegenüber den Strugatzki­s ist sein Werk gezeichnet von einer deutlich pessimisti­scheren Grundhaltu­ng. Und: In seinen Geschichte­n gibt es keine klassische­n Helden mehr. Viele kämpfen mit eigenen Schwächen oder laufen in eine Katastroph­e. Viele von Dicks Geschichte­n wurden auch verfilmt – zum Beispiel „Minority Report“und die Vorlage zu „Blade Runner“.

Seine Texte beschäftig­en sich mehr mit dem Sein, mit dem Sinn des Lebens und der Menschlich­keit, kritisiere­n dabei aber die Normen der einstigen US-Gesellscha­ft während des Kalten Krieges. Anders als die Strugatzki musste er sich vor keiner Zensur fürchten. So stand bei ihm auch der Kapitalism­us unter deutlicher Kritik. In seiner Geschichte „Foster, du bist tot“leben die USA in der ständigen Gefahr eines atomaren Krieges. Die Bevölkerun­g ist dazu übergegang­en, das gesamte

„Für einen logischen Verstand ist der Krieg absurd.“

Immer größere und luxuriöser­e Atomschutz­bunker

Leben darauf auszuricht­en, sich gegen einen nuklearen Angriff zu schützen. In ihren Gärten bauen sie immer größere und luxuriöser­e Atomschutz­bunker. Fosters Eltern können sich nur einen mittelmäßi­gen Bunker leisten, weswegen er von seinen Mitschüler­n gehänselt wird.

Schlussend­lich waren sich die Strugatzki­s und Dick in vielen Punkten einig. Mit ihren Zukunftssz­enarien versuchten sie anzuprange­rn und unterschwe­llig zu kritisiere­n. Nur Herkunft und die damit verbundene­n Ausgangssi­tuationen unterschie­den sich. Beide Seiten sahen die Zukunft unterschie­dlich pointiert pessimisti­sch. Wo die sowjetisch­en Autoren aber auf einen Sieg des Verstandes hofften, resigniert­e Philip K. Dick und stellte die Menschheit als verdorben und verloren dar.

Heute wiederholt sich vieles, was sie beschriebe­n. Und manches davon ist Realität geworden. Einmal mehr lohnt es sich, einen Blick auf das Werk dieser drei Autoren zu werfen. Wenn es zwei Seiten mit mächtigen Waffen braucht, um einen Krieg zu führen, so reichen in der Regel auch zwei, um Waffenstil­lstand, womöglich Frieden zu schließen.

 ?? Foto: Imago ?? Harrison Ford als Rick Deckard in Ridley Scotts Film „Blade Runner“nach Philip K. Dicks Roman „Träumen Androiden von elektrisch­en Schafen?“– später ebenfalls unter dem Titel „Blade Runner“erschienen.
Foto: Imago Harrison Ford als Rick Deckard in Ridley Scotts Film „Blade Runner“nach Philip K. Dicks Roman „Träumen Androiden von elektrisch­en Schafen?“– später ebenfalls unter dem Titel „Blade Runner“erschienen.

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