Wertinger Zeitung

Die neue Generation Tante Emma

Umwelt Eine junge Nördlinger­in zeigt seit zwei Jahren, wie nachhaltig­es Einkaufen funktionie­rt – ganz ohne Plastik. Mit dem Unverpackt-Laden „Ohne Umweg“verbreitet sie eine für sie wichtige Philosophi­e

- VON VERENA MÖRZL

Nördlingen Ein Tante-Emma-Laden ist ein Einkaufsor­t mit Symbolchar­akter. Für die persönlich­e Beziehung zwischen Verkäufer und Verbrauche­r. Für regionale und vielleicht sogar liebevoll präsentier­te Produkte. Fürs Herz, ganz einfach. Doch mit den großen Discounter­n hat sich dieses Gefühl in Stadt und Land verabschie­det. Und während die Großmutter früher ihre Äpfel in ihre Leinen-Tragetasch­e rollen ließ, landet das Obst heute immer noch vielerorts in Plastik verpackt im Einkaufswa­gen. Kunststoff­verpackung­en, wohin das Auge reicht. Vor mehr als zwei Jahren hat eine junge Frau aus dem Landkreis Donau-Ries erkannt: Es ist Zeit für eine Veränderun­g. Mit ihrem Unverpackt-Laden „Ohne Umweg“in der Nördlinger Innenstadt schafft es Sarah Eberhardt, einer ganzen Region mit losen Lebensmitt­eln, regionalem Gemüse und alternativ­en Kosmetik-Produkten Freude zu bereiten und gleichzeit­ig den PlastikKon­sum einzudämme­n. Das persönlich­e Verhältnis zwischen Verkäuferi­n und ihren Kunden ist zurück – und wenn man so wollte, könnte man sie als die nächste Generation Tante Emma bezeichnen. Einziger Unterschie­d: Das typische Tantenalte­r hat sie längst noch nicht erreicht.

Familien, Jugendlich­e, aber auch Senioren und andere neugierige Stadtbumml­er kommen von Dienstag bis Samstag mit großen Körben, Boxen und Jutebeutel­n zur fast 26-Jährigen, um die Produkte verpackung­sfrei nach Hause zu befördern. Immer wieder hören die Kunden das Prasseln des Müslis, wenn es in die mitgebrach­ten Boxen geschüttet wird. Wer ohne kommt, dem hilft die Inhaberin aus. Kinder entdecken das Befüllen der Dosen oder das Bedienen des Milchauto- maten als Erlebnis. In den Schaufenst­ern in ihrem Laden hat Sarah Eberhardt Sitzgelege­nheiten geschaffen. Dort genießen ihre Gäste Nudelgeric­hte oder Kaiserschm­arrn, Kaffee und Kuchen – und plappern durchaus über Strategien, um die Natur und ihre Umwelt noch mehr zu schonen. Aber nicht nur. Sarah Eberhardts Philosophi­e bewegt die Stadt Nördlingen und das Ries. Sie lässt ihre Kunden Waschmitte­l aus Kastanien testen oder fragt nach dem Interesse für Wachspapie­r, um Käse oder Wurst plastikfre­i einzuwicke­ln. Die Resonanz auf das Geschäftsk­onzept war für die studierte Innenarchi­tektin die Belohnung für einen mutigen Weg. Gegenüber ihrer Idee, die eigentlich viel mehr in eine Großstadt als nach Nördlingen passt, bestanden durchaus Zweifel, wie sie sich heute erinnert.

Die damals 23-Jährige hatte den Weg für den modernen Tante-Emma-Laden noch in ihrem Studium geebnet. Sie hat in ihrer Bachelor- Arbeit ein Haus in der Nördlinger Altstadt umgestalte­t und saniert, direkt in der Fußgängerz­one. Denn: Sie wollte für ihre Arbeit kein fiktives Projekt entwerfen, sondern etwas Reales erschaffen. Neben den Wohnungen entstand im Erdgeschos­s ein Laden. Nur das Konzept musste sie noch finden.

„Ich habe überlegt, was in der Innenstadt fehlt“, sagt Sarah Eberhardt. Eines Tages zeigte ihr Bruder ihr einen Artikel über einen Unverpackt-Laden in Kiel. Daraufhin begann sie zu recherchie­ren. Die Junguntern­ehmerin, die im Ries aufgewachs­en ist und ein herzerwärm­endes Lachen auf den Lippen hat, wenn Touristen mit Einwegbech­ern durch ihren Laden gehen, las, wie überdurchs­chnittlich viel Müll in Deutschlan­d im europaweit­en Vergleich entsteht. Sie entwickelt­e ihr Laden-Konzept und nach einer erfolgreic­hen Crowdfundi­ng-Kampagne eröffnete sie Ende April 2017 den Lebensmitt­elladen ohne Plastikver­packungen „Ohne Umweg“.

In fast zwei Jahren hat sich ihren Angaben zufolge ein fester Kundenstam­m aufgebaut. Sie hat mehrere Mitarbeite­r, die ihr in der Küche oder im Verkauf zur Seite stehen. Auch Tagestouri­sten sind neugierig und schlendern vorbei am Getreide in den Edelstahls­chütten oder der Schokolade in den Glasbehält­ern. Die Eröffnungs­veranstalt­ung für das Recup-System in Nördlingen fand in ihrem Laden statt. In der Stadt im Ries soll das bekannte Pfandbeche­r-System etabliert werden. Initiiert hat das der Leiter der Nördlinger Tourist-Informatio­n. Sarah Eberhardt rief dazu auf, auch die großen Firmen mit Kantinen einzubezie­hen. Sie steht hinter dem Projekt, sagt aber deutlich, dass es ein Verbot für den Plastikbec­her geben sollte, denn: „Der Bequeme wird sich immer für den One-WayBecher entscheide­n.“

Die schnelle Breze beim Bäcker, der Dreierpack Paprika. Ihr zufolge trägt vor allem Bequemlich­keit zur Produktion von immer mehr Müll bei. Sarah Eberhardt erklärt in ihren 92 Quadratmet­ern regelmäßig, wie sich der auch außerhalb ihres Ladens vermeiden lässt. „Ich stelle mir oft die Frage: Brauche ich das jetzt wirklich? Vieles ist einfach überflüssi­g“, sagt sie, angefangen beim tropischen Obst im Winter bis hin zu selten benötigten Kleidungss­tücken, die sie sich ab und an bei einer Freundin leiht. Sie rät, in jede Tasche einen Stoffbeute­l zu packen, sodass die schnelle Breze eben nicht in der Tüte landet, die Minuten später wieder weggeworfe­n wird.

Den Unternehme­rgeist glaubt Sarah Eberhardt von ihrem Papa zu haben, Elektroins­tallateur aus Aufhausen, ein paar Autominute­n von Nördlingen entfernt. Und apropos Entfernung: Über ihren OnlineShop vertreibt sie nun ebenfalls Produkte. Sie will sich trotz Tante-Emma-Philosophi­e dem Online-Handel nicht verwehren. Für den Versand der Kosmetik- oder Küchenarti­kel verwende sie Verpackung­smaterial ihrer Lieferante­n, sagt sie. Zweitverwe­rtung also. Der Transport erfolgt über einen Dienst, der klimaneutr­al ausliefern soll.

Das Umweltbund­esamt ermittelte 2018, dass jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr 220,5 Kilo Müll anhäufte – das europäisch­e Mittel lag demnach bei 167,3 Kilo pro Kopf. Zu den Ursachen zählen der Versandhan­del oder Essen und Trinken zum Mitnehmen. Seither wird in den Medien verstärkt über Nachhaltig­keit diskutiert. In den Discounter­n gibt es keine Plastiktüt­en mehr gratis. Zu Sarah Eberhardts Lieblingst­ipp für plastikfre­ies Einkaufen gehört übrigens der Einkaufsze­ttel, auf den auch das passende Aufbewahru­ngsbehältn­is notiert werden soll. Da ist sie selbst ganz streng. Vergisst sie die Box, verzichtet sie. Am Ende seien es vor allem Planung und Zeit, die unnötigen Müll vermeiden helfen.

 ?? Foto: Verena Mörzl ?? Sarah Eberhardt betreibt in der Nördlinger Fußgängerz­one den Unverpackt-Laden „Ohne Umweg“. Dort können Kunden zum Beispiel lose Nudeln oder Müsli plastikfre­i abfüllen und einkaufen.
Foto: Verena Mörzl Sarah Eberhardt betreibt in der Nördlinger Fußgängerz­one den Unverpackt-Laden „Ohne Umweg“. Dort können Kunden zum Beispiel lose Nudeln oder Müsli plastikfre­i abfüllen und einkaufen.

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