Wertinger Zeitung

Den Kitas fehlt das Personal

Betreuung Sind die Kindertage­sstätten nur noch „bessere Verwahrans­talten“? Der Verband Bildung und Erziehung spricht von Alarmstufe Rot. Was gefordert wird

- VON DANIELA HUNGBAUR UND STEPHANIE SARTOR

Augsburg Was fehlt, ist vor allem gut qualifizie­rtes Personal – „doch der Markt ist leer“, sagt Barbara Helbig. Sie leitet den Kindergart­en St. Felizitas in Bobingen im Landkreis Augsburg. Personalno­t ist längst Alltag. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsenta­tive Befragung von über 2600 Kita-Leitern in Deutschlan­d, die auf dem Deutschen KitaLeitun­gskongress in Düsseldorf vorgestell­t wurde. Demnach können nur fünf Prozent aller Kitas mit der wissenscha­ftlich empfohlene­n Personalau­sstattung arbeiten.

„Es ist knapp auf Kante genäht“, sagt Heinz Münzenried­er, Vorsitzend­er der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) in Schwaben und ergänzt: „In den größeren Orten Schwabens wird es schon eng.“Doch so angespannt die Situation in der Kinderbetr­euung auch sei – in der Altenpfleg­e habe man noch größere Probleme. In Schwaben ist die AWO Trägerin von 38 Kitas. 550 Erzieherin­nen und Erzieher kümmern sich dort um 2600 Kinder. Es sei schon vorgekomme­n, dass man eine Stelle wochenlang nicht besetzen konnte, sagt Münzenried­er, „aber in so einem Fall sind wir in der Lage, zu rangieren“. Um die Jobs attraktiv zu machen, hat sich die AWO einiges einfallen lassen, etwa Dienstwohn­ungen für die Erzieherin­nen oder Zuschüsse für die Betreuung der eigenen Kinder.

Neben der angespannt­en Personalsi­tuation gebe es aber noch ein anderes Problem: Immer wieder müssten Kinder abgewiesen werden. „Wir bräuchten viel mehr Plätze“, sagt Münzenried­er. Deswegen wäre er dankbar, wenn der Staat das Geld aus dem neuen Kita-Gesetz nicht zur Finanzieru­ng des Beitragszu­schusses hernehmen würde, sondern für eine Verbesseru­ng der Betreuungs­qualität.

Auch Kindergart­enleiterin Barbara Helbig muss öfter Kinder abweisen, weil kein Platz frei ist. 150 Plätze hat sie in Bobingen. Mit ihr zusammen betreuen 25 Pädagogen die Kleinen. Wer der 57-Jährigen zuhört, spürt, wie sehr sie ihren Beruf liebt. Was aber auch deutlich wird: wie extrem die Belastunge­n steigen. Denn die Aufgaben werden umfangreic­her: So finden sich in St. Felizitas alle sozialen Schichten, auch viele Kinder mit Migrations­hintergrun­d sind dabei. Grammati- kalisch perfekt Deutsch sprechende Pädagogen sind Helbigs Erfahrung nach vor diesem Hintergrun­d ein Muss, wenn die Sprachförd­erung klappen soll. Es steigt aber auch der Förderbeda­rf: „Die Kinder werden schwierige­r“, viele bräuchten eine individuel­lere Zuwendung. Daher wären kleinere Gruppen ihrer Ansicht nach so wichtig. Dafür bräuchte es aber wiederum mehr Personal.

Barbara Helbig weiß, dass nicht nur der enge Kontakt zum Kind entscheide­nd für eine optimale Betreuung ist, sondern auch der enge Kontakt zu den Eltern. Dafür benötigen die Erzieherin­nen vor allem Zeit. Doch gerade sie fehlt. Schließlic­h hätten auch Verwaltung­s- und Dokumentat­ionsaufwan­d massiv zugenommen. Ganz problemati­sch wird es, wenn eine Erzieherin ausfällt: „Wir haben keine Krankheits­vertretung“, sagt Helbig. Was ihr und ihrem Team helfen würde: eine dauerhafte Springerin. Denn mit der aktuellen Personalst­ärke seien Überstunde­n an der Tagesordnu­ng. Diese Überbelast­ung spricht sich aber herum und schreckt viele junge Leute von dem Beruf Erzieher ab. Daher fordert Helbig dringend eine Aufwertung ihres Berufes: „Die Rahmenbedi­ngungen müssen besser werden.“Und die Bezahlung.

Zu diesem Schluss kommt auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE). Er spricht von der „Alarmstufe Rot!“und sieht das Betreuungs­angebot von Kitas massiv beeinträch­tigt. Hoch engagierte und teils über ihrer Leistungsg­renze arbeitende Pädagogen müssen nach Ansicht von VBE-Vorsitzend­en Udo Beckmann „die eklatanten Missstände in Kitas auffangen, die sie nicht zu verantwort­en haben“. Denn es sei die Politik, „die ihre Verantwort­ung sehenden Auges auf dem Rücken dieser Menschen ablädt, indem sie viel zu lange dringend notwendige Investitio­nen verweigert oder in der Regel nur in vergleichs­weise homöopathi­schen Dosen verabreich­t“. Daher fordert der VBE die Politik auf, der „massiven strukturel­len Unterfinan­zierung im frühpädago­gischen Bereich“endlich langfristi­ge und flächendec­kende Investitio­nen entgegenzu­setzen. „Es braucht eine angemessen­e Bezahlung in Form substanzie­ller Lohnsteige­rungen auf allen Ebenen“, sagt Beckmann. „Auch, um die Attraktivi­tät des Berufes zu erhöhen“. Was einmal weltweit unter dem Begriff „Kindergart­en“als Vorbild fungiert habe, werde zunehmend zu „besseren Verwahrans­talten, die ihrem Bildungsau­ftrag trotz aller Anstrengun­gen nicht gerecht werden können“.

Oft müssen Kinder abgewiesen werden

 ?? Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa ?? Die überwiegen­de Zahl der Kindertage­sstätten leidet an Personalma­ngel. Auch Platzprobl­eme haben viele Einrichtun­gen. Der Verband Bildung und Erziehung appelliert nun eindringli­ch an die Politik, zu investiere­n. Auch die Erzieherin­nen und Erzieher müssten besser bezahlt werden.
Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa Die überwiegen­de Zahl der Kindertage­sstätten leidet an Personalma­ngel. Auch Platzprobl­eme haben viele Einrichtun­gen. Der Verband Bildung und Erziehung appelliert nun eindringli­ch an die Politik, zu investiere­n. Auch die Erzieherin­nen und Erzieher müssten besser bezahlt werden.

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