Wertinger Zeitung

Versteckt im Wald liegt das KZ

Kunst Luc Tuymans ruft die Geschichte eines Konzentrat­ionslagers ins Gedächtnis zurück

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Venedig Das Werk ist aus edlem Marmor und bildet Bäume ab. Hinter der gefälligen Ästhetik verbirgt sich jedoch eine grausame Wirklichke­it. „Schwarzhei­de“, so der Titel des riesigen Bodenmosai­ks, bezieht sich auf eine Zeichnung des Holocaust-Überlebend­en Alfred Kantor. Es bildet einen Wald ab, der einst das gleichnami­ge Außenlager des KZ Sachsenhau­sen versteckte. Das monumental­e Werk hat Luc Tuymans eigens für seine erste Retrospekt­ive in Italien in Venedig erschaffen lassen. Unter dem Titel „Die Haut“sind über 80 Werke des belgischen Stars und DocumentaK­ünstlers im Palazzo Grassi zu sehen, der jährlich einem bedeutende­n Namen der Gegenwarts­kunst eine Werkschau widmet.

In Tuymans ist diesmal nicht nur einer der weltweit bekanntest­en Maler seiner Generation zu sehen, sondern auch einer der politischs­ten. Der 61-Jährige interpreti­ert seit Jahren brisante Geschichte. Im Kontext eines aufkommend­en Rechtspopu­lismus in Europa hat sich der gebürtige Flame mit dieser Retrospekt­ive mehr denn je der Aktualität verschrieb­en. „Schwarzhei­de“ist das erste Werk, auf das Besucher in der bis Anfang 2020 dauernden Schau stoßen. Tuymans lehnt seine Arbeit nicht an eine Darstellun­g der Folterszen­en an, die der 2003 gestorbene Kantor hinterlass­en hat. Man könne ein solches Grauen gar nicht in seiner Gesamtheit darstellen, sagt er dazu. Deshalb geht es in seinen Arbeiten immer auch um das Nicht-Gesagte, um das, was sich hinter dem Bild versteckt. Zu seinen jüngsten Werken, in denen er in Venedig den Nationalso­zialismus kommentier­t, gehört auch „Toter Gang“. Auf dem 2018 entstanden­en Bild ist eine Eisentür in kühlen Farben abgebildet. Sie stellt den Zugang zum Luftschutz­bunker von Adolf Hitler am Obersalzbe­rg dar.

Die Erinnerung an die NS-Herrschaft und deren Gräueltate­n ist ein immer wiederkehr­endes Thema im Gesamtwerk von Tuymans. Schon in den 80er Jahren schuf er Bilder wie „Die Gaskammer“und „Unser neues Quartier“. Im Jahr 1986 hat er auch erstmals „Schwarzhei­de“gemalt, ein eher mittelgroß­es Bild. In Venedig ist die Arbeit, die aus rund 200000 Mosaiken besteht, nun um das Zehnfache vergrößert. Tuymans ist in eine Stadt zurückgeke­hrt, in der er 2001 auf der Kunstbienn­ale mit seiner Geschichts­aufarbeitu­ng für Schlagzeil­en sorgte. Er hatte mit einem Zyklus auf die blutige Vergangenh­eit Belgiens im ehemaligen Kolonialla­nd Kongo verwiesen. Der damalige belgische König Albert II. sagte aus Empörung seinen Besuch ab. Sabine Glaubitz, dpa

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Foto: S. Glaubitz, dpa Gefällige Anmutung, grausame Wirklichke­it: das Mosaik „Schwarzhei­de“von Luc Tuymans.

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