Wertinger Zeitung

In ihrer Welt war alles Gold

Prozess Abendessen für tausende Euro, Privatjets, Designerkl­eider: Anna S. gönnte sich alles. Jetzt steht sie vor Gericht – überführt als fast perfekte Hochstaple­rin. Das ist ihre unglaublic­he Geschichte

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New York Anna Delvey beim Hummeresse­n. Anna Delvey, wie sie sich in Hotelbette­n rekelt. Wie sie sich Kleider maßschneid­ern lässt. Wer sich auf dem Instagram-Profil der 28-Jährigen umsieht, bekommt Einblick in ein Luxusleben. Doch Anna Delvey hat lange nichts mehr gepostet. Sie sitzt in Haft, ihr Leben mutmaßlich nichts als Lügen. Auch ihr Nachname war erfunden.

Vor Gericht in New York sitzt sie mit ihrem wahren Namen, Anna S. Von der Frau mit den Luxusklamo­tten und dem perfekten Make-up ist nicht mehr viel übrig. Kaum geschminkt und mit stumpfem Haar sitzt sie auf der Anklageban­k. Ihr drohen jahrelange Haft – und eine eigene Netflix-Serie.

Die Geschichte der jungen Frau, die das New York Magazine im Mai 2018 aufdeckte, liest sich wie das Abschlussk­apitel im Meisterkur­s für Trickbetrü­ger. Mit einer Kombinatio­n aus Lügen, selbstsich­erem Auftreten, gefälschte­n Dokumenten und Ausreden soll sie Bekannte, Hotels und Banken reihenweis­e hinters Licht geführt haben. „Sie hatte nie vor, dieses Geld jemals zurückzah- len“, sagte Staatsanwä­ltin Kaegan Mays-Williams in ihrem Eröffnungs­plädoyer. Verteidige­r Todd Spodek gab an, dass S. das Geld nie habe stehlen wollen. Sie habe nach den Regeln einer Gesellscha­ft gespielt, in der Menschen sich selbst vermarkten: „Jeder lügt ein bisschen.“

S. wurde in Russland geboren, zog im Alter von 16 Jahren mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder nach Deutschlan­d und ging in Eschweiler in der Nähe von Köln zur Schule. Sie soll ihre Opfer um mehr als eine Viertelmil­lion Dollar (etwa 240 000 Euro) betrogen haben, gönnte sich Abendessen mit dem Besten vom Besten. Flog in Privatjets. Machte Urlaub in einer Villa in Marokko für 7000 Dollar pro Nacht. Glaubt man Berichten über den Lebensstil von Anna S., hält man sie tatsächlic­h für das, was sie vorzugeben schien: für eine schwerreic­he Erbin mit Treuhandfo­nds im Rücken. Der Haken war nur: Den Fonds gab es nicht, Anna S. zahlte ihre Rechnungen nicht. Laut Staatsanwa­ltschaft fälschte sie Schecks und legte bei Banken gefälschte Unterlagen vor, um sich einen Kredit über 22 Millionen Dollar (20 Millionen Euro) zu sichern. Sie gab an, im Ausland über mindestens 60 Millionen Euro zu verfügen. „Sie hatte ein engelhafte­s Gesicht mit blauen Augen und Schmollmun­d“, schreibt Fotoredakt­eurin Rachel Deloache Williams vom Magazin Vanity Fair, die S. um 62 000 Dollar (55000 Euro) betrogen haben soll. Ihr Kleidungss­til war ein Mix aus Designerst­ücken, die für Mitglieder der New Yorker Luxusszene zum kleinen Einmaleins gehören, und die S. teilweise trug wie Billigware. Niemand wusste offenbar, woher diese rothaarige Anna kam oder woher sie all das Bargeld hatte – und in ihrem Schickimic­ki-Freundeskr­eis fragte auch niemand nach.

Inzwischen sitzt sie im berüchtigt­en New Yorker Gefängnis Rikers Island ein. Anna S. wird mehrfacher schwerer Diebstahl vorgeworfe­n, im Fall einer Verurteilu­ng droht ihr eine jahrelange Haft. Unabhängig vom Urteil könnte sie nach Deutschlan­d abgeschobe­n werden, da sie ihr 90 Tage gültiges Visum für die USA nach Angaben der Polizeibeh­örde ICE bereits überzogen hat.

Ob die mutmaßlich­e Betrügerin Reue spürt? Sicher habe sie einige Dinge falsch gemacht, sagte sie dem New York Magazine – „das mindert aber nicht die hundert Dinge, die ich richtig gemacht habe“.

Was klingt wie aus einem Kinostreif­en in der Tradition von Filmen wie „Der talentiert­e Mr Ripley“oder „Catch me if you can“, hat tatsächlic­h schon das Interesse der Produzente­n geweckt. Geplant ist offenbar eine Netflix-Serie. Verantwort­lich dafür soll TV-Produzenti­n Shonda Rhimes sein, die unter anderem „Grey’s Anatomy“produziert­e. Auch Schauspiel­erin und Regisseuri­n Lena Dunham arbeitet Berichten zufolge derzeit an einem Projekt über Anna S. Angeblich nutzt die Angeklagte ihre Kontakte in die High Society selbst aus dem Gefängnis heraus. Gerüchten zufolge bestimmt sie darüber mit, wer ihre Rolle in der Verfilmung ihres Lebens übernehmen soll.

 ?? Fotos: Georg Fischer, Richard Drew, dpa ?? Sie gehörte zur High Society, sah von ihrem Bett aus auf die Skyline der New Yorker Wolkenkrat­zer und genoss Hummer auf den exklusivst­en Partys. Jetzt fristet Anna S. ihre Tage in einer einsamen Zelle.
Fotos: Georg Fischer, Richard Drew, dpa Sie gehörte zur High Society, sah von ihrem Bett aus auf die Skyline der New Yorker Wolkenkrat­zer und genoss Hummer auf den exklusivst­en Partys. Jetzt fristet Anna S. ihre Tage in einer einsamen Zelle.
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Anna S.

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