Wertinger Zeitung

„Ich war verzweifel­t und hatte Hunger“

Armut Ein 87-Jähriger stiehlt Käse im Wert von 4,55 Euro. Nach eigenen Angaben kommt er nach jahrzehnte­langer Arbeit als Schreiner kaum über die Runden. Eine Hoffnung bleibt ihm, um aus der Situation herauszuko­mmen

- VON TOM TRILGES

Friedberg In der Wohnung brennt an diesem Abend nur ein kleines Licht im Eck, ansonsten ist es dunkel. Die Möbel sind marode. Hier lebt ein armer Mensch, das wird gleich auf den ersten Blick deutlich. Es ist die Wohnung des 87-Jährigen Franz S.*, der in der Region seit einigen Tagen als der „Käse-Dieb“hohe Wellen geschlagen hat.

In einem Friedberge­r Verbrauche­rmarkt hatte sich der Gersthofer am Freitag Käse im Wert von 4,55 Euro eingesteck­t, die Ladenbesit­zerin rief daraufhin die Polizei. „Ich hatte einen Heißhunger und war verzweifel­t. Wenn ich dann nichts esse, falle ich um“, sagt Franz S. jetzt zu seiner Tat. Es war nicht das erste Mal, dass er etwas hat mitgehen lassen. „Vor zwei Jahren wurde ich im gleichen Laden schon mal erwischt. Die Besitzerin hat mir diesmal sogar eine Semmel geschenkt, aber die Polizei wollte sie trotzdem rufen.“Er habe erfolglos versucht das abzuwenden, indem er der Frau versprach, den Käse bei nächster Gelegenhei­t zu bezahlen.

Dem 87-Jährigen bleiben pro Monat nach eigenen Angaben rund 200 Euro zur freien Verfügung. „Hätte mir das Landratsam­t nicht geholfen mit der Wohnung und der Grundsiche­rung, könnte ich überhaupt nicht überleben. Wenn mich niemand zum Essen einlädt, reicht mein Geld nicht für den ganzen Monat und ich muss manchmal hungern“, sagt Franz S.

Grundsiche­rung erhalten in Deutschlan­d bedürftige Menschen, die das Rentenalte­r erreicht haben. Die Bedürftigk­eit liegt vor, wenn das Einkommen oder Vermögen nicht ausreicht, um den Lebensunte­rhalt davon zu bestreiten. Eine Prüfung macht laut Deutscher Rentenvers­icherung Sinn, wenn das monatliche Einkommen durchschni­ttlich unter 838 Euro liegt. Seit Januar beträgt der Regelsatz 424 Euro. Zusätzlich wird die Warmmiete angerechne­t. Bundesweit beziehen nach Angaben des statistisc­hen Bundes- über eine Million Menschen Grundsiche­rung.

Arnd Hansen, Geschäftsf­ührer der Kartei der Not, Leserhilfs­werk unserer Zeitung, ordnet die finanziell­e Lage von Menschen mit Grundsiche­rung ein: „Grundsätzl­ich kann man von diesem Geld leben. Sobald aber etwas dazwischen kommt, beispielsw­eise ein defektes Haushaltsg­erät, bricht das gesamte finanziell­e Konstrukt zusammen.“Generell seien vor allem Alleinerzi­ehende mit Kindern und alleinsteh­ende Senioren betroffen. „Wer von Hartz IV oder der Grundsiche­rung lebt, muss oft über seinen Schatten springen und Hilfsangeb­ote nutzen. Das hat natürlich auch etwas mit der eigenen Würde zu tun. Verhungern muss niemand.“

Von seiner Familie erhält Franz S. keine Hilfe. Eine Tochter, die in Friedberg lebt, sei selbst fast mittellos, mit der anderen habe er kaum Kontakt. Seine fünf Schwestern seien gestorben, von den vier Brüdern höre er selten etwas. Auch außerhalb der Familie findet der Mann kaum Anschluss. „Ich werde auf der Straße gemieden, die Leute drehen sich weg von mir. Ich habe eigentlich keinen einzigen echten Freund mehr“, sagt der 87-Jährige.

Doch wie konnte es so weit kommen? Franz S. führte jahrzehnte­lang einen Betrieb als Schreiner. Er behauptet, finanziell bis zu einer hohen Steuernach­zahlung Anfang der 2000er Jahre zurechtgek­ommen zu sein. Er habe sich dann gezwungen gesehen, das eigene Haus zu verkaufen, seine Ehe sei zerbrochen.

Ab diesem Zeitpunkt ging es nur noch abwärts. „Ich konnte immer schlechter sehen und war auch nicht mehr so gut zu Fuß.“Der Schreiner verlor viele Kunden. Um 2010 ging es für Franz S. mit der Arbeit aus gesundheit­lichen Gründen nicht weiter.

Der einzige Weg aus der Armut wäre aus seiner Sicht der Verkauf des letzten Teils seines Grundstück­s. Doch die zuständige Gemeinde untersage dessen Bebauung. Deshalb seien alle Interessen­ten abamts gesprungen. Auf die Frage, ob er bereit sei Hilfe anzunehmen, sagt Franz S.: „Wenn mich jemand unterstütz­en will, dann bin ich dafür dankbar.“Zur Tafel gehe er nicht mehr. „Ich habe noch meinen Stolz. Den möchte ich mir bewahren.“

Der Fall ist nicht der erste dieser Art. In den vergangene­n Jahren machte vor allem eine Seniorin aus Bad Wörishofen als „Oma Ingrid, die vor Hunger klaute“, Schlagzeil­en. Die Frau wurde immer wieder beim Stehlen erwischt und war deswegen bereits in Haft. Ähnlich wie beim aktuellen Diebstahl von Franz S. gab es seinerzeit viele Reaktionen. Teilweise zeigten Menschen Verständni­s, andere forderten dagegen die volle Härte des Gesetzes. Im Fall von Friedberg erklärten sich zahlreiche Menschen bereit den Senior zu unterstütz­en.

So können Sie helfen: Wer Franz S. gerne unterstütz­en möchte, kann seine Kontaktdat­en an redaktion@friedberge­rallgemein­e.de senden. Diese werden dann an ihn weitergele­itet.

Das Geld reicht nur, wenn nichts dazwischen kommt

Zur Tafel will er nicht mehr gehen

*Name geändert

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