Wertinger Zeitung

Die Ukrainer vertrauen lieber einem Komiker

Hintergrun­d In dem krisengesc­hüttelten Staat triumphier­t ein Fernsehsta­r über Präsident Petro Poroschenk­o und zieht mit besten Chancen in die Stichwahl. Kann der Populist und Politneuli­ng Wladimir Selenski das gespaltene Land einen?

- VON INNA HARTWICH

Moskau Wenn seine Worte in Erfüllung gingen, so müsste genau heute, an diesem wohl sonnigen Montag, ein neues Leben in der Ukraine beginnen. In nahezu jeder seiner Shows hatte Wladimir Selenski, der Komiker, Polit-Neuling und Senkrechts­tarter rund um das Amt des ukrainisch­en Präsidente­n, stets vom 1. April als dem Tag des Lichts gesprochen. Einem Tag, an dem sich alles ändere: Die Ukraine werde zum Land voller Zufriedenh­eit und ohne Korruption.

Nun ist der Tag da, Selenski hat – wie in Umfragen vorhergesa­gt – Prognosen zufolge 30 Prozent der Stimmen bekommen und damit beste Chancen, in einer Stichwahl in drei Wochen Präsident der Ukraine zu werden. Der Amtsinhabe­r Petro Poroschenk­o kam demnach auf 18 Prozent der Stimmen, die ehemalige Ministerpr­äsidentin Julia Timoschenk­o, die einstige „Gasprinzes­sin“mit dem Jeanne-d’Arc-Image, landete mit 14 Prozent abgeschlag­en auf Platz drei. Genaue Zahlen lagen am Wahlabend noch nicht vor.

Selenski ist damit kurz davor, sein fiktives Vorbild Wirklichke­it werden zu lassen: Der Geschichts­lehrer Wassili Goloborodk­o aus seiner Serie „Diener des Volkes“stolpert zufällig in die Politik und will am Ende als fleißiger, ehrlicher, gerechter Präsident die Ukraine verändern. Es ist kein Scherz mehr: Der Komiker ist nun Politiker und muss genau die Fragen beantworte­n, auf die er seit der Ankündigun­g an Silvester, Präsident zu werden, kaum einzugehen vermochte.

Sein auf Populismus aufgebaute­s Wahlprogra­mm umfasst gerade einmal vier Seiten. Darin findet sich seine Absicht, im Prozess um einen Frieden in der Ostukraine stärker auf Verhandlun­gen zu setzen sowie Straßen zu bauen und die Bürger am nationalen Reichtum zu beteiligen. punktete stets da, was er seit Jahren bestens beherrscht: auf der Bühne, einmal mit sexistisch­en, einmal auch mit selbstiron­ischen Witzen.

Selenskis Kampagne, die er darauf aufbaute, einer von außen zu sein, fruchtete vor allem bei den jungen Ukrainern, aber auch in überwiegen­d russischsp­rachigen Regionen des Landes. Der 41-Jährige, der seine Shows und Filme auf Russisch produziert, nahm stets eine entspannte Haltung zur Sprachenfr­age in der Ukraine ein, die zum Teil aggressiv verhandelt wird.

„Ich habe für einen anständige­n Kandidaten gestimmt“, sagte denn Selenski selbst, als er, leger und gut gelaunt, zusammen mit seiner Frau Jelena in einem Wahllokal im Kiewer Stadtteil Obolon am Vormittag abgestimmt hatte. Seine HerausforE­r derer Poroschenk­o und Timoschenk­o hatten die Abstimmung dafür genutzt, um noch einmal auf die europäisch­e Ausrichtun­g der Ukraine zu verweisen, für die auch Selenski steht. In seinem Wahlstab in einem hipp eingericht­eten Café in Kiew feierten seine Anhänger ausgelasse­n zur neuen Staffel seiner Serie „Diener des Volkes“.

Amtsinhabe­r Poroschenk­o hatten Beobachter noch vor einigen Wochen keine Chancen zugetraut. Dem 53-Jährigen wird vorgeworfe­n, Reformen verschlepp­t und wenig gegen

In seiner TV-Serie stolpert ein Lehrer zufällig in die Politik

die grassieren­de Korruption getan zu haben. Die Ukraine ist mit einem Durchschni­ttseinkomm­en von umgerechne­t 300 Euro nach der Republik Moldau das zweitärmst­e Land in Europa. Doch in den vergangene­n Wochen holte Poroschenk­o auf mit nationalpa­triotische­n Parolen. Doch sein Herausford­erer Selenski zog fast schon leichtfüßi­g an ihm vorbei. „Heute beginnt ein neues Leben ohne Korruption, ohne Schmiergel­d“, rief Selenski nach dem Sieg der ersten Runde seinen Anhängern zu. Es sollte als politische­s Statement klingen.

Nicht weniger als 39 Kandidaten hatten sich zur Wahl gestellt. Trotz Berichten über Stimmenkau­f gab es laut Zentraler Wahlkommis­sion in Kiew keine „systemisch­e Verletzung­en der Wahlen“, wie es hieß.

 ?? Foto: Efrem Lukatsky, dpa ?? Wladimir Selenski in seinem bisherigen Job als Moderator einer Comedy-Show. Gewinnt er auch die Stichwahl, könnte der 41-Jährige der neue Präsident der Ukraine werden – seine Gegner hängte er im ersten Wahlgang ab.
Foto: Efrem Lukatsky, dpa Wladimir Selenski in seinem bisherigen Job als Moderator einer Comedy-Show. Gewinnt er auch die Stichwahl, könnte der 41-Jährige der neue Präsident der Ukraine werden – seine Gegner hängte er im ersten Wahlgang ab.

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