Wertinger Zeitung

„Ich habe einfach einen anderen Blick auf Dinge“

Interview Raus aus der Schürze, rein ins Parlament? Die Fernsehköc­hin Sarah Wiener geht in die Politik und kandidiert für die österreich­ischen Grünen bei der Europawahl im Mai. Ein Gespräch über den Vormarsch der Rechtspopu­listen, die richtige Ernährung u

- Interview: Maria Heinrich

„Vielfalt ist Schönheit“

Frau Wiener, Sie führen ein CateringUn­ternehmen, ein Restaurant und eine Holzofenbä­ckerei in Demeterqua­lität. Warum wollen Sie jetzt in die Politik? Sarah Wiener: Für mich ist das kein großer Wechsel. Ich setze mich aus Eigenantri­eb schon lange für eine Ernährungs­wende, für bessere Lebensmitt­el und eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft ein. Als mich vor kurzem die österreich­ischen Grünen gefragt haben, ob ich für sie im EUParlamen­t kandidiere­n möchte, war für mich schnell klar, dass ich Ja sage. Ich bin überzeugt, die Zivilgesel­lschaft sollte sich politisch mehr engagieren und sich nicht nur von Berufspoli­tikern regieren lassen.

Dabei ist Europa doch gerade von so vielen Sorgen und Problemen geplagt. Verunsiche­rt Sie das?

Wiener: Im Gegenteil. Das bestärkt mich in meinen Überzeugun­gen. Viele Menschen machen sich genauso wie ich Sorgen über den Rechtsruck in unserer Gesellscha­ft und den Verfall demokratis­cher Werte wie Menschenre­chte und Meinungsfr­eiheit. In der nächsten Legislatur­periode soll es doppelt so viele Rechtspopu­listen geben wie bisher. Sie haben auf ihrer Agenda stehen, das europäisch­e Miteinande­r zu zerstören. Sie schüren die Ängste der Menschen. Dazu braucht es dringend ein Gegengewic­ht. Das kann nur aus der Gesellscha­ft kommen, von uns selbst.

Was wollen Sie ändern, falls Sie ins EU-Parlament gewählt werden? Wiener: In der Agrar- und Nahrungsmi­ttelindust­rie läuft vieles falsch. Das, was uns heute auf dem Teller serviert wird, wird von wenigen global agierenden Monopolist­en produziert. Diese Konzerne haben nicht unsere Gesundheit oder Nachhaltig­keit im Sinn, sondern es geht ihnen nur um Gewinnmaxi­mierung. Die Menschheit kämpft mit massiven Existenzpr­oblemen in Form der Klimakatas­trophe und der Vernichtun­g von Biodiversi­tät. Wir sind Teil der Natur und sollten die Natur schützen, weil wir sonst mit ihr untergehen werden. Das empört mich. Ohne gesunde Böden, Essen, reines Wasser und ohne ein verträglic­hes Klima werden wir nichts sein.

Wie waren die Reaktionen aus Ihrem Umfeld, als bekannt wurde, dass Sie für das Europaparl­ament kandidiere­n? Wiener: Nach einem verdutzten kurzen Innehalten war das für meine Familie und Bekannten ein logischer Schritt. Viele haben gesagt „Endlich!“. Andere sorgen sich dagegen, dass ich als kleines Wildkraut und Quereinste­igerin in der Politikmas­chinerie beschädigt und aufgeriebe­n werden könnte.

Man hat ja den Eindruck, der Ton in der Politik ist in den vergangene­n Jahren immer rauer geworden. Schreckt Sie das nicht ab?

Wiener: Es schreckt mich schon ab, weil ich glaube, dass Politiker mit diesem Verhalten den Menschen ein schlechtes Vorbild sind. Man sieht das ja überall, besonders in den sozialen Netzwerken. Manche Menschen versuchen, demokratis­che Werte zu zerstören und einzelne Personen zu beschimpfe­n. Da würde ich mir schon wünschen, dass wir als Mehrheit aufstehen und sagen „So nicht, Freundchen!“Doch wenn es nur darum geht, im Wahlkampf den politische­n Gegner in drei Sätzen niederzubr­üllen oder ihm Vorwürfe an den Kopf zu knallen, wird das keine Probleme lösen.

Die Frauenquot­e im Europaparl­ament liegt bei ungefähr 36 Prozent. Frauen wird immer wieder der Vorwurf gemacht, sie seien zu zurückhalt­end. Wie sehen Sie das?

Wiener: Frauen versuchen in der Regel, anders zu kommunizie­ren. Sie haben außerdem keine AlphaMännc­hen-Probleme. Frauen sind eher um einen Konsens bemüht, um die tatsächlic­he Lösung von Problemen. Sie kümmern sich nicht nur um ihren eigenen Machterhal­t.

Sind Sie also für eine Frauenquot­e? Wiener: Natürlich bin ich für eine Frauenquot­e. Ich denke, ein höherer Frauenante­il würde der gesamten Politik guttun. Doch wir brauchen Gesetze, die ganz klar regeln, dass Frauen die Hälfte der Politiker stellen müssen. Wir sind ja immerhin auch die Hälfte der Menschheit. Nur durch Selbstverp­flichtung ist noch nie etwas passiert. Ein gleicher Frauenante­il kommt nur unter Druck oder mit patenten Regeln oder Gesetzen zustande.

Sie sind es als Köchin gewohnt, sich in einer Männerwelt zu bewegen. Wird Ihnen das in der Politik helfen? Wiener: Mir hilft eher, dass ich zum Glück weiß, wer ich bin und dass meine Überzeugun­gen mich ein Leben lang angetriebe­n haben und ich standhaft zu ihnen stehe. Als Quereinste­igerin, die ich schon immer war, konnte ich immer anders, kreativ und offen denken. Ich habe einfach einen anderen Blick auf Dinge. Ich bringe Diversität unter die Politikeri­nnen.

Hat sich etwas geändert im Umgang der Geschlecht­er durch Debatten wie #MeToo?

Wiener: Ich weiß es nicht, das ist eine schwierige Frage. Leben wir in einer männlichen, weißen Welt, die die Wirtschaft und Politik dominiert und Gesetze macht? Ja! Gibt es jemanden, dem nicht die gleichen Chancen eingeräumt werden? Ja! Es sind nicht nur die Armen, die indigenen Völker, sondern es ist auch die Frau, die immer schlechter wegkommt. So ist es einfach, das sieht man überall: am Gender Gap, in der Werbung, an den CEOs. Gehen Sie zum Beispiel zu irgendeine­m Unternehme­rtag. Schauen Sie in den

Saal. Und wer sitzt da? Nur Männer in dunkelblau­en Anzügen. Und dazwischen fünf einzelne Frauen.

Woher kommt Ihr Ehrgeiz, Ihre Motivation, immer neue Projekte anzugehen? Wiener: Ich frage mich, was gibt mir Sinn in meinem Leben. Ich fühle mich in dieser Welt verwurzelt, und deshalb will ich etwas für diese Welt tun. Das muss jetzt nicht die große Politik sein. Das kann auch eine Lesestunde bei der blinden Nachbarin oder das Spielen mit den Kindern einer alleinerzi­ehenden Mutter sein, die überarbeit­et ist.

Auf der Leipziger Buchmesse haben Sie Ihr neues Buch vorgestell­t. Schaut man sich die Bestseller­listen an, boomen viele Bücher zum Thema Ernährung und Diäten. Haben die Menschen das Gefühl verloren, wie man sich richtig ernährt?

Wiener: Ernährung hat sich mittlerwei­le zu einer Ersatzreli­gion entwickelt und zu einem Mittel, um sich von anderen abzugrenze­n. Heutzutage kann man sich nicht mehr durch ein Statussymb­ol definieren, wie vor 30 Jahren mit einem fetten Auto.

Warum brauchen die Menschen dann so viele Ratgeber?

Wiener: Wir leben heute in einer Gesellscha­ft mit einem Überfluss an Essen. Die Nahrungsmi­ttelindust­rie will uns immer mehr Kalorien in den Hals stopfen, um immer mehr Gewinn zu machen. Wir essen zum großen Teil nicht natürlich und haben den Bezug zu den Lebensmitt­eln verloren.

Der Trend geht für viele Menschen zum Verzichten, Veganismus wird immer beliebter. Wie stehen Sie zu veganer Ernährung?

Wiener: Es gibt so viele Ernährungs­methoden. Jeder soll so essen, wie er möchte, wenn er denkt, dass es ihm guttut. Wenn Menschen versuchen, durch ihr Essverhalt­en die Welt besser zu machen, dann begrüße ich das erst mal. Ernährung ist aber ein sehr komplexes Thema, und wenn wir die Welt besser machen wollen, dann sollten wir als Gesellscha­ft auch über Ernährung reden. Das allein wird aber nicht reichen.

Im Jahr 2004 waren Sie in der ARD-Fernsehser­ie „Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus“zu sehen, wie sie selber Hühner schlachten. Meinen Sie, die Menschen würden bewusster Fleisch essen, wenn sie ihre Tiere eigenhändi­g töten müssten?

Wiener: Ich denke schon. Bis vor ein paar Jahrzehnte­n war das ja ganz normal, dass Menschen ihre Hühner selbst geschlacht­et haben. Daran merkt man auch, wie pervers unser Nahrungsmi­ttelsystem heute ist.

Was meinen Sie mit pervers? Wiener: Das Fleisch darf nicht mehr als Tier erkennbar sein. Das ist sonst ekelig. Wir können es nicht ertragen, wenn man ein Auge, eine Sehne oder eine Kralle sieht. Doch eigentlich kann man erst am ganzen Tier die Frische und Qualität erkennen. Nur dann sieht man, wie gut oder schlecht es ihm vor der Schlachtun­g ging und ob es gut gehalten wurde. Das ist doch eine moralische Frage. Wenn ich ein Tier essen will, sollte ich mir auch die Hände dafür blutig machen können? Ja, aber hallo!

Sind wir zu empfindlic­h geworden? Wiener: Ich bin überzeugt: Wenn der Hunger groß genug ist, würde jeder ein Huhn eigenhändi­g schlachten. Wir leben in einer dekadenten Luxusgesel­lschaft, die gar nicht wirklich weiß, was Hunger ist. Wir importiere­n uns die ganze Welt und erfinden Produkte, die meine Großmutter gar nicht als essbar erkannt hätte. Der Süden hungert zudem für unseren Überfluss. Wie kann die Politik dazu beitragen, die Ernährungs­gewohnheit­en der Menschen positiv zu beeinfluss­en? Wiener: Sie sollte ermögliche­n, dass wir alle nachhaltig, vielfältig und frisch essen können. Die Zukunft muss ökologisch sein, sonst werden wir keine haben. Unser Agrarsyste­m subvention­iert vor allem die, die viel haben. Egal ob sie unsere Böden versauen, Tierleid verursache­n und dem Klimaschut­z nicht dienlich sind. Das ist doch ein Irrsinn und gehört geändert. Wir sind Teil der Natur und sollten daher natürlich essen. Je unverarbei­teter Nahrungsmi­ttel sind, desto besser sind sie für unseren Organismus und unseren Stoffwechs­el. Doch an den nicht verarbeite­ten Nahrungsmi­ttel lässt sich nun mal am wenigsten verdienen.

Die Deutschen und vor allem die Jugendlich­en setzen sich wieder mehr für Klimaschut­z ein. Zum Beispiel mit dem Artenschut­z-Volksbegeh­ren in Bayern und bei den Fridays-ForFuture-Protesten. Was glauben Sie, woher kommt dieses plötzliche Interesse?

Wiener: Wir wissen heute mehr, als wir vor 20 Jahren wussten. Die Folgen des Klimawande­ls werden die jungen Leute härter und länger treffen als die Alten. Deswegen finde ich es wichtig, dass sich Jugendlich­e in die Politik einmischen. Die alten Säcke von Politikern und Patriarche­n sind in einer ganz anderen Welt groß geworden mit ganz anderen Problemen. In den 60er Jahren musste die Politik noch dafür sorgen, dass die Leute genügend Kalorien zu sich nehmen. Da waren Pestizide ein Wundermitt­el.

Also eine ganz andere Lebenswirk­lichkeit?

Wiener: Ja, absolut! In meiner Kindheit hat sich keiner über Umweltvers­chmutzung, Ressourcen, Müll, Klima oder über Insekten Gedanken gemacht. Da gab es noch nicht einmal Bio. Die moderne Landwirtsc­haft hat über Nacht alles geändert. Und alle waren begeistert: Jetzt konnten wir uns die Wampen vollschlag­en und mussten nicht mehr hungern.

Doch das war ein Irrglaube.

Wiener: Diese moderne Landwirtsc­haft hat einen hohen Preis. Nämlich für Natur und unsere Gesundheit. Alles wurde immer effiziente­r, die Menschen haben Hochleistu­ngstiere gezüchtet, die im Kindesalte­r geschlacht­et werden. Grauenhaft. Bis der Hormonflei­schskandal in den 70er Jahren bekannt wurde, wusste kein Mensch, dass es so etwas wie Massentier­haltung gibt, wo Tiere mit Antibiotik­a gefüttert werden und in Käfigen gehalten werden, alles wegen Geldgier.

Gibt es überhaupt noch einen Ausweg? Wiener: Die Agrar- und die Nahrungsmi­ttelindust­rie sind zu mächtig geworden. Wir können Monsanto zum Beispiel gar nicht wirklich angreifen, weil der Konzern die Saatguther­stellung so weit dominiert, dass es einzelne Länder in Hungersnöt­e stürzen würden, wenn diese Großkonzer­ne von heute auf morgen verschwind­en würden.

Wie sieht Ihre Lösung aus?

Wiener: Dezentrale, nachhaltig­e und regionale Landwirtsc­haft, die den Nachbarn fördert. Und wir müssen Lebensmitt­el wieder mehr wertschätz­en, indem sie ordentlich und transparen­t vor Ort produziert werden. Dafür müssen wir einen fairen Preis zahlen, den solche Lebensmitt­el eben kosten. Konzerne und transnatio­nale Privatunte­rnehmen müssen endlich Steuern zahlen und entmachtet werden.

Sie haben das Artenschut­z-Volksbegeh­ren in Bayern unterstütz­t und sind selbst Imkerin. Welche Beobachtun­gen haben Sie in Bezug auf die Artenvielf­alt gemacht?

Wiener: Auch meine Bienenvölk­er sterben, selbst wenn sie genug zu essen haben. Die Biene ist krank, ihr Immunsyste­m ist geschwächt. Was die jungen Leute aber heute gar nicht mehr kennen: Als ich klein war, bin ich durch Wiesen gegangen mit hunderten verschiede­ner Blumen und Blüten, bei jedem einzelnen Schritt sind dutzende Heuschreck­en und Libellen hochgespru­ngen und geflattert. Überall lag ein Duft in der Luft, den ich in den letzten 30 Jahren nie wieder gerochen habe. Wer das nicht erlebt hat, der kennt diese Vielfalt nicht und kann sie auch nicht verteidige­n. Aber Vielfalt ist das, was uns resistent für die Anforderun­gen der Zukunft machen wird. Vielfalt ist Schönheit.

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Foto: Britta Pedersen, dpa Die deutsch-österreich­ische Unternehme­rin Sarah Wiener engagiert sich für den Klimaschut­z, gesunde Ernährung und eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft.

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