Sind Computer die besseren Diagnostiker?
Forschung Am Klinikum Augsburg setzt man immer mehr auf künstliche Intelligenz, um etwa Haut- und Speiseröhrenkrebs zu erkennen. Ihre Treffsicherheit kann es oftmals mit den Fähigkeiten erfahrener Fachärzte aufnehmen
Augsburg Sitzt einem Patienten im Sprechzimmer bald nur noch ein Roboter gegenüber? Keine Sorge, so weit ist die Technik noch nicht. Und doch spielt künstliche Intelligenz auch in der Medizin eine immer größere Rolle. Insbesondere können selbstlernende Computerprogramme schon jetzt Bildaufnahmen auswerten und dabei helfen, Krebs in frühen Stadien zu entdecken.
Am Klinikum Augsburg setzt man große Hoffnungen auf die maschinellen Assistenten: Dort wird bereits eine spezielle Software zur Früherkennung von Hautkrebs genutzt. „Ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht“, sagt die Dermatologin Prof. Dr. Julia Welzel. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert ein Programm, mit dem sich Vorstufen von Speiseröhrenkrebs leichter aufspüren lassen. Es befindet sich derzeit in der Test- und Aufbauphase. An der Entwicklung dieser Neuerung, die kürzlich auf einem internationalen Kongress in Hongkong vorgestellt wurde, ist der Augsburger Gastroenterologe Prof. Dr. Helmut Messmann maßgeblich beteiligt. „Wir waren weltweit die Ersten, die dazu Daten veröffentlicht haben“, berichtet er.
Um Speiseröhrenkrebs zu erkennen, ist eine Spiegelung nötig. Dazu wird durch den Mund des Patienten ein Schlauch (Endoskop) geführt, an dessen Ende sich eine Kamera befindet, die Bilder aus Speiseröhre und Magen sendet. Entdeckt der Arzt dabei auffällige Veränderungen, kann er eine Gewebeprobe entnehmen, die anschließend im Labor auf Krebszellen untersucht wird. Die Bilder zu interpretieren, ist allerdings auch für erfahrene Internisten nicht einfach. „Krebsvorstufen werden oft nicht richtig erkannt“, sagt Messmann. Hier kann das neue Computerprogramm helfen: Der Internist speiste eine Software, die Informatiker der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg speziell dafür entwickelt hatten, mit mehr als hundert Patientenbildern und den dazugehörigen Informationen. „Dadurch hat der Computer rasch gelernt, was normal und was abnormal ist“, sagt Messmann und fügt hinzu: „Wir haben viele Daten gebraucht. Daher ist es günstig, dass uns hier in Augsburg Patienten aus ganz Deutschland zugewiesen werden.“Den Vergleich mit dem menschlichen Auge bestand das Programm mit Bravour: Es erkannte mehr verdächtige Bilder als erfahrene Ärzte, denen Messmann die Aufnahmen ebenfalls vorlegte. Demnächst soll die Software erweitert werden und auch Videosequenzen auswerten können. „Dadurch wird die Anwendung im Routinebetrieb noch einfacher“, sagt Messmann. Der Computer wird den Arzt aber nicht ersetzen. „Es handelt sich bloß um ein Hilfsmittel. Vergleichbar ist das mit der Einparkhilfe beim Autofahren.“Aber noch ist das Programm nicht auf dem Markt: „Ich rechne damit, dass das noch ein bis zwei Jahre dauern wird.“Dann aber könnte das Produkt die Diagnostik entscheidend verbessern, meint Messmann.
Und das ist auch nötig: Die äußerst gefährliche Krankheit wird hierzulande immer häufiger. „Es handelt sich um die Krebsart, die in Deutschland am rasantesten zunimmt“, sagt der Gastroenterologe. Schuld seien vor allem schlechte Ernährungsgewohnheiten und Übergewicht. Mit rund 7000 Neuerkranpro Jahr ist Speiseröhrenkrebs hierzulande zwar vergleichsweise selten, doch handelt es sich um eine aggressive Krebsart: Wenig mehr als 20 Prozent der Patienten überleben die ersten fünf Jahre nach der Diagnose. Ein großes Problem ist, dass das Karzinom anfangs nur wenig Beschwerden macht und daher oft erst spät festgestellt wird. In frühen Stadien kann man es dagegen effektiv und schonend behandeln. Vor diesem Hintergrund plädiert Messmann dafür, Menschen mit Risikofaktoren – etwa höheres Alter, familiäre Belastung – eine Früherkennungsuntersuchung anzubieten. Innerhalb einer groß angelegten Studie in Bayern soll getestet werden, ob Magenspiegelungen zur Krebsfrüherkennung auch aus gesundheitsökonomischer Sicht nützlich sind. Fällt das Resümee positiv aus, könnten sie eines Tages parallel zur Darmspiegelung zur Vorsorge angeboten werden, wie der Augsburger Experte erklärt. Dabei würde das neue Softwareprogramm Ärzten die Arbeit erleichtern.
Julia Welzel nutzt beim Hautkrebs-Screening bereits seit Jahren ein computergestütztes System, das Bilder, die sie mit dem Auflichtmikroskop von Muttermalen gemacht hat, automatisch auswertet. Mit einer Treffsicherheit, die allenfalls sehr erfahrene Dermatologen erreichen, erkennt das Programm verdächtige Flecken. Erweitert wurde es im vergangenen August durch ein Ganzkörper-Fotografiesystem.
Dabei stellen sich die Patienten nackt auf eine Matte. Ein Fotoapparat, der am Computer befestigt ist, macht Bilder von ihrer Haut, die anschließend auf Auffälligkeiten gekungen
Das Programm erkannte viele verdächtige Bilder
Das letzte Wort hat natürlich trotzdem der Arzt
prüft werden. Besonders hilfreich ist das System, um verdächtige Veränderungen der Male festzustellen, wie Welzel erklärt: Dann nämlich wird die Prozedur genau wiederholt, und der Computer vergleicht die neuen Aufnahmen exakt mit den alten. „Das ist eine große Erleichterung“, sagt die Hautärztin. Vor allem die Patienten profitieren davon: Da sich verdächtige Male wesentlich treffsicherer ausfindig machen lassen, müssen auch deutlich weniger herausgeschnitten werden.
„Der Computer berechnet aber nur, mit welcher Wahrscheinlichkeit es sich um ein Melanom handelt“, sagt Welzel. „Die Entscheidung darüber, wann ein Mal herausgeschnitten wird, liegt beim Arzt.“Dabei müssen nämlich verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Und damit wäre das Programm überfordert. „Das Gerät ersetzt den Dermatologen also nicht!“Außerdem wendet Welzel das Verfahren nur bei Hochrisiko-Patienten an.
Die Hautärztin ist davon überzeugt, dass die Technik bald noch viel mehr kann. „Bereits jetzt gibt es Apps, die verdächtige Muttermale erkennen können“, sagt sie. Noch seien sie unzuverlässig. Doch das könnte sich bald ändern: Dann könnte es zur Regel werden, dass Patienten ihre Leberflecken mit dem Smartphone aufnehmen und von ihm auswerten lassen – und bei Alarm zum Hautarzt gehen.