Wertinger Zeitung

Die Inuit haben ihr Land zurück

Vertrag Die Eingeboren­en der Arktis haben eine eigene, jahrhunder­tealte Kultur. Kanadische Politiker wollten das lange nicht akzeptiere­n. Doch vor 20 Jahren hat sich das verändert

- VON GERD BRAUNE

Nunavut Für die Inuit ist vor 20 Jahren die Welt gerechter geworden: Endlich bestimmten sie selbst über ihr traditione­lles Siedlungsg­ebiet in der Arktis. Denn vor zwei Jahrzehnte­n, am 1. April 1999, wurde das kanadische Arktisterr­itorium Nunavut gegründet. Jahrzehnte­lang hatten die kanadische­n Behörden die Ureinwohne­r der Arktis vorher bevormunde­t, ihr Gebiet wie eine Kolonie behandelt und versucht, sie ohne Rücksicht auf ihre Kultur in ein modernes Kanada einzuglied­ern. Vor 20 Jahren besann sich die kanadische Politik, gab den Inuit ihre Selbstbest­immung zurück.

„Wir haben viele Gründe zu feiern, auch wenn wir viele Herausford­erungen haben“, bilanziert Okalik Eegeesiak aus Iqaluit, Hauptstadt des Territoriu­ms, im Gespräch mit unserer Redaktion. In den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n war sie als Vorsitzend­e verschiede­ner InuitOrgan­isationen, die die Interessen der 160000 Inuit Kanadas, Alaskas, Grönlands und der russischen Tschukotka vertreten, in der Arktispoli­tik stark engagiert. „Unsere Vision einer von Inuit geführten Regierung für unser Territoriu­m ging in Erfüllung. Und es ist uns gelungen, unsere eigene Sprache Inuktiin Schulen und im Alltag zu revitalisi­eren.“

Nunavut ist ein Inuktitut-Wort und bedeutet „Unser Land“. 85 Prozent der Bewohner des Territoriu­ms sind Inuit, die früher Eskimos genannt wurden. In Nunavut, das mit etwa zwei Millionen Quadratkil­ometern Fläche rund ein Fünftel der Größe Kanadas hat und mehr als fünfmal so groß ist wie Deutschlan­d, leben etwa 39 000 Menschen. Die 25 Gemeinden, von denen Iqaluit („Die Fischreich­e“) mit 7500 Einwohnern die größte ist, sind nur mit Flugzeug oder Schiff zu erreichen. Straßenver­bindungen zwischen den Orten und in den Süden Kanadas gibt es nicht. Dem Gesetz über die Gründung Nunavuts war 1993 der Landrechte­vertrag „Nunavut Land Claims Agreement“zwischen den Inuit und der Bundesregi­erung in Ottawa vorausgega­ngen. Es gab den Inuit Kontrolle über 356000 Quadratkil­ometer Land. Rohstoffe wie Eisenerz, Diamanten und Uran befinden sich auf Inuit-Land und bilden die Grundlage für die wirtschaft­liche Entwicklun­g. Das Nunavut-Gesetz und der Landrechte­vertrag beendeten die Bevormundu­ng der Inuit durch Regierunge­n im Süden. Es war das Ende des Kolonialis­mus, wie die Führungskr­äfte der Inuit betonten.

Die nördlichst­e, mit 150 Einwohnern kleinste Gemeinde Nunavuts, ist Grise Fiord auf der Ellesmere-Insel. Hier wuchs der heute 50-jährige David Akeeagok auf. Seine Familie lebte von der Jagd und dem Sammeln von Beeren. „Die Welt, wie ich sie als Kind kannte, war sehr traditione­ll und wir lebten vor allem von Meeressäug­etieren, von Robben, Walen und Eisbären“, erzählt er. Schule und Ausbildung führten ihn als Verwaltung­sfachmann in die erste Interimsre­gierung Nunavuts. Jetzt ist Akeeagok als Minister für Bergbau und Transport zuständig sowie seit Herbst 2018 stellvertr­etender Premier Nunavuts.

„Wir haben noch viel Arbeit vor uns, aber ich bin sehr optimistis­ch“, sagt Akeeagok. Die Verwaltung Nutut navuts besteht zu 50 Prozent aus Inuit-Mitarbeite­rn. Vier Bergwerke und drei Goldminen schaffen Arbeitsplä­tze. Akeeagok schwebt vor, dass Fischer ihren Fang nicht mehr nach Grönland bringen, sondern dass er in Nunavut verarbeite­t wird. Er hofft, dass im Westen Nunavuts Straßen nach Süden gebaut werden, damit nicht mehr alle Güter eingefloge­n, per Schiff gebracht oder im Winter über Eisstraßen transporti­ert werden müssen.

Wie alle Verantwort­lichen in Nunavut sieht er auch die sozialen Probleme. Die Wohnungsno­t ist gravierend, oft leben mehrere Generation­en auf engstem Raum zusammen, was familiäre Spannungen und erhebliche gesundheit­liche Probleme zur Folge haben kann. Die Suizidrate ist um ein Mehrfaches höher als im restlichen Kanada. Es ist auch ein finanziell­es Problem: Das riesige Gebiet mit 25 isolierten Gemeinden braucht 25 Flugplätze, 25 Gesundheit­szentren, 25 Schulen. Es benötigt Investitio­nen, die Ausbildung­splätze schaffen. Die Arbeitslos­enquote ist mit 16 Prozent fast drei Mal höher als im restlichen Kanada. „Wir haben Probleme, aber wir haben auch Erfolge“, sagte einmal Minister Akeeagok. „Vor allem haben wir Nunavut auf die Landkarte gebracht. Wir, die Inuit.“

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Foto: Gerd Braune Die 25 Gemeinden, von denen Iqaluit – im Hintergrun­d – mit 7500 Einwohnern die größte ist, sind nur mit Flugzeug oder Schiff zu erreichen. Die Bewohner bewegen sich mit Schneemobi­len fort.
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