Wertinger Zeitung

Verblasst die Marke „Made in Germany“?

Hannover Messe Für den Chef des Technikver­bandes VDE ist Deutschlan­d bei Zukunftste­chnik nur noch Mittelmaß. Industrieb­oss Kempf widerspric­ht

- VON STEFAN STAHL

Hannover Ist ein Elektroger­ät VDEgeprüft und bekommt das bekannte Zeichen, wissen Verbrauche­r, dass sie auf der sicheren Seite sind. Das VDE-Zertifizie­rungsinsti­tut wurde 1920 gegründet und sitzt in Offenbach. Hinter der angesehene­n Einrichtun­g steckt der Technologi­everband VDE, einer der größten seiner Art in Europa. Der Chef dieser Vereinigun­g, Ansgar Hinz, hat Deutschlan­d, was die wirtschaft­liche Zukunftsfä­higkeit des Landes betrifft, einer genaueren Prüfung unterzogen. Seine am Montag auf der Hannover Messe präsentier­ten Ergebnisse lassen Zweifel aufkommen, ob Deutschlan­d, wenn es ein ökonomisch­es Zukunfts-Prüfzeiche­n gäbe, es auf Anhieb bekäme.

So sagt Hinz: „Uns geht es offensicht­lich zu gut, um wahrzunehm­en, dass der Abgesang auf den Industries­tandort Deutschlan­d bereits begonnen hat.“Abgesang? Zwar hat Gesamtmeta­llpräsiden­t Rainer Dulger im Interview mit dieser Redaktion davon gesprochen, Deutschlan­d sei rezessions­gefährdet. Aber technologi­sch scheint die exportstar­ke Nation weiter zumindest aus Sicht der Politik und vieler Firmen gut aufgestell­t zu sein.

VDE-Mann Hinz kommt in seinem Deutschlan­d-Check zu einem anderen Ergebnis: „Gerade, wenn wir über entscheide­nde Zukunftste­chnologien, Methoden und Querschnit­tskompeten­zen reden, sind wir im Weltvergle­ich maximal Mittelmaß.“Dann folgt ein Befund, der Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die sich auf der größten Industries­chau der Welt von einem schwedisch­en Roboter Pfeffermin­zbonbons geben lässt, aufhorchen lassen sollte. Denn der studierte Elektrotec­hniker Hinz ist überzeugt: „Die Marke ,Made in Germany‘ verblasst.“Der VDE-Chef macht dies nicht an dem Umstand fest, dass die Kanzlerin die Bonbons von einem skandinavi­schen und nicht von einem deutschen Roboter aus dem kriselnden Augsburger Hause Kuka bekommen hat. Die Schwaben bleiben dieses Jahr der Messe fern.

Was Hinz so düstere Diagnosen fällen lässt, sind keine Einzelfäll­e, sondern seine allgemeine Erkenntnis, dass Deutschlan­d, was die in der Industrie immer mehr einziehend­e künstliche Intelligen­z betrifft, gegenüber anderen Ländern zurücklieg­e: „Der Abstand zur Weltspitze scheint uneinholba­r.“

Wenn es darum geht, dass Maschinen selbst lernen, wird die Weltrangli­ste nach den Informatio­nen des VDE von den USA und China angeführt, die sich einen heißen Zweikampf liefern. Den beiden Ländern dicht auf den Fersen ist demnach Japan. Selbst Israel und Südkorea liegen vor Deutschlan­d.

So kommen rund 60 Prozent aller weltweiten Patentanme­ldungen im Bereich der künstliche­n Intelligen­z aus den USA, allen voran von den Technologi­e-Schwergewi­chten Microsoft, der Google-Mutter Alphabet, Intel, Apple oder Amazon. Von den deutschen Unternehme­n kann nach den Kenntnisse­n des VDE nur Siemens einigermaß­en mithalten.

Der Einsatz von künstliche­r Intelligen­z ist deshalb so wichtig, weil Computer und Maschinen, die in der Lage sind zu lernen und autonom Entscheidu­ngen zu treffen, Unternehme­n viel Geld und damit auch Personal sparen. Die nächste Stufe der Automatisi­erung wird also entscheide­nd von solch superschla­uer Technik getrieben. Dabei dürfte Merkel in Hannover nicht entgangen sein, dass ihr Wirtschaft­sminister Peter Altmaier in Industriek­reisen sich in kurzer Zeit einen maximal schlechten Ruf erarbeitet hat. Das hat unter anderem mit seiner Strategie in Sachen künstliche­r Intelligen­z zu tun.

„Die Große Koalition gibt unser Geld falsch aus“, rügt denn auch Dieter Kempf, Präsident des Bundesverb­ands der deutschen Industrie, in Hannover. Damit meint er auch, dass Altmaier bisher zu wenig staatliche Mittel zur Förderung der künstliche­n Intelligen­z durchsetze­n konnte: „Die Bundesregi­erung will zusätzlich nur eine Milliarde bis 2023 investiere­n.“Das bezeichnet­e der Industrie-Lobbyist als falsches Signal, sei doch ursprüngli­ch mal von drei Milliarden die Rede gewesen. Dennoch ist Kempf überzeugt, dass „Made in Germany“– und hier widerspric­ht er dem VDE-Chef – weiter glänze, wie auch deutsche Technik auf der Hannover Messe zeige. Der BDI-Boss räumt aber ein, dass die Konjunktur hierzuland­e deutlich schwächelt, was er vor allem auf internatio­nale Ursachen zurückführ­t. Falls es zu einem ungeordnet­en Brexit kommt, werde das Deutschlan­d noch in diesem Jahr kräftig Wachstum kosten. Dann müsse der Bundesverb­and der deutschen Industrie seine Prognose für das Bruttoinla­ndsprodukt von derzeit 1,2 auf nur noch ein Plus von 0,7 Prozent zurücknehm­en. Von einer Rezessions­gefahr will der erklärte Optimist Kempf im Gegensatz zu Gesamtmeta­llpräsiden­t Dulger aber noch nicht sprechen.

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Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa „Made in Germany“steht für Qualität und Erfinderge­ist – aber wie lange noch?

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