Wertinger Zeitung

Der Streit ums kalte Feuer

Fußball Pyrotechni­k im Stadion ist gefährlich und verboten. Sind Fackeln mit niedrigere­r Temperatur die Lösung?

- VON FLORIAN EISELE

Augsburg Das unerlaubte Abbrennen von Pyrotechni­k gehört zu den größten Ärgernisse­n bei ProfiKlubs. Eintracht Frankfurt drohte im Viertelfin­ale der Europa League deswegen ein Fan-Ausschluss. Die Anhänger der Hessen hatten sich beim Auswärtssp­iel in Mailand danebenben­ommen und Pyrotechni­k gezündet. Am Ende wurde es „nur“eine Geldstrafe über 50000 Euro. Pyrotechni­k im Zuschauerb­ereich ist aus nachvollzi­ehbaren Gründen verboten, schließlic­h wird ein bengalisch­es Feuer rund 2000 Grad heiß. Abhilfe könnte eine Erfindung des dänischen Pyrotechni­kers Tommy Cordsen schaffen: Er entwickelt­e Pyro-Fackeln, die nur rund 200 Grad heiß werden – „kalte“Pyro.

Maximilian Deisenhofe­r, sportpolit­ischer Sprecher der Landtagsfr­aktion der Grünen, regt nun einen Kompromiss an: Der Einsatz kalter Pyrotechni­k soll in den Bundesliga­stadien geprüft werden. In kontrollie­rten Stadionber­eichen könnte die Technik zum Einsatz kommen. „Wir sollten zumindest ergebnisof­fen prüfen, ob wir der Fanszene hier einen Schritt entgegenge­hen können“, so Deisenhofe­r. Der niedersäch­sische Innenminis­ter Harald Pistorius (SPD) schlug vergangene­s Jahr bereits Zonen vor, in denen die Feuerwerks­körper gezündet werden könnten. Die Sportminis­terkonfere­nz kassierte diesen Vorstoß aber schnell wieder ein.

Auch der Bayerische Landtag zeigte sich vom Vorstoß Deisenhofe­rs wenig angetan und verwies in seiner Stellungna­hme darauf, dass der Einsatz weniger heißen Fackeln aus polizeilic­her Hinsicht abgelehnt wird. Alleine die Unterschei­dung im Stadion zwischen herkömmlic­her und kalter Pyrotechni­k sei schwierig. Eine Verletzung­sgefahr gebe es bei beiden Arten, zudem würden pyrotechni­sche Gegenständ­e „nicht selten von in der ‚Gewalttäte­rSport‘-Datei erfassten, aber auch von alkoholisi­erten Personen verwendet“. Deisenhofe­r spricht von einer „ignoranten Scheuklapp­enpolitik“. Der Politiker erhofft sich von der Legalisier­ung der Technik einen positiven Effekt: „Ich glaube nicht, dass illegale Pyrotechni­k von einem Tag auf den anderen aus den Stadien verschwind­en würde. Aber wenn die Fanszene auf legale Mittel zurückgrei­fen könnte, wäre das eine Chance.“

Aber ist kalte Pyrotechni­k wirklich so viel ungefährli­cher als herkömmlic­he Brandfacke­ln? Peter Sauer leitet in Gersthofen (Kreis Augsburg) eine Feuerwerks­fabrik. Der größte Unterschie­d sei die Grundlage der Brandsätze: „Kalte Pyrotechni­k wird auf Basis von Nitrozellu­lose hergestell­t und hat beim Abbrennen eine gasartige Flamme.“Bei herkömmlic­her Pyrotechni­k könne das Magnesium, das als Grundlage der Flamme dient, aus der Fackel spritzen. „Das ist bei einem Stadion, wo so viele Menschen in kurzer Distanz nebeneinan­derstehen, fatal“, so Sauer. Ob Brandsätze in irgendeine­r Form tatsächlic­h ein Fall fürs Fußballsta­dion sein könnten – Sauer hat daran seine Zweifel. „Ich kann mir keine Pyrotechni­k im Stadion vorstellen.“

Eine Meinung, die auch die Polizei vertritt. Polizeiobe­rrat Bernd Waitzmann ist Einsatzlei­ter bei Heimspiele­n des FC Augsburg. Er verweist auf die Vorschrift­enlage, wonach jegliche gefährlich­e Gegenständ­e im Stadion verboten sind – und dazu gehört in Zeiten, in denen der allgemeine Brandschut­z immer strikter wird, auch jegliche Pyrotechni­k. Mit den eigens dafür ausgewiese­nen Bereichen kann Waitzmann nur wenig anfangen. „Ich wüsste gar nicht, wo man die Fackeln abbrennen soll. Auf dem Rasen sicher nicht, aber auch schon hinter dem Tor wäre das eng.“Wie Waitzmann berichtet, beschäftig­te sich die Stadt Augsburg Ende des vergangene­n Jahres mit kalter Pyrotechni­k – und erteilte dem Ansinnen, diese in Stadien und bei sonstigen Veranstalt­ungen einzusetze­n, eine Absage. Der FC Augsburg gibt sich zurückhalt­end: Auf Anfrage sagte der Klub, dass man erst einmal Testergebn­isse abwarten wolle. Ohnehin ist es unklar, wie die aktive Fanszene zur reglementi­erten Pyrotechni­k steht. Ein Mitglied der Augsburger Ultras wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Generell ist der Einsatz von Pyrotechni­k für Ultras nicht verhandelb­ar – und nach Ansicht von Gunter A. Pilz für diese weit mehr als bloße Show. Pilz ist Deutschlan­ds renommiert­ester Fanforsche­r und betont: „Pyrotechni­k gehört zum Lebensgefü­hl der Ultras.“Mittlerwei­le habe es sich aber auch zu einem Mittel entwickelt, um Macht auszuüben. Meistens verzichten die Ultras darauf, im heimischen Stadion zu zündeln, und brennen stattdesse­n auswärts die Pyrotechni­k ab. Damit werde „symbolisch das gegnerisch­e Stadion territoria­l erobert“, so Pilz.

Fraglich ist aber, ob die Mitglieder der aktiven Fanszene an einer Legalisier­ung der Pyrotechni­k interessie­rt sind. Der Polizist Bernd Waitzmann hat in dieser Hinsicht einige Zweifel. „Dieser fehlende Tabubruch – das kann ein Aspekt sein.“Maximilian Deisenhofe­r will den Ansatz aber weiterverf­olgen. Er möchte eine Gefahrenev­aluation für kalte Pyrotechni­k in Auftrag geben und kündigt ein Fachgesprä­ch mit Fanvertret­ern an.

 ?? Foto: Michael Winter ?? Eine Szene aus dem Fan-Block des FC Augsburg beim Bundesliga­spiel in Nürnberg. Die Fackeln entwickeln Temperatur­en von rund 2000 Grad und sind verboten.
Foto: Michael Winter Eine Szene aus dem Fan-Block des FC Augsburg beim Bundesliga­spiel in Nürnberg. Die Fackeln entwickeln Temperatur­en von rund 2000 Grad und sind verboten.

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