Der Streit ums kalte Feuer
Fußball Pyrotechnik im Stadion ist gefährlich und verboten. Sind Fackeln mit niedrigerer Temperatur die Lösung?
Augsburg Das unerlaubte Abbrennen von Pyrotechnik gehört zu den größten Ärgernissen bei ProfiKlubs. Eintracht Frankfurt drohte im Viertelfinale der Europa League deswegen ein Fan-Ausschluss. Die Anhänger der Hessen hatten sich beim Auswärtsspiel in Mailand danebenbenommen und Pyrotechnik gezündet. Am Ende wurde es „nur“eine Geldstrafe über 50000 Euro. Pyrotechnik im Zuschauerbereich ist aus nachvollziehbaren Gründen verboten, schließlich wird ein bengalisches Feuer rund 2000 Grad heiß. Abhilfe könnte eine Erfindung des dänischen Pyrotechnikers Tommy Cordsen schaffen: Er entwickelte Pyro-Fackeln, die nur rund 200 Grad heiß werden – „kalte“Pyro.
Maximilian Deisenhofer, sportpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen, regt nun einen Kompromiss an: Der Einsatz kalter Pyrotechnik soll in den Bundesligastadien geprüft werden. In kontrollierten Stadionbereichen könnte die Technik zum Einsatz kommen. „Wir sollten zumindest ergebnisoffen prüfen, ob wir der Fanszene hier einen Schritt entgegengehen können“, so Deisenhofer. Der niedersächsische Innenminister Harald Pistorius (SPD) schlug vergangenes Jahr bereits Zonen vor, in denen die Feuerwerkskörper gezündet werden könnten. Die Sportministerkonferenz kassierte diesen Vorstoß aber schnell wieder ein.
Auch der Bayerische Landtag zeigte sich vom Vorstoß Deisenhofers wenig angetan und verwies in seiner Stellungnahme darauf, dass der Einsatz weniger heißen Fackeln aus polizeilicher Hinsicht abgelehnt wird. Alleine die Unterscheidung im Stadion zwischen herkömmlicher und kalter Pyrotechnik sei schwierig. Eine Verletzungsgefahr gebe es bei beiden Arten, zudem würden pyrotechnische Gegenstände „nicht selten von in der ‚GewalttäterSport‘-Datei erfassten, aber auch von alkoholisierten Personen verwendet“. Deisenhofer spricht von einer „ignoranten Scheuklappenpolitik“. Der Politiker erhofft sich von der Legalisierung der Technik einen positiven Effekt: „Ich glaube nicht, dass illegale Pyrotechnik von einem Tag auf den anderen aus den Stadien verschwinden würde. Aber wenn die Fanszene auf legale Mittel zurückgreifen könnte, wäre das eine Chance.“
Aber ist kalte Pyrotechnik wirklich so viel ungefährlicher als herkömmliche Brandfackeln? Peter Sauer leitet in Gersthofen (Kreis Augsburg) eine Feuerwerksfabrik. Der größte Unterschied sei die Grundlage der Brandsätze: „Kalte Pyrotechnik wird auf Basis von Nitrozellulose hergestellt und hat beim Abbrennen eine gasartige Flamme.“Bei herkömmlicher Pyrotechnik könne das Magnesium, das als Grundlage der Flamme dient, aus der Fackel spritzen. „Das ist bei einem Stadion, wo so viele Menschen in kurzer Distanz nebeneinanderstehen, fatal“, so Sauer. Ob Brandsätze in irgendeiner Form tatsächlich ein Fall fürs Fußballstadion sein könnten – Sauer hat daran seine Zweifel. „Ich kann mir keine Pyrotechnik im Stadion vorstellen.“
Eine Meinung, die auch die Polizei vertritt. Polizeioberrat Bernd Waitzmann ist Einsatzleiter bei Heimspielen des FC Augsburg. Er verweist auf die Vorschriftenlage, wonach jegliche gefährliche Gegenstände im Stadion verboten sind – und dazu gehört in Zeiten, in denen der allgemeine Brandschutz immer strikter wird, auch jegliche Pyrotechnik. Mit den eigens dafür ausgewiesenen Bereichen kann Waitzmann nur wenig anfangen. „Ich wüsste gar nicht, wo man die Fackeln abbrennen soll. Auf dem Rasen sicher nicht, aber auch schon hinter dem Tor wäre das eng.“Wie Waitzmann berichtet, beschäftigte sich die Stadt Augsburg Ende des vergangenen Jahres mit kalter Pyrotechnik – und erteilte dem Ansinnen, diese in Stadien und bei sonstigen Veranstaltungen einzusetzen, eine Absage. Der FC Augsburg gibt sich zurückhaltend: Auf Anfrage sagte der Klub, dass man erst einmal Testergebnisse abwarten wolle. Ohnehin ist es unklar, wie die aktive Fanszene zur reglementierten Pyrotechnik steht. Ein Mitglied der Augsburger Ultras wollte sich auf Anfrage nicht äußern.
Generell ist der Einsatz von Pyrotechnik für Ultras nicht verhandelbar – und nach Ansicht von Gunter A. Pilz für diese weit mehr als bloße Show. Pilz ist Deutschlands renommiertester Fanforscher und betont: „Pyrotechnik gehört zum Lebensgefühl der Ultras.“Mittlerweile habe es sich aber auch zu einem Mittel entwickelt, um Macht auszuüben. Meistens verzichten die Ultras darauf, im heimischen Stadion zu zündeln, und brennen stattdessen auswärts die Pyrotechnik ab. Damit werde „symbolisch das gegnerische Stadion territorial erobert“, so Pilz.
Fraglich ist aber, ob die Mitglieder der aktiven Fanszene an einer Legalisierung der Pyrotechnik interessiert sind. Der Polizist Bernd Waitzmann hat in dieser Hinsicht einige Zweifel. „Dieser fehlende Tabubruch – das kann ein Aspekt sein.“Maximilian Deisenhofer will den Ansatz aber weiterverfolgen. Er möchte eine Gefahrenevaluation für kalte Pyrotechnik in Auftrag geben und kündigt ein Fachgespräch mit Fanvertretern an.