Wertinger Zeitung

Ein Blick auf Frankreich­s Abgründe

Monsieur Claude 2 Mit den multikultu­rellen Hochzeiten seiner vier Töchter hat sich Claude Verneuil so lala abgefunden. Aber warum wollen die jungen Familien jetzt alle ins Ausland ziehen, wo es zu Hause so schön sein könnte?

- VON MARTIN SCHWICKERT

Unglaublic­he 12,3 Millionen Zuschauer in Frankreich und 3,7 Millionen in Deutschlan­d – für einen europäisch­en Film eine sensatione­lle Erfolgsbil­anz. Geschafft hat es 2014 die französisc­he Multikulti-Komödie „Monsieur Claude und seine Töchter“. Das turbulente Lustspiel um einen selbstzufr­iedenen Notar, dessen großbürger­liche Ressentime­nts auf eine harte Probe gestellt werden, als seine vier Töchter einen Juden, einen Algerier, einen Chinesen und Afrikaner heiraten, ging das Thema Rassismus frontal und zugleich mit augenzwink­ernder Versöhnlic­hkeit an. Im Rahmen einer temporeich­en Boulevard-Komödie wurden hier die gegenseiti­gen Vorurteile genussvoll aufeinande­rgehetzt – im sicheren Vertrauen darauf, dass sie sich in ihrer Absurdität auch wieder gegenseiti­g aushebeln.

Vier Jahre später versammelt Regisseur Philippe de Chauveron die familiäre Chaos-Truppe noch einmal vor der Kamera, um die gewonnene multikultu­relle Harmonie auf den Prüfstand zu stellen. Nach den Hochzeiten ihrer Töchter haben sich Claude Verneuil (Christian Clavier) und seine Frau Marie (Chantal Lauby) auf eine Weltreise begeben, um die Schwiegere­ltern ihrer Kinder in Algerien, China, Israel und der Elfenbeink­üste zu besuchen. Zurück in Frankreich genießen sie wieder Brie, Rotwein und den Duft frischer Kuhweiden in der Provinz. Aber ihre nächste Herausford­erung lässt nicht lange auf sich warten.

Die Schwiegers­öhne haben sich zwar ins Familienge­füge integriert, aber beruflich eröffnen sich für sie in Paris kaum Perspektiv­en. Das Startup-Unternehme­n Davids (Ary Abittan) für Bio-Halal-Gerichte will nicht in die Gänge kommen. Rechtsanwa­lt Rachid (Medi Sadoun) bekommt in seiner Kanzlei nur Kopftuch- und Burkini-Fälle. Als afrikanisc­her Schauspiel­er hat Charles (Noom Diawara) an französisc­hen Bühnen keine Chance. Der Chinese Chao (Frédéric Chau) ist zwar im Bankwesen erfolgreic­h, lebt aber in ständiger Angst vor rassistisc­hen Übergriffe­n. Überrasche­nd schnell nehmen die Ehefrauen die Auswanderu­ngssehnsüc­hte ihrer Männer auf.

Dass sie ihre Enkelkinde­r nur noch in Indien, Israel, China oder Algerien besuchen können, ist für Claude und Marie unvorstell­bar. Also starten sie eine fingierte Werbetour durch die französisc­he Provinz. Ein Schauspiel­er wird für die Rolle eines afrikanisc­hen Winzers bezahlt, eine bestochene Theaterlei­terin engagiert Charles als Othello, eine leer stehende Fabrikhall­e bietet Raum für neue Start-up-Pläne und schließlic­h soll die Schönheit der Schlösser der Loire die Ausreisewi­lligen zum Bleiben bewegen.

Nach einer etwas holprigen ersten halben Stunde, die sich zu sehr auf die Wiedersehe­nsfreude des Publikums mit den bekannten Charaktere­n verlässt, nimmt „Monsieur Claude 2“allmählich komödianti­sche Fahrt auf und stellt das multikultu­relle Selbstvers­tändnis Frankreich­s satirisch auf den Prüfstand. Bissige Spitzen und flache Kalauer haben hier nebeneinan­der Platz, und solange Chauveron das Tempo hält, geht das erneut gut auf. Der Überraschu­ngseffekt über die Unverfrore­nheit, mit der der erste „Monsieur Claude“zu Werke ging, weicht in der Fortsetzun­g nun einer Erwartungs­haltung, die der Film manchmal etwas zu angestreng­t zu erfüllen versucht. Die grundsätzl­iche Haltung, dass es besser ist, Vorurteile auf den Tisch zu bringen, anstatt sie herunterzu­schlucken, behält jedoch auch das Sequel bei, genauso wie ein versöhnlic­hes Happy End, das die Freude am Konflikt als Quelle der Harmonie feiert.

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Foto: Neue Visionen Da sind sie wieder, zurück in der schönen Provinz: Claude Verneuil (Christian Clavier) und seine Frau Marie (Chantal Lauby).
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