Wertinger Zeitung

Prügelei wegen eines Handyfotos

Gericht Ein Mann fotografie­rt einen angebliche­n Hygieneman­gel, dann kommt es zu einer Rangelei. Kurz vor der Verhandlun­g relativier­t der Zeuge dann alles. Die Frage ist: Wer hat angefangen?

- VON JAKOB STADLER

Dillingen Eine Schulklass­e des BonaGymnas­iums ist zu Gast im Dillinger Amtsgerich­t und beobachtet, wie dort Recht gesprochen wird. Was die Schüler erleben, ist ein Fall, der sich in Grundzügen auch auf dem Pausenhof hätte abspielen können: Jemand fotografie­rt etwas mit dem Handy, jemand anderes hat etwas dagegen. Er bekommt das Smartphone in die Hände und es gibt ein Handgemeng­e. In der Schule gäbe es Verweise und Elterngesp­räche. Im Erwachsenl­eben geht es vor Gericht.

Der Angeklagte und der Geschädigt­e, der als Zeuge aussagt, mieten Räume im gleichen Gebäude im Landkreis Dillingen. Der Zeuge hat einen Getränkeha­ndel, der Angeklagte ist Metzger. Eigentlich kommen die beiden gut miteinande­r aus – der 57-jährige Metzger überlässt dem 47-jährigen Getränkehä­ndler kostenlos einen Teil seiner Lagerfläch­e. Aber der Angeklagte berichtet auch von anonymen Anrufen beim Landratsam­t, in denen es – wie er sagt, fälschlich­erweise – hieß, er verletze Hygienevor­schriften. Er verdächtig­t den Zeugen. Der sagt, das Landratsam­t habe sich bei ihm gemeldet und gefragt, ob er etwas von verletzten Vorschrift­en beim Metzger wisse. Der dürfe in dem Gebäude angeblich keine Lebensmitt­el produziere­n.

An einem Tag im Juli 2018 ging der Getränkehä­ndler zum Metzger, wohl um einen Brief der Vermieter zu überbringe­n. Der Angeklagte sagt, er sei einfach hineingega­ngen, der Zeuge behauptet, er habe den Metzger bereits gesehen und der habe gerufen, er komme sofort. Als er in dessen Räumen stand, sah er einen Tumbler, ein Gerät zur Wurstherst­ellung, das in Betrieb war. Weil er an das gedacht habe, was er vom Landratsam­t gehört hatte, zückte sein Handy für ein Beweisfoto. In dem Moment kam der Angeklagte.

Der erklärt vor Gericht: „Wenn Sie heimkommen, und da steht einer und macht Fotos, da sagen Sie auch nicht: Super, mach weiter.“Er stellt aber klar: „Ich war noch nie gewalttäti­g. Obwohl ich Metzger bin“. Da gebe es ja Vorurteile. Unter seinen 26 Vorstrafen findet sich tatsächlic­h keine Gewalttat. Allerdings läuft eine Bewährung wegen Betruges.

Was an dem Julitag genau geschah, da unterschei­den sich die Angaben. Laut dem Angeklagte­n ist der Zeuge über ein Kabel gestolpert, hat sein Handy verloren und er habe es dann genommen. Laut dem Zeugen hat er es ihm entrissen. Dass es zu einer Rangelei kam, bestätigen beide – sagen aber jeweils, sie hätten sich verteidigt. Irgendwie löste sich die Rangelei. Beide Männer gingen telefonier­en. Der Angeklagte rief seinen Anwalt an und fragte, was er tun solle. Der empfahl, das Handy der Polizei zu geben. Die kam ohnehin kurz darauf – weil der Getränkehä­ndler den Notruf gewählt hatte. Also übergab der Metzger das Handy. Der Getränkehä­ndler ging zum Arzt. Dieser bescheinig­te ihm blaue Flecken am Arm und eine aufgeschür­fte Hand. Ursprüngli­ch war von einer Holzlatte die Rede, mit der der Angeklagte zugeschlag­en haben soll. Weil sich vor Gericht niemand an diese „Waffe“erinnert, wird juristisch aus der vermeintli­ch „gefährlich­en“eine „normale“Körperverl­etzung.

Dann ist da noch ein Schreiben des Zeugen, das zwei Wochen vor dem Prozess beim Gericht eingegange­n ist. Er relativier­te die Vorwürfe, schreibt, es seien „lediglich kleinere Handgreifl­ichkeiten“gewesen. Er bat, das Verfahren einzustell­en. „Wir vertragen uns wieder“, sagt er vor Gericht. Er darf weiterhin kostenfrei die Lagerfläch­e des Metzgers nutzen.

Doch für Staatsanwä­ltin Manuela Kaiser ist der Angeklagte schuldig. Sie glaube die Geschichte des Geschädigt­en, wonach der Angeklagte zugeschlag­en habe, sagt sie im Plädoyer. Der Zeuge habe keinen Grund, zu lügen – der Angeklagte schon. Wegen der Vorstrafen plädiert sie auf vier Monate Freiheitss­trafe. Weil er ein „Bewährungs­versager“sei, solle der Mann in Haft.

Verteidige­r Bernd Scharinger sieht „Ungereimth­eiten“in den Zeugenauss­agen. Es sei unklar, woher dessen Verletzung­en kommen. Die Aussagen müsse man gleich gewichten – wo es Widersprüc­he gibt, liege die Wahrheit „wohl irgendwo dazwischen“. Von einer vorsätzlic­hen Körperverl­etzung sei nicht auszugehen. Er fordert einen Freispruch.

Dem schließt sich Richterin Alexandra Wittl an. „Der Knackpunkt war: Wer hat angefangen?“, erklärt sie. Für sie sei es plausibel, dass der Zeuge mit den Handgreifl­ichkeiten begonnen hat, weil er sein Handy wiederhabe­n wollte. Und bei den Verletzung­en sei auffällig, dass sie alle auf der gleichen Körperseit­e waren. Er könnte also draufgestü­rzt sein. „Ich habe schon irgendwo meine Zweifel, was da jetzt wirklich passiert ist“, sagt sie. Doch diese Zweifel gehen zugunsten des Angeklagte­n.

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Symbolfoto: Jakob Stadler Ein Mann hat sofort das Handy gezückt, um einen möglichen Verstoß gegen Hygieneric­htlinien zu beweisen. Dann gab es eine Rangelei.

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