Prügelei wegen eines Handyfotos
Gericht Ein Mann fotografiert einen angeblichen Hygienemangel, dann kommt es zu einer Rangelei. Kurz vor der Verhandlung relativiert der Zeuge dann alles. Die Frage ist: Wer hat angefangen?
Dillingen Eine Schulklasse des BonaGymnasiums ist zu Gast im Dillinger Amtsgericht und beobachtet, wie dort Recht gesprochen wird. Was die Schüler erleben, ist ein Fall, der sich in Grundzügen auch auf dem Pausenhof hätte abspielen können: Jemand fotografiert etwas mit dem Handy, jemand anderes hat etwas dagegen. Er bekommt das Smartphone in die Hände und es gibt ein Handgemenge. In der Schule gäbe es Verweise und Elterngespräche. Im Erwachsenleben geht es vor Gericht.
Der Angeklagte und der Geschädigte, der als Zeuge aussagt, mieten Räume im gleichen Gebäude im Landkreis Dillingen. Der Zeuge hat einen Getränkehandel, der Angeklagte ist Metzger. Eigentlich kommen die beiden gut miteinander aus – der 57-jährige Metzger überlässt dem 47-jährigen Getränkehändler kostenlos einen Teil seiner Lagerfläche. Aber der Angeklagte berichtet auch von anonymen Anrufen beim Landratsamt, in denen es – wie er sagt, fälschlicherweise – hieß, er verletze Hygienevorschriften. Er verdächtigt den Zeugen. Der sagt, das Landratsamt habe sich bei ihm gemeldet und gefragt, ob er etwas von verletzten Vorschriften beim Metzger wisse. Der dürfe in dem Gebäude angeblich keine Lebensmittel produzieren.
An einem Tag im Juli 2018 ging der Getränkehändler zum Metzger, wohl um einen Brief der Vermieter zu überbringen. Der Angeklagte sagt, er sei einfach hineingegangen, der Zeuge behauptet, er habe den Metzger bereits gesehen und der habe gerufen, er komme sofort. Als er in dessen Räumen stand, sah er einen Tumbler, ein Gerät zur Wurstherstellung, das in Betrieb war. Weil er an das gedacht habe, was er vom Landratsamt gehört hatte, zückte sein Handy für ein Beweisfoto. In dem Moment kam der Angeklagte.
Der erklärt vor Gericht: „Wenn Sie heimkommen, und da steht einer und macht Fotos, da sagen Sie auch nicht: Super, mach weiter.“Er stellt aber klar: „Ich war noch nie gewalttätig. Obwohl ich Metzger bin“. Da gebe es ja Vorurteile. Unter seinen 26 Vorstrafen findet sich tatsächlich keine Gewalttat. Allerdings läuft eine Bewährung wegen Betruges.
Was an dem Julitag genau geschah, da unterscheiden sich die Angaben. Laut dem Angeklagten ist der Zeuge über ein Kabel gestolpert, hat sein Handy verloren und er habe es dann genommen. Laut dem Zeugen hat er es ihm entrissen. Dass es zu einer Rangelei kam, bestätigen beide – sagen aber jeweils, sie hätten sich verteidigt. Irgendwie löste sich die Rangelei. Beide Männer gingen telefonieren. Der Angeklagte rief seinen Anwalt an und fragte, was er tun solle. Der empfahl, das Handy der Polizei zu geben. Die kam ohnehin kurz darauf – weil der Getränkehändler den Notruf gewählt hatte. Also übergab der Metzger das Handy. Der Getränkehändler ging zum Arzt. Dieser bescheinigte ihm blaue Flecken am Arm und eine aufgeschürfte Hand. Ursprünglich war von einer Holzlatte die Rede, mit der der Angeklagte zugeschlagen haben soll. Weil sich vor Gericht niemand an diese „Waffe“erinnert, wird juristisch aus der vermeintlich „gefährlichen“eine „normale“Körperverletzung.
Dann ist da noch ein Schreiben des Zeugen, das zwei Wochen vor dem Prozess beim Gericht eingegangen ist. Er relativierte die Vorwürfe, schreibt, es seien „lediglich kleinere Handgreiflichkeiten“gewesen. Er bat, das Verfahren einzustellen. „Wir vertragen uns wieder“, sagt er vor Gericht. Er darf weiterhin kostenfrei die Lagerfläche des Metzgers nutzen.
Doch für Staatsanwältin Manuela Kaiser ist der Angeklagte schuldig. Sie glaube die Geschichte des Geschädigten, wonach der Angeklagte zugeschlagen habe, sagt sie im Plädoyer. Der Zeuge habe keinen Grund, zu lügen – der Angeklagte schon. Wegen der Vorstrafen plädiert sie auf vier Monate Freiheitsstrafe. Weil er ein „Bewährungsversager“sei, solle der Mann in Haft.
Verteidiger Bernd Scharinger sieht „Ungereimtheiten“in den Zeugenaussagen. Es sei unklar, woher dessen Verletzungen kommen. Die Aussagen müsse man gleich gewichten – wo es Widersprüche gibt, liege die Wahrheit „wohl irgendwo dazwischen“. Von einer vorsätzlichen Körperverletzung sei nicht auszugehen. Er fordert einen Freispruch.
Dem schließt sich Richterin Alexandra Wittl an. „Der Knackpunkt war: Wer hat angefangen?“, erklärt sie. Für sie sei es plausibel, dass der Zeuge mit den Handgreiflichkeiten begonnen hat, weil er sein Handy wiederhaben wollte. Und bei den Verletzungen sei auffällig, dass sie alle auf der gleichen Körperseite waren. Er könnte also draufgestürzt sein. „Ich habe schon irgendwo meine Zweifel, was da jetzt wirklich passiert ist“, sagt sie. Doch diese Zweifel gehen zugunsten des Angeklagten.