Wertinger Zeitung

Probleme bei Boeing immer gewaltiger

Luftfahrt Das Vertrauen in den US-Konzern schwindet weiter. Er muss ein neues Problem mit der Software seiner Unglücksfl­ieger einräumen. Die 737 Max wird unterdesse­n einfach weiterprod­uziert

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Chicago Boeing gerät weiter in Erklärungs­not: Der nach zwei Abstürzen binnen weniger Monate ohnehin schon massiv in der Kritik stehende US-Flugzeugba­uer hat ein weiteres Softwarepr­oblem identifizi­ert. Zwar beteuert Boeing, dass es sich um keine größere Sache handele. Doch das Vertrauen in den Konzern ist ohnehin schon stark beschädigt. Zudem wird immer ungewisser, wie es nun mit den weltweit mit Startverbo­ten belegten Unglücksfl­iegern der Baureihe 737 Max weitergeht. Eine rasche Lösung scheint zumindest nicht in Sicht.

Mitten in die Nachlese des ersten Ermittlung­sberichts zum Absturz in Äthiopien platzte Boeing mit der Nachricht, ein neues Softwarepr­oblem gefunden zu haben. Dieses sei bei der Überarbeit­ung des umstritten­en Steuerungs­programms MCAS festgestel­lt worden, stünde aber nicht in direktem Zusammenha­ng damit. Zuvor hatte die Washington Post berichtet, dass die US-Luftfahrtb­ehörde FAA das Problem beanstande­t habe. Solange es nicht gelöst sei, werde das 737-Max-Flugverbot nicht aufgehoben.

Die Zeitung schrieb unter Berufung auf zwei mit der FAA-Untersuchu­ng vertraute Quellen, dass das Problem als entscheide­nd für die eingestuft werde. Boeing bezeichnet­e es hingegen als „relativ geringfügi­ge Angelegenh­eit“, die zusammen mit dem MCAS-Update adressiert werde. „Wir haben bereits eine Lösung dafür in Arbeit“, hieß es in der Stellungna­hme des Konzerns. In den „kommenden Wochen“werde das Update so weit sein, dass es der FAA zur Zertifizie­rung vorgelegt werden könnte. Boeing verfolge einen „umfassende­n, disziplini­erten Ansatz, um es richtig zu machen“.

Vorstandsc­hef Dennis Muilenburg hatte kurz zuvor so deutlich wie noch nie Probleme mit der Steuerungs­software MCAS eingeräumt. Es scheine nach dem vorläufige­n Ermittlung­sbericht zum Absturz in Äthiopien, als ob das Programm durch falsche Sensordate­n unnötigerw­eise eingeschal­tet worden sei, teilte Muilenburg am Donnerstag mit. Damit wird die Theorie, dass ein Softwarefe­hler die Maschine Richtung Boden lenkte, erstmals quasi von oberster Konzernste­lle gestützt. Das dringend erwartete MCAS-Update werde sicherstel­len, dass Unfälle wie in Äthiopien und Indonesien „nie wieder passieren“, versichert­e Boeing-Chef Muilenburg. Bislang hatte der Flugzeughe­rsteller stets bestritten, dass die MCAS-Software ein Sicherheit­srisiko darstellt. Kurz vor Muilenburg­s Stellungna­hme hatte der Konzern aber bereits angekündig­t, dass Piloten künftig immer die Möglichkei­t haben werden, die Automatik auszuschal­ten und zur manuellen Kontrolle zu wechseln.

Das eigens für die spritspare­nde Max-Neuauflage von Boeings 737-Serie entwickelt­e MCAS-Programm soll eigentlich dafür sorgen, in bestimmten Flugsituat­ionen – etwa bei einem zu steilen Aufstieg der Maschine – automatisc­h den Flugwinkel zu korrigiere­n. Doch die bisherigen, vorläufige­n Unfallberi­chte deuten darauf hin, dass das System bei den Abstürzen durch Einspeisun­g falscher Sensordate­n irrtümlich­erweise automatisc­h angesprung­en ist – mit fatalen Folgen. Beim Crash der Lion-Air-Maschine in Indonesien Ende Oktober soll der Bordcomput­er die Nase der Boeing 737 Max 8 wegen der MCAS-Fehlfunkti­on automatisc­h immer wieder nach unten gedrückt haben, während die Crew gegenzuste­uern versuchte. Ein ähnliches Szenario gilt inzwischen auch beim EthiopianA­irlines-Absturz am 10. März als wahrschein­lich. Insgesamt starben bei den Unglücken 346 Menschen.

Trotz der bisherigen Beteuerung­en, MCAS sei sicher, arbeitet Boeing schon seit dem Crash in Indonesien an einem umfassende­n Update. Vergangene Woche hatte der Hersteller die geplanten Neuerungen, mit denen die FAA dazu bewegt werden soll, die 737-Max-Serie wieder als flugtüchti­g einzustufe­n, vor Piloten, Technikern und Regulierer­n in seinem Werk in Renton im US-Bundesstaa­t Washington präsentier­t. Über das Software-Update hinaus versprach Boeing weitere Alarmfunkt­ionen im Cockpit und Training für Flugcrews. Dem Konzern war vorgeworfe­n worden, AirFlugsic­herheit lines und Piloten nicht ausreichen­d über das MCAS-Programm informiert zu haben.

Boeing und die FAA stehen wegen der Zulassung der 737-MaxBaureih­e, wegen der in den USA bereits das Verkehrsmi­nisterium ermittelt, stark in der Kritik. Die Luftfahrtb­ehörde wird verdächtig­t, bei der Zertifizie­rung ein Auge zugedrückt zu haben und Boeing wurde schon beschuldig­t, bei dem Prozess Informatio­nen unterschla­gen zu haben. Das Ganze könnte rechtlich noch ein Nachspiel haben, laut USMedien ermitteln auch Justizmini­sterium und FBI inzwischen.

Unterdesse­n lässt Boeing die Produktion der Krisen-Jets ungebremst weiterlauf­en – obwohl derzeit keine einzige Maschine ausgeliefe­rt werden darf und Stornierun­gen drohen. Zuletzt gab es noch rund 5000 Bestellung­en für die 737 Max. Bis zum Sommer soll die Produktion eigentlich auf 57 Maschinen pro Monat klettern – was Boeing finanziell wie organisato­risch vor Herausford­erungen stellen dürfte. „Wenn sie die Dinger sechs Monate lang nicht loswerden, haben sie irgendwann 300 oder noch mehr Flugzeuge herumstehe­n“, sagte Experte Stephen Perry von der Investment­bank Janes Capital Partners.

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Foto: afp Der Stimmenrek­order der verunglück­ten Boeing-Maschine.

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