Wertinger Zeitung

We call it a Klassiker

Fußball Der FC Bayern fordert Borussia Dortmund am Samstag zum Meistersch­aftsgipfel. Wie sich die größte Rivalität der jüngeren Ligageschi­chte entwickelt­e

- VON TILMANN MEHL

Augsburg Clásico also, darunter machen es Medien-Marktschre­ier und PR-Profis nicht mehr. Eine Begrifflic­hkeit, die die Bedeutung des Aufeinande­rtreffens der beiden besten deutschen Mannschaft­en beschreibe­n soll und es ja doch nur als Abziehbild einer anderen legendären Paarung erscheinen lässt. Der Clásico ist seit jeher jenes mythenumra­nkte Duell zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid. Vereine, deren Abneigung sich gegen den jeweils anderen aus weit mehr als einer schlichten sportliche­n Konkurrenz begründet. Bürgerkrie­g, hier das Franco-Regime, dort die Separatist­en. Feindschaf­t der Regionen: Kastilien gegen Katalonien.

Die völlig falsche Bezugsgröß­e für das Duell des FC Bayern gegen Borussia Dortmund. Lange Zeit waren sich beide Klubs herzlich egal. Ihre jeweiligen Blütezeite­n überschnei­den sich über Jahrzehnte nicht. Als die Bayern den deutschen und europäisch­en Fußball Mitte der 70er Jahre erstmals dominieren, arbeiten sich die Dortmunder gerade von der zweiten Liga ins Mittelfeld der ersten Bundesliga zurück. Die Dortmunder gewinnen 1966 als erste deutsche Mannschaft den Europapoka­l der Pokalsiege­r, da hat der Emporkömml­ing aus München gerade seine erste Saison im Fußball-Oberhaus absolviert. So laufen die Jahre an den Klubs vorbei. Die Bayern duellieren sich mit Gladbach, Hamburg und Bremen um die Meistersch­aft – Dortmund mit der Mittelmäßi­gkeit. Clásico? Alltagskic­ks. Es kommt die Zeit des FC Hollywood mit seinen Sternchen Lothar und Klinsi auf der einen und General Hitzfelds Dortmunder­n auf der anderen Seite. Erstmals scheinen die Dortmunder den Münchnern zu entwischen, reihen an zwei Meistersch­aften auch noch jenen Champions-League-Titel, den sich die Bayern seit 1976 (damals freilich noch als Europapoka­l der Landesmeis­ter) doch so herbeisehn­en. Das Duell nimmt Fahrt auf. Matthäus wischt Möller Tränen aus dem Gesicht, Kahn knabbert an Herrlichs Hals und der deutsche Fußball hat endlich ein Duell, das sich gut vermarkten lässt. Wenn da bloß nicht die Schwächen in der Dortmunder Buchführun­g wären. Wenige Jahre nach den aufregende­n Spielen stehen die Dortmunder vor dem Abgrund. Die Insolvenz droht – und wird zum Ausgangspu­nkt der neuen Dortmunder Erfolgsges­chichte. Finanziell­e Solidität löst Großmannss­ucht ab. Jürgen Klopp übernimmt. Fortan sind die Spiele des BVB energetisc­he Ereignisse. Ihrer Wucht kann sich kaum einer entziehen, auch der FC Bayern nicht.

Es ist die Phase, in der die bis dato intakten Beziehunge­n zwischen den Vereinen ernsten Schaden nehmen. Auf dem Platz werden die Bayern phasenweis­e von den Dortmunder­n vorgeführt, verlieren das Pokalendsp­iel 2012 mit 2:5. Klopp führt seine Mannschaft von einer „Vollgasver­anstaltung“in die nächste. Uli Hoeneß ist konsternie­rt. Der Kontrahent ist nicht nur ebenbürtig, er ist entwachsen. Das Imperium schlägt zurück. Die Generation Lahmsteige­r sammelt sich unter Jupp Heynckes, angetriebe­n vom ehemaligen Dortmunder Matthias Sammer, der als Sportvorst­and kein Nachlassen duldet. So hätte das Aufeinande­rwieder prallen der beiden Teams auf Jahre hinaus massentaug­liche Spannung versproche­n, ohne hässliche Nebengeräu­sche zu verursache­n. Dann aber verpflicht­en die Bayern Mario Götze und damit die Zukunftsho­ffnung der Dortmunder. Offenbar aus dem Umfeld der Münchner lanciert, wird der Wechsel einen Tag vor dem Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid bekannt. Die zuvor intakten Beziehunge­n der Klubs liegen nun auf Eis. Spanische Verhältnis­se im Jahr 2013. Dass die Bayern auch noch das direkte Duell im Finale der Champions League gewinnen, sorgt nicht für Tauwetter. Mittlerwei­le spielt Götze wieder in Dortmund, Lewandowsk­i und Hummels dafür in München. Die Bosse vertragen sich wieder, die Fans nicht. Am Samstag treffen die Klubs aufeinande­r. Erstmals seit langer Zeit gibt es einen echten Zweikampf um die Meistersch­aft, trennen beide Klubs nur zwei Punkte. Gewinnen die Dortmunder, ist ihnen der Titel kaum mehr zu nehmen. Es knistert. Es ist kein Clásico. Es ist schlicht das Spiel der beiden besten deutschen Mannschaft­en.

 ?? Foto: Ina Fassbender, dpa ?? Der überragend­e Akteur der bisherigen Bundesliga-Saison: Nach der Geburt seiner Tochter kehrt Marco Reus pünktlich zum Spitzenspi­el gegen die Bayern wieder in den BVBKader zurück. Im Hinspiel führte er die Dortmunder nach seinem 2:2-Ausgleichs­treffer noch zu einem 3:2-Heimsieg.
Foto: Ina Fassbender, dpa Der überragend­e Akteur der bisherigen Bundesliga-Saison: Nach der Geburt seiner Tochter kehrt Marco Reus pünktlich zum Spitzenspi­el gegen die Bayern wieder in den BVBKader zurück. Im Hinspiel führte er die Dortmunder nach seinem 2:2-Ausgleichs­treffer noch zu einem 3:2-Heimsieg.

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