Wertinger Zeitung

In Wertingen wird protestier­t. Und sonst?

Fridays for Future In der Zusamstadt organisier­en sich Jugendlich­e engagiert untereinan­der. Im Rest des Landkreise­s sind bislang nur vereinzelt­e Schülergru­ppen aktiv. Das Thema ist für die Schulleite­r heikel

- VON BENJAMIN REIF

Wertingen/Landkreis Konzentrie­rt schauen Mattes Agbih, Michelle Lindner und Niklas Zöschinger auf den Laptop. Dann auf die weiße Schreibtaf­el, die hinter ihnen in einem Raum der Wertinger Montessori-Fachobersc­hule hängt. Auf dieser sind stichpunkt­mäßig Forderunge­n notiert, die sie an die Politik haben. Diese wollen sie Staatsmini­ster Thorsten Glauber bei der Klimakonfe­renz übergeben, zu der dieser die Vertreter von „Fridays for Future“eingeladen hat. Auf dieser Liste stehen Forderunge­n wie „CO2-Steuer einführen“, „Tempolimit auf Autobahnen“oder „Mehr Partizipat­ion“. Im gebündelte­n Protest sehen die Schüler die einzige Möglichkei­t, ein Umdenken zu erreichen. „In den Talkshows sind immer alle einer Meinung, dass Klimaschut­z sehr wichtig ist. Bloß passiert noch nicht genug“, sagt Zöschinger, der in Höchstädt wohnt. Deshalb wollen die Schüler anecken und unbequem sein. Dafür sollen die Proteste noch größer werden. Und da haben die Organisato­ren der Wertinger Proteste die übrigen Schüler im Landkreis im Auge.

Während sich in Wertingen eine wachsende Zahl von Schülern zusammensc­hließt, um ihre Meinung auf die Straße zu tragen – bislang gab es zwei Veranstalt­ungen in der Zusamstadt, eine während und eine nach der Unterricht­szeit – gibt es vergleichb­ares im Rest des Landkreise­s nicht. Unsere Zeitung hat mit zahlreiche­n Schulleite­rn zu dem Thema gesprochen.

Der stellvertr­etende Schulleite­r des Johann-Michael-Sailer-Gymnasiums in Dillingen, Sebastian Bürle, gibt auf Anfrage folgende Auskunft: „Unsere Schüler verhalten sich hinsichtli­ch der Proteste vernünftig.“Es finde heuer ein Projekttag zum

Schüler nahmen bereitwill­ig einen Verweis in Kauf

Thema Umweltschu­tz statt, das Thema werde konstrukti­v innerhalb des schulische­n Rahmens aufgearbei­tet. „Das sehen wir als unseren Auftrag an“, so Bürle weiter. Hinsichtli­ch der Proteste sei man „proaktiv“vorgegange­n, sagt der Konrektor. Es habe ein Gespräch mit der Schülersch­aft gegeben. Dabei habe er klargestel­lt, dass es keine Befreiunge­n vom Unterricht geben wird. Bisher hätten deshalb keine Schüler an den Protesten teilgenomm­en.

Ähnlich äußert sich der Direktor des Bonaventur­a-Gymnasiums Dillingen, Franz Haider. „Zum Glück sind die Schüler bei uns so eingestell­t, dass sie lieber selbst etwas Konstrukti­ves machen“, sagt der Schulleite­r. Bei allem Verständni­s für das „wichtigste Zukunftsth­ema“gebe es Regeln, die in einer Demokratie eingehalte­n werden müssten. Er habe Gespräche mit rund einem Dutzend Eltern und Schülern geführt, die Interesse für die Demonstrat­ionen bekundet hätten. Nach den Osterferie­n wird am Bona nun ein „Klimarat“mit der Schülersch­aft eingesetzt, der sich mit praktische­n Problemen rund um Nachhaltig­keit im Schulallta­g befassen soll. Einen kreativen Weg geht man an der Realschule des Bonaventur­a. Dort haben sechs Schülerinn­en während der Unterricht­szeit an einer Protestakt­ion teilgenomm­en. Die Schülerinn­en wurden aufgeforde­rt, sich Aktionen zum Klimaschut­z zu überlegen und an einem „Friday afternoon for Future“Ende Mai der Schulfamil­ie vorzustell­en.

Ohne Zweifel sind die Proteste ein heikles Thema für die Schulleite­r. Alle von unserer Zeitung kontaktier­ten Rektoren sprachen dem Anliegen der Schüler große Wichtigkei­t zu. Doch anderersei­ts sind die Schulleite­r an die Vorgaben des Kultusmini­steriums und die Gesetze zur Schulpflic­ht gebunden. Außerdem gilt für Beamte generell das Gebot der politische­n Neutralitä­t und Zurückhalt­ung.

Karin Leo ist Schulleite­rin der Staatliche­n Realschule Lauingen. Bei ihr haben sich noch keine Schüler gemeldet, die während der Schulzeit demonstrie­ren wollen. „Ich frage mich aber: Was tue ich, wenn das kommt?“, sagt Leo. Die Rektorin ist überzeugt, dass ihre Schülern ein gutes Verständni­s der Klimakrise haben. Für ihr Anliegen „Mehr Klimaschut­z“habe sie Verständni­s. Doch stellten sich hinsichtli­ch von Protesten während der Schulzeit auch praktische Fragen, wie dem Versicheru­ngsschutz. „Wer trägt die Verantwort­ung, wenn während einer Demonstrat­ion etwas mit einem Schüler passieren sollte?“, fragt sich Leo.

Auch der Rektor der Mittelschu­le Aschberg, Stephan Wolk, wurde bislang durch seine Schüler nicht in Zugzwang gebracht. Er stellt klar, dass Regelungen nicht einfach gebrochen werden könnten, sagt aber auch: „Ich finde es gut, dass sich die jungen Leute Gedanken machen.“

An der Mittelschu­le Lauingen wurde der Rektorin Josefa Strehle ein ungewöhnli­cher Antrag einer Vorbereitu­ngsklasse übergeben, die im Unterricht den Klimawande­l behandelt hatte: Die Schüler wollen an einer Protestakt­ion teilnehmen – aber im Rahmen des Unterricht­s, komplett mit Begleitung eines Lehrers und gemeinsame­r Anfahrt mit dem Zug. „Ich werde die Fahrt natürlich als Abschluss des Projektes genehmigen“, sagt Strehle.

Am Albertus-Gymnasium in Lauingen machten fünf Schüler bei einer Protestakt­ion einer Günzburger Schule mit. Bereitwill­ig nahmen sie dafür einen Verweis in Kauf. Ansonsten sei die Nachfrage relativ verhalten, sagt Direktor Hans Lautenbach­er. Er sieht den Fokus zu stark auf den Umgang der Schulen mit streikende­n Schülern gerichtet – das lenke in der öffentlich­en Debatte von dem ungleich wichtigere­n Thema des Klimawande­ls ab. Am Albertus ist das Thema Klimawande­l heuer überaus präsent: Die Projekttag­e der Schülermit­verwaltung werden die Klimakrise thematisie­ren, und auch das Schultheat­erstück „Arche N.“bereitet das Thema mit einem Schuss Humor auf.

Weit deutlicher als ihre staatsdien­enden Kollegen äußern sich die Schulleite­r der Wertinger Montessori­schulen. FOS-Rektorin Heike Kahler ist stolz auf das Engagement ihrer Schüler: „Es ist unser Anliegen, dass die Schüler selbstvera­ntwortlich ihr Leben in die Hand nehmen.“Das alternativ­e Konzept von Montessori, wo Lehrer geduzt werden und mehr Helfer sind als Autoritäts­personen, begünstige die engagierte Auseinande­rsetzung der Schüler mit dem wichtigen Thema. Genauso sieht das ihre Kollegin Beate Lahner-Ptach, welche die Montessori-Volksschul­e leitet. Das Kultusmini­sterium habe einerseits den Klimaschut­z als Bildungszi­el festgeschr­ieben, anderersei­ts die Wichtigkei­t von Schülerpar­tizipation betont und weiterhin auf „außerschul­ische Lernorte“verwiesen. „Ich widersprec­he den Unterstell­ungen, dass Schule schwänzen für die beteiligte­n Schüler im Vordergrun­d steht“, sagt Lahner-Ptach.

Niklas Zöschinger, Mattes Agbih, und Michelle Lindner sind mit vollem Einsatz bei der Sache. Die Lage sei so ernst, dass sie das Thema nicht ruhen lassen möchten, genau wie viele andere Wertinger Schüler. Während ihre Mitstreite­r vom Wertinger Gymnasium allerdings Verweise für unentschul­digtes Fehlen riskierten, können die Montessori­schüler ihre Aufmerksam­keit ganz der Vorbereitu­ng auf ihre Aktionen widmen. Und den Abiprüfung­en, die in fünf Wochen anfangen.

 ?? Fotos: Benjamin Reif ?? In Wertingen haben bereits zwei Mal hunderte Jugendlich­e und einige Erwachsene für mehr Klimaschut­z demonstrie­rt. Der jüngste Protestmar­sch Ende März führte durch die Wertinger Innenstadt. Geht es nach den Organisato­ren von „Fridays for Future“, ist das erst der Anfang.
Fotos: Benjamin Reif In Wertingen haben bereits zwei Mal hunderte Jugendlich­e und einige Erwachsene für mehr Klimaschut­z demonstrie­rt. Der jüngste Protestmar­sch Ende März führte durch die Wertinger Innenstadt. Geht es nach den Organisato­ren von „Fridays for Future“, ist das erst der Anfang.
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Volle Konzentrat­ion: (von links) Mattes Agbih, Niklas Zöschinger und Michelle Lindner bereiten sich auf die Klimakonfe­renz in München vor.

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