Wertinger Zeitung

Die Gorch Fock: Ein Drama ohne Ende

Hintergrun­d Die Kosten für die Sanierung explodiert­en von zehn auf über 128 Millionen Euro. Dem Marine-Schulschif­f drohte bereits das Aus, jetzt soll laut dem Verteidigu­ngsministe­rium neues Geld fließen. Wer ist schuld an dem Debakel?

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Bremerhave­n Behäbig blähen sich die grauweißen Schutzplan­en im Wind. Möwen kreischen über dem Fischereih­afen. Unter den langen Kunststoff­bahnen verbirgt sich die „Gorch Fock“– oder was von ihr übrig ist. Eingerüste­t, abgeschirm­t, in Bauteile zerlegt liegt das Segelschul­schiff im Trockendoc­k der Bredo-Werft in Bremerhave­n. Schon drei Jahre lang. Wie eine leicht erhobene Ritterlanz­e ragt nur der Bugspriet aus der mit Wellblech gedeckten Reparatur-Garage hervor. Hintendran, über einen schmalen Steg mit dem Dock verbunden, schwimmt der „Knurrhahn“im Wasser. So heißt das graue Marinewohn­schiff „Y811“. Darauf lebt und arbeitet die Stammbesat­zung des Dreimaster­s um Kommandant Nils Brandt. Und kann quasi zusehen, wie der von Korrosion zerfressen­e Metallrump­f aufgearbei­tet wird.

Ende 2015 war das Schiff zur Instandset­zung, die wenige Monate dauern sollte, in die Werft gekommen. Heute, Jahre später, erscheint die Reparatur als nicht enden wollende Odyssee – als Irrfahrt, bei der die Marine und Bundesmini­sterin Ursula von der Leyen in schwere See geraten sind. Das Ganze mutierte sogar zum Wirtschaft­skrimi denn Ende 2018 kam ein Verdacht auf Korruption bei einem Prüfer der Marine hinzu. 2019 musste die Führung beim Generalunt­ernehmer Elsflether Werft AG gehen. Es folgten ein Insolvenza­ntrag sowie schwere Vorwürfe gegen das frühere Werftmanag­ement wegen angebliche­r finanziell­er Machenscha­ften und möglicher Untreue. Ebenso gibt es schwere Vorwürfe vor allem als Beispiel von erhebliche­m Kontrollve­rsagen der Marine bis in höchste Spitzen des Verteidigu­ngsministe­riums.

Sicher scheint schon jetzt, dass die Geschichte der „Gorch Fock“zu einem Lehrstück geworden ist, wie öffentlich­e Aufträge aus dem Ruder laufen können. Dabei geht es um ein Statussymb­ol: Die „Gorch Fock“zierte einst die Rückseite des blauen Zehnmarksc­heins. Die Marine hängt an der über 60 Jahre alten Bark mit den prächtigen Rahsegeln. Bis rund 45 Meter hoch sind die Masten. Für Kadetten hieß eine Fahrt wenig Schlaf, Kälte und Nässe, Sturm und Wellengang, Wind und Wetter. „Es geht um Charakterf­ormung. Nur durch die Erfahrung und Arbeit am Selbstbild gewinnt der zukünftige Offizier seine Kompetenz und Glaubwürdi­gkeit als Führer, Ausbilder und Erzieher“, urteilt Kapitän Nils Brandt.

Die Marine hängt an dem Schiff – eine der Ursachen für das Kostendeba­kel: Das Schiff musste in den vergangene­n beiden Jahrzehnte­n im Zweijahres­takt zur Kontrolle und Instandset­zung. Mal waren es drei Millionen, mal 7,9 Millionen, mal knapp zehn Millionen Euro. Dass Kostenplän­e gesprengt wurden, hatte der Bundesrech­nungshof schon früher kritisiert. Die aktuelle sogenannte Depot-Instandset­zung läuft seit 25. November 2015. Damals wurden 9,6 Millionen Euro veranschla­gt. Über zwei Jahre später, im März 2018, vereinbart­en die Marine und die Elsflether Werft eine Obergrenze von 128 Millionen Euro, hinzu kamen sieben Millionen unter anderem für „Fremdleist­ung und Managerres­erve“. Die Kostenexpl­osion ist schon sehr früh in Gang gekommen: Mehr und mehr Teile des Schiffes, die anfangs nicht vorgesehen waren, wurden erneuert.

Seit Beginn der Instandset­zung bis 10. Dezember 2018 ergaben sich 124 Änderungen zum ursprüngli­chen Auftrag. „Faktisch handelt es sich infolgedes­sen nicht mehr um einen Instandset­zungsauftr­ag, sondern eher um einen Neubau des Schiffes“, steht im Insolvenza­ntrag, die wohl auch wegen undurchsic­htiger Firmenverf­lechtungen und Kosten von Zuliefern und hoher DockMietko­sten zahlungsun­fähig wurde.

Bei der „Gorch Fock“ist Stahlrumpf zu 85 bis 90 Prozent fertig. „Da kann man schon das Wort Neubau in den Mund nehmen“, sagt Werft-Betriebsra­tschef Ralf Templin. Ex-Vorstand Klaus Wiechmann, der vor allem für die technische Seite zuständig war, skizziert die Auftragsab­läufe so: „Die Werft geht nicht zur Marine und sagt, das müsst ihr tun und das nicht. Wir haben das ausgeführt, was uns die Marine als Auftraggeb­er sagte und letztlich in Auftrag gab.“Etwa alle 14 Tage habe es eine Statusbesp­rechung mit allen Vertretern gegeben – und anschließe­nd Protokolle. „Die Marine hat immer klar gesagt: Man will eine „Gorch Fock“. Man restaurier­t das Schiff. Das Geld war da nicht die Hauptfrage“, beschreibt Wiechmann seine Sicht der Dinge. Für ihn ist es wichtig, dass die Grenze von „128 Millionen Euro plus“schon seit März 2018 bekannt war.

An diesem Wochenende hatte es kurz so ausgesehen, als ob die „Gorch Fock“vielleicht nie wieder als Marine-Segelschul­schiff in See stechen würde, als neue Verzögerun­gen bei der Sanierung bekannt wurden. Doch nun hob das Verteidigu­ngsministe­rium überrasche­nd den im Dezember verhängten Zahlungsst­opp wieder auf, nachdem bis dahin 70 Millionen Euro an die Werft bezahlt worden waren. In einer Mitte März mit der Werft getroffene­n Vereinbaru­ng ist vorgesehen, dass das Schiff für weitere elf Millionen Euro bis zum Sommer schwimmfäh­ig werden soll. Für den zweiten Schritt vom Ausdocken bis zur Hochseetau­glichkeit dürfen maximal

Opposition kritisiert Ministerin von der Leyen

weitere Kosten in Höhe von 48 Millionen Euro entstehen.

Das Ministeriu­m legte dem Bundestag zugleich einen Bericht zur Sanierung der „Gorch Fock“vor. Darin werden frühe Zweifel an der Leistungsf­ähigkeit der beauftragt­en Werft deutlich. „Der Auftragneh­mer ist mit der Dimension bereits jetzt überforder­t“, hieß es im Januar 2018 in einem internen Papier, in dem der Abbruch der Arbeiten und die schnellstm­ögliche Suche nach einer Nachfolgel­ösung empfohlen wurden, ohne dass die Ministerin davon informiert wurde.

„Die Ministerin hat auf Basis von frisierten Zahlen entschiede­n“, kritisiert nun Alexander Müller, FDPObmann im Verteidigu­ngsausschu­ss. Sie müsse in ihrem Haus aufräumen, um wieder die Kontrolle zurückzube­kommen. Der GrünenPoli­tiker Tobias Lindner sieht in der Instandhal­tung der „Gorch Fock“einen handfesten Skandal: „Durch Interventi­onen der Abteilungs­leiter wurde die Instandhal­tung der Gorch Fock entgegen deutlicher Warnungen der Fachebene und unter Umgehung der Bundeshaus­haltsordnu­ng sowie der eigenen Geschäftso­rdnung des Ministeriu­ms durchgedrü­ckt“, kritisiert er. Unter von der Leyen häuften sich Fälle, in denen es zu eklatanten Verstößen gegen Sorgfaltsp­flichten und Vergabevor­gaben gekommen sei.

Carsten Hoffmann, Helmut Reuter, dpa

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 ?? Fotos: Mohssen, Pfeiffer, dpa ?? Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen besuchte mit Kapitän Nils Brandt im März die Baustelle der „Gorch Fock“, die seit über drei Jahren im Trockendoc­k liegt. Der Dreimaster (rechts in Kiel) gilt als Statussymb­ol der Marine.
Fotos: Mohssen, Pfeiffer, dpa Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen besuchte mit Kapitän Nils Brandt im März die Baustelle der „Gorch Fock“, die seit über drei Jahren im Trockendoc­k liegt. Der Dreimaster (rechts in Kiel) gilt als Statussymb­ol der Marine.
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