Wertinger Zeitung

Auch das Brot braucht Zeit

Fastenseri­e Der 58-jährige Lauinger „Himmelbäck“setzt auf Zeit. Damit kann er auf Emulgatore­n und exogene Enzyme verzichten. Das wirkt sich sowohl auf die Bekömmlich­keit als auch auf die Teigmenge bei Semmeln aus

- VON BIRGIT ALEXANDRA HASSAN

Wann ist ein Brot ein gutes Brot? Das hat sich ein Bäcker aus dem Landkreis gefragt. Seine Lösung lautet: Es braucht seine Zeit. Mehr dazu lesen Sie auf

Lauingen Die Backstube kennt Jürgen Lenzer seit seiner frühesten Kindheit. Als Jugendlich­er putzt der Lauinger Bäckersjun­ge sie für die Eltern, verdient sich damit seine ersten eigenen Groschen. Seine berufliche Zukunft sieht Jürgen Lenzer zu dem Zeitpunkt allerdings woanders. Er will Lehrer werden und macht sein Abitur. Doch es kommt anders.

Als Jürgen Lenzer bei der Bundeswehr aufgrund einer Verletzung kurzfristi­g zurückgest­ellt wird, macht er eine Bäckerlehr­e bei seinem Vater – als „Pausenfüll­er“. Die Pause entwickelt­e sich letztendli­ch zum Beruf und schließlic­h zur Berufung. Heute beschäftig­t der „Himmelbäck“insgesamt 80 Mitarbeite­r. Doch das keineswegs als Großbetrie­b, sondern im familiären Umgang. In seiner Backstube in Lauingen steht noch immer die alte Brotwaage. Wenig Technik, dafür ein gutes Handgefühl ist dem 58-jährigen Bäckermeis­ter wichtig. Und Zeit, damit seine Brote und Semmeln auf natürliche Weise gehen und reifen können. „Auf natürliche Weise entwickeln sich so Geschmack, Aroma und Bekömmlich­keit“, sagt Lenzer, der konsequent auf Emulgatore­n und exogene Enzyme verzichtet, mit denen viele andere Bäcker bestimmte Reaktionen beschleuni­gen.

„Langzeitte­igführung“heißt für Jürgen Lenzer die Alternativ­e. Das bedeutet, dass er seinen Teigen bis zu 20 Stunden Ruhe gönnt, bevor sie in den Ofen kommen. Durch die langen Gärvorgäng­e entwickeln sich auf natürliche Weise eine saftige Krume und eine rösche Kruste – zwei Eigenschaf­ten, die für ihn ein gutes Brot auszeichne­n. Mithilfe kommerziel­ler Enzyme könnten die Gärvorgäng­e laut Lenzer auf drei Stunden reduziert werden: „Dafür müssen dann Magen und Darm nacharbeit­en.“Für den 58-Jährigen ist das ein „No-Go“. Er kritisiert, dass die beschleuni­genden Zusatzstof­fe überhaupt nicht genannt werden müssen. Denn nach Lebensmitt­elrecht sind sie nach dem Backen nicht mehr wirksam.

Als Lebensmitt­elhandwerk­er habe er sich zwangsläuf­ig immer wieder mit Ernährung und Essen Und sich dabei gefragt: „Was macht ein gutes Lebensmitt­el aus? Wann ist ein Brot ein gutes Brot?“– Für Jürgen Lenzer gehören dazu als Grundlage klar definierte, natürliche Zutaten. Dazu braucht es Zeit für die Reifung. Weil er auf Chemie und verstärkte Gehvorgäng­e verzichtet, muss Lenzer für seine Semmeln mehr Teig nehmen, denn er weiß: „Der Kunde entscheide­t in erster Linie nach dem Aussehen; wie es ihm mit dem Produkt geht, merkt er erst hinterher.“Und so reihen sich in der Verkaufsth­eke seines Lauinger Bäckergesc­häftes wohlgeform­te Semmeln mit verschiede­nen Auflagen aneinander, die allen anderen in Größe und Optik keineswegs nachstehen. An den Wänden des kleinen Ladens, in dem die Kunden gemütlich auch einen Kaffee und Tee trinken können, hängen Bilder einer Brotprozes­sion in Kalabrien. Darauf tragen Menschen Brotkränze vor sich her durch den Ort. Für Jürgen Lenzer offenbaren sie den religiösen Bezug zu dem Lebensmitt­el: „Die Brote wurden mit der Hand geknetet, im eigens angeschürt­en Ofen gebacken, gesegnet und gegessen.“Für den 58-Jährigen enthalten die Bilder elementare Aussagen über gemeinsame­s Essen und Familienku­ltur. Und so tut sich für ihn die nächste Frage auf: „Wie tut Essen gut?“Ob mit Familie oder im Freundeskr­eis – für Jürgen Lenzer schafft gemeinsame­s Essen einen kommunikat­iven Rahmen.

Zurück zum Brot und vom Laden hinein in die Backstube. Hier stößt der Besucher zunächst auf drei große Silos mit Mehl: Weizen, Dinkel und Roggen. Dazu kommt seit einiger Zeit noch der Emmer, ein biologisch angebauter Urweizen von einem Landwirt aus der Nachbarsch­aft. Alle übrigen Mehle bezieht Lenzer von der Mayershofe­r Mühle in Aislingen. „Wir sind keine Biobäckere­i.“Jürgen Lenzer spielt auch hier mit offenen Karten: „Auf dem Acker wird das Getreide gedüngt und mit Pestiziden behandelt.“Was er von seinem Müller aber verlange, sei ein unbehandel­tes Mehl ohne Enzyme und Ascorbinsä­ure. Regionalit­ät ist dem Lauinger Bäckermeis­ter Lenzer derzeit wichtiger als das Bio-Siegel. „Ich habe konvention­elle Kundschaft“, sagt er. Wenn er alles auf „Bio“umpole, ziehe das eine andere Preisstruk­tur nach sich und Bedenken, ob er seine Bäckerei in der jetzigen Form mit zehn Verkaufste­llen und 80 Mitarbeite­rn halten könne.

Den Betrieb hat Jürgen Lenzer 1988 von seinem Vater übernommen, damit in der vierten Generation der Familie. Der „Himmelbäck“

„Auf natürliche Weise entwickeln sich mit der Zeit Geschmack, Aroma und Bekömmlich­keit.“

Jürgen Lenzer, Bäckermeis­ter

selbst besteht seit fast 300 Jahren, wurde 1722 erstmals urkundlich als Steuerzahl­er erwähnt. Mit dem Jubiläum in drei Jahren überlegt Jürgen Lenzer, die Backstube seinem Sohn Jakob zu übergeben und selbst gemeinsam mit seiner Frau mehr in den Hintergrun­d zu treten. Der 28-jährige Jakob ist der jüngste seiner drei Söhne, der sich nach Schule und einem Jahr in Neuseeland für den Bäckerberu­f entschiede­n hat. Nach der Meistersch­ule stieg der 28-Jährige vor einem halben Jahr bei seinem Vater ein. Wie Jürgen Lenzer selbst damals bei seinem Vater, bringt auch sein Sohn neue Ideen und Energie mit. „Er stellt vieles infrage“, erzählt der 58-Jährige und zeigt sich bereit, durch Gespräche und Ausprobier­en einen gemeinsame­n Weg auszutarie­ren.

Schließlic­h hatte auch er einst rabeschäft­igt. dikale Umstellung­en von seinem Vater eingeforde­rt, nämlich wegzugehen von den standardis­ierten vorbehande­lten Brotsorten hin zu selbst kreierten Broten mit übersichtl­ichen Zutatenlis­ten. Mischbrote, Roggen- und Frankenbro­t sind ebenso im Angebot wie ein genetztes Dinkel-, ein Wurzelbrot und Brote der Saison. Und sein eigenes Lieblingsb­rot? „Im Winter Apfel-Walnuss und im Sommer eins mit Olivenöl, Rosmarin und Knoblauch.“

In der Backstube haben kurz nach Mittag seine Bäcker und Bäckerinne­n die meiste Arbeit bereits erledigt. Um 1 Uhr hatte der erste bereits die ersten Semmeln und Kornspitz gebacken, anschließe­nd wurden parallel zum Backen Teige geknetet – alles läuft hier nach Plan. Jetzt lagern 3000 helle und 1000 Körnersemm­eln geformt in den Kühlräumen. Dazu die unterschie­dlichsten Teige für Brote. Die alte Teigwaage hat für diesen Tag ausgedient. Jeder einzelne Brotteig wird darauf abgewogen, wobei Lenzer und seine 20 Bäcker und Konditoren mit sicherem Augenmerk die passende Menge für einen Brotkipf oder Laib bereits im Gefühl haben.

„Bei uns gibt’s keine Stanzen und Pressen, wir wargeln den Teig und arbeiten relativ viel mit der Hand“, erklärt Lenzer und blickt dabei auf seine eigenen Hände. Handarbeit, verbunden mit kreativen Ideen, einem Blick auf wirtschaft­liche Notwendigk­eiten sowie natürliche Kreisläufe – dafür setzt sich Jürgen Lenzer ein. Und das versucht er auch seinen Mitarbeite­rn und seinem Sohn weiterzuge­ben. – Somit ist er doch noch ein Lehrer geworden!

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Foto: Birgit Hassan Eine rösche Kruste und eine saftige Krume zeichnen für Jürgen Lenzer ein Brot ebenso aus wie sein Geschmack und seine Bekömmlich­keit.

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