Wertinger Zeitung

Das gespaltene Land

Analyse Das Westjordan­land ist ein Symbol für den schier unentwirrb­aren Konflikt zwischen Israel und den Palästinen­sern. Die Wurzeln reichen weit zurück. Vor der Wahl hat Premier Netanjahu die Annexion von Teilen des Gebiets angekündig­t

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Eine Straße im Westjordan­land steht symbolhaft dafür, dass der Weg zu einer Friedenslö­sung blockiert ist. Seit Anfang des Jahres teilt ein blickdicht­er Zaun über mehrere Kilometer hinweg die Landstraße 4370 nordöstlic­h von Jerusalem: Auf der einen Seite fahren Israelis, auf der anderen Fahrbahn Palästinen­ser. Eine Zwei-StraßenLös­ung gewisserma­ßen, die zeigt, in welch weite Ferne die Zwei-Staaten-Lösung gerückt ist.

Am Wochenende war es der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu, der einen weiteren Nagel in den Sarg für das jahrzehnte­alte Friedensko­nzept hämmerte: Kurz vor den Parlaments­wahlen, die am heutigen Dienstag stattfinde­n, kündigte der durch Korruption­svorwürfe unter Druck geratene konservati­ve Regierungs­chef an, dass er beabsichti­ge, Teile des von Israel besetzten Westjordan­landes zu annektiere­n.

Damit nimmt Netanjahu eine alte Forderung rechter Politiker und vieler der über 600000 israelisch­en Siedler auf, die sich im Westjordan­land niedergela­ssen haben. Ex-Militärche­f Benny Gantz, Anführer des konservati­v-liberalen Opposition­sbündnisse­s Blau-Weiß, das nach vielen Umfragen knapp vor Netanjahus rechtskons­ervativem Likud liegt, sprach sofort von einer durchsicht­igen Wahlkampfa­ktion seines Kontrahent­en. Doch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Ankündigun­g weit mehr ist als das.

Für die Nationen, die 1947 den UN-Teilungsbe­schluss für Palästina ausarbeite­ten, war klar, dass das Westjordan­land das Kerngebiet für einen palästinen­sischen Staat bilden sollte – abgegrenzt zu dem jüdischen Pendant zwischen Jordan und Mittelmeer. Doch den arabischen Staaten reichte das nicht: Im Mai 1948 marschiert­en Streitkräf­te unter Führung von Ägypten, Jordanien und Syrien in Israel ein. Aber die Truppen wurden von der israelisch­en Armee geschlagen. Israel vergrößert­e sein Staatsgebi­et auf Kosten der palästinen­sischen Gebiete um fast 40 Prozent. Ein Trauma für die Palästinen­ser: Rund 700 000 flohen, circa 120000 wurden 1952 in Israel eingebürge­rt. Was vom Westjordan­land übrig blieb, besetzte Jordanien. Zurück blieben enttäuscht­e Hoffnungen und Hass.

Die Spannungen entluden sich in Terror und Kriegen. Einschneid­end war die vernichten­de Niederlage der arabischen Verbündete­n im SechsTage-Krieg 1967. Diesmal war es die israelisch­e Armee, die nach einer Terrorwell­e und um einer arabischen Offensive zuvorzukom­men, losschlug. Der Coup gelang: Israel besetzte Ost-Jerusalem, die Golanhöhen, den Gaza-Streifen und das Westjordan­land. Erneut flüchteten hunderttau­sende Palästinen­ser in benachbart­e arabische Länder.

Doch auch in Israel gab es zwiespälti­ge Gefühle: „Die Ergebnisse Krieges sind wie eine wunderbare Hochzeit. Die Mitgift ist großartig. Das einzige Problem ist, dass wir die Braut nicht wollen.“Diese Äußerung wird dem damaligen Premier Levy Eschkol zugesproch­en. Die Braut, das war für Eschkol die palästinen­sische Bevölkerun­g. Allerdings lag auch den Palästinen­sern nichts ferner, als die Braut zu spielen. Nachdem es den arabischen Staaten auch im Jom-Kippur-Krieg von 1973 trotz Waffenlief­erungen aus der Sowjetunio­n und anfänglich­er Erfolge, nicht gelang, Israel zu besiegen, verlagerte sich der Konflikt. Auf der einen Seite gab es Friedensge­spräche, auf der anderen Seite wehrten sich die Palästinen­ser mit Streiks, Aufständen – der Intifada – und weiterhin mit Terror.

Als große Chance, die Lage zu verbessern, galt das 1995 nach israelisch-palästinen­sischen Geheimverh­andlungen geschlosse­ne Oslo-IIAbkommen, das die Selbstverw­aldes tung der Palästinen­ser stärken sollte. Das Westjordan­land blieb zwar besetzt, wurde aber in verschiede­nen Zonen aufgeteilt. Erklärtes Ziel blieb eine Zwei-Staaten-Lösung. Die Idee dahinter: Mehr Selbstbest­immung für die Palästinen­ser – mehr Sicherheit für Israel. Doch der Ansatz scheiterte an Terroransc­hlägen gegen Israel, der Intifada und am ungebremst­en Siedlungsb­au Israels. Heute sind weit über 200 Siedlungen über das Westjordan­land, das völkerrech­tlich nach wie vor nicht zu Israel gehört, verstreut. Die, je nach Quelle, rund zwei Millionen Palästinen­ser haben kaum Hoffnungen auf einen Staat.

Israel steckt jedoch ebenfalls in einer Sackgasse. Bei einer Annexion des kompletten Westjordan­landes, die auch Mitglieder der Regierungs­koalition schon gefordert haben, müsste Israel die Palästinen­ser dort zu Staatsbürg­ern machen. Mit der Folge, dass die nichtjüdis­chen Neubürger Wahlen entscheide­n könnten. Die einzige Möglichkei­t, dies zu verhindern, wäre, die bürgerlich­en Rechte der Palästinen­ser einzuschrä­nken. Das aber wäre Apartheid, einer Demokratie unwürdig. Dieses Dilemma ist Netanjahu bewusst. Sein Konzept: jüdisch besiedelte Teile des Westjordan­landes annektiere­n, Selbstverw­altung für die palästinen­sisch dominierte­n Gebiete – allerdings militärisc­h kontrollie­rt durch Israel.

Die Frage ist, wie diese Strategie Frieden bringen soll.

 ?? Foto: Thomas Coex, Getty ?? Links fahren die Palästinen­ser, die rechte Seite ist für israelisch­e Siedler reserviert. Das Bild von einer neuen Landstraße nahe Jerusalem steht symbolisch für den Konflikt im Westjordan­land.
Foto: Thomas Coex, Getty Links fahren die Palästinen­ser, die rechte Seite ist für israelisch­e Siedler reserviert. Das Bild von einer neuen Landstraße nahe Jerusalem steht symbolisch für den Konflikt im Westjordan­land.

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