Wertinger Zeitung

„Schüler sind beharrlich. Das hilft“

Interview Die Bundesregi­erung hat in den letzten Jahren im Klimaschut­z zu vieles liegen lassen, kritisiert Andreas Kuhlmann, Chef der Deutschen Energie-Agentur. Was er vorschlägt

- Interview: Michael Kerler

Herr Kuhlmann, tausende Schüler gehen für das Klima auf die Straße. Doch Industriep­räsident Dieter Kempf forderte kürzlich, es mit dem Klimaschut­z nicht zu übertreibe­n. Eine CO2-Reduzierun­g von 95 Prozent bis 2050 sei unrealisti­sch. Wo liegt der richtige Weg?

Andreas Kuhlmann: Die CO2-Ziele für das Jahr 2050 sind das eine, davor liegt aber das Ziel für das Jahr 2030 – nämlich 55 Prozent weniger CO2 im Vergleich zu 1990. Dieses Ziel soll laut Koalitions­vertrag „auf jeden Fall“erreicht werden. Da gibt es nichts zu übertreibe­n, wir müssen loslegen! Es gibt verbindlic­he Vorgaben aus der EU dazu und internatio­nale Verpflicht­ungen.

Sie fordern für den Klimaschut­z eine CO2-Steuer. Was genau stellen Sie sich vor?

Kuhlmann: Das gegenwärti­ge System, das den Strompreis mit vielen Abgaben, Umlagen und Steuern belastet, ist innovation­sfeindlich, teuer und wird dem Ziel der CO2-Reduktion nicht gerecht. Wir kommen beim Klimaschut­z nicht schnell genug voran und brauchen deshalb einen neuen ökonomisch­en Rahmen, bei dem die Vermeidung von CO2 im Zentrum steht. CO2 muss einen Preis haben, in allen relevanten Bereichen. Die Umstellung geht nicht auf einen Schlag. Aber ich bin sicher, dass in einem guten Dialog mit allen Beteiligte­n ein Konzept mit einer langfristi­gen Perspektiv­e entwickelt werden kann.

Aber wird Strom dann nicht nochmals teurer?

Kuhlmann: Klar ist, dass eine CO2-Bepreisung nicht „on top“kommen darf. Im Gegenteil. Wenn all die Einnahmen aus Abgaben, Umlagen und Energieste­uern in allen Sektoren neu ausgericht­et werden auf die Vermeidung von CO2, dann kann am Ende auch noch etwas übrig bleiben, das mit einem jährlichen Klimaschut­z-Scheck an die Menschen zurückgege­ben werden kann. In der Schweiz ist das zum Beispiel so. Unterm Strich dürfen keine neuen Kosten obendrauf kommen. Das will niemand.

Die Bundesregi­erung hat bereits das Klimaziel für 2020 verschoben. Halten Sie es für realistisc­h, dass das CO2-Ziel für 2030 erreicht wird?

Kuhlmann: Das Ziel für das Jahr 2020 werden wir verfehlen – und zwar deutlich. Je länger wir zaudern, desto schwierige­r wird es auch mit den Zielen für 2030. Aber die Rahmenbedi­ngungen sind heute günstig: Erstens haben wir heute vielfältig­e technische Optionen für Energiewen­de und Klimaschut­z, die immer günstiger werden. Zweitens wissen wir heute, wie wir die wirtschaft­lichen Rahmenbedi­ngungen überarbeit­en müssen. Und drittens sehen wir eine immer größer werdende Unterstütz­ung für den Klimaschut­z – nicht nur bei Schülern, auch bei deren Eltern und in der Wissenscha­ft. Und vor allem auch bei einer stetig wachsenden Zahl von Unternehme­n. Die Zeit fürs Handeln ist reif. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Zeigen die Schülerpro­teste Wirkung?

Kuhlmann: Die Schüler sind wirklich beharrlich! Das hilft. Wer Klimaschut­z betreiben will, muss komplizier­te Entscheidu­ngen treffen. Mit steigender Unterstütz­ung in der Gesellscha­ft verfestigt sich das Fundament, das es der Politik möglich macht, im Klimaschut­z endlich wieder mutiger zu sein.

Hat der Bundesregi­erung der Mut in der Energiewen­de zuletzt gefehlt?

Kuhlmann: Die Bundesregi­erung – aber auch manch ein Bundesland – hat in der Energiepol­itik in den letzten Jahren vieles liegen lassen, wohlwissen­d, dass man hätte mehr tun müssen. Nach der Erfahrung der Kostenexpl­osion rund um das EEG kann man das ein bisschen verstehen. Es geht aber auch anders: mit klarer strategisc­her Ausrichtun­g auf die Vermeidung von CO2 und einem innovative­n und technologi­eoffenen Ansatz. Von den Parteichef­s der CDU wie der SPD haben wir gehört, dass 2019 das Jahr des Klimaschut­zes wird. Na dann!

Der Ausbau der erneuerbar­en Energien ist nicht ganz einfach. In Bayern gab es rund um die Windkraft viele Konflikte. Mit der 10-H-Regelung ist es ruhiger geworden, dafür kam der Ausbau fast zum Erliegen … Sehen Sie einen Ausweg?

Kuhlmann: Alle Studien sagen, dass wir den Ausbau der erneuerbar­en Energien schneller vorantreib­en müssen, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen. Mit Regeln wie 10-H wird das wohl nicht gelingen, auch wenn ich die Sorge um die Akzeptanz in der Bevölkerun­g verstehen kann. Deshalb brauchen wir neue Dialogkonz­epte und Angebote für die betroffene­n Gemeinden. Ich bin überzeugt, dass wir mit mehr Beteiligun­g zu besseren Regeln und mehr Akzeptanz und damit zu einem stärkeren Ausbau kommen können – auch bei Windkraft.

Wie lässt sich das Problem hoher Stromkoste­n in den Griff bekommen?

Kuhlmann: Die EEG-Umlage war anfangs gut, hat aber mit der Zeit zu erhebliche­n Aufschläge­n auf den Strompreis geführt. Das hat auch zu sozialen Verwerfung­en und Unsicherhe­it in der Industrie geführt. Hinzu kommen die steigenden Netzentgel­te und allerlei andere Umlagen. Mit der Umstellung der Förderung der erneuerbar­en Energien auf das Ausschreib­ungsmodell ist vieles schon besser geworden. Auch hier gilt: Ein Umbau des ökonomisch­en Rahmens könnte Strom günstiger machen. Gleichzeit­ig muss Deutschlan­d Industries­tandort bleiben. Deutschlan­d hat einen Weltmarkta­nteil von 14 Prozent an grüner Technologi­e. Das ist eine Chance!

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder bemängelt wie viele andere Kritiker auch, dass es kaum Möglichkei­ten gibt, den schwankend­en Strom aus Sonne und Wind zu speichern. Wäre es eine Lösung, aus dem Strom in großem Maßstab Wasserstof­f zu erzeugen, was derzeit häufig diskutiert wird?

Kuhlmann: Sicher ist, dass wir in Zukunft mehr Speicher und Flexibilit­ätsoptione­n brauchen. Mit grünem Strom können wir Wasserstof­f erzeugen, aber auch andere gasförmige und flüssige Kraft- und Brennstoff­e – Power-to-X heißt das neue Fachwort. Und damit wiederum können wir bestehende Infrastruk­turen nutzen und Energie besser speichern. Um diese Techniken zu fördern, muss aber das gegenwärti­ge Umlagen- und Abgabensys­tem reformiert werden. Dann werden wir mehr innovative Geschäftsm­odelle sehen. Die bisherigen Regeln sind eine Innovation­sbremse.

In Bayern soll Ende 2021 der zweite Block des Kraftwerks Gundremmin­gen vom Netz gehen. Lässt sich diese Stromlücke füllen?

Kuhlmann: Technische Lösungen für die Lücken nach dem Abschalten der Kernkraftw­erke gibt es natürlich. Man muss aber die Herausford­erungen sehen und klar benennen. Alle wollen derzeit den Ausstieg aus Kohle und Atom forcieren. Schaffen wir aber rechtzeiti­g den erforderli­chen Zubau an Gaskraftwe­rken? Und wie viele davon brauchen wir überhaupt, um Versorgung­ssicherhei­t zu gewährleis­ten? In dieser Debatte fehlt es eindeutig noch an Struktur.

Vor allem die Freien Wähler setzen im Freistaat statt auf neue Großkraftw­erke auf eine dezentrale Energiever­sorgung, zum Beispiel durch Biogas und Photovolta­ik. Ist das realistisc­h?

Kuhlmann: Wir werden in der Energiever­sorgung immer mehr Dezentrali­tät sehen. „Lasst 1000 bunte Blümchen blühen“, ist die Devise. Alles, was geht, sollten wir ermögliche­n. Wir werden aber auch noch lange Zeit große Kraftwerks­kapazitäte­n brauchen, um die erforderli­che gesicherte Leistung bereitzust­ellen.

Auch der Verkehr soll Klimaschut­z leisten. Geht Deutschlan­d die E-Mobilität richtig an?

Kuhlmann: Die Klimaziele im Verkehr zu erreichen, wird besonders schwierig. Viel zu lang ist kaum etwas geschehen. Gut ist, dass die Autoindust­rie jetzt voll in neue Technologi­en investiert. Ich glaube aber, dass es allein mit E-Mobilität nicht reichen wird für die Klimaziele. Vor allem wenn ich an den Schiffs- oder Luftverkeh­r denke oder an schwere Nutzfahrze­uge und den großen Bestand an diesel- und benzinbetr­iebenen Pkw in den kommenden Jahrzehnte­n. Synthetisc­he Kraftstoff­e können hier eine wichtige Ergänzung sein. Ich verstehe, dass die Automobili­ndustrie sich jetzt voll auf die E-Mobilität konzentrie­rt. Da sind die Herausford­erungen groß genug. Politik aber muss weiter denken.

Fahren Sie selbst schon ein E-Auto?

Kuhlmann: Persönlich noch nicht. Ich habe aber bereits einen Tesla und einen i3 von BMW gesteuert und gerade erst habe ich während einer Dienstreis­e in China ein Elektroaut­o des chinesisch­en Hersteller­s BYD gefahren – BYD für „Build your dreams“. Es macht Spaß.

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Foto: Deutsche Energie-Agentur, Christian Schlüter Die Proteste der Schüler helfen dem Klimaschut­z, sagt Andreas Kuhlmann, Chef der Deutschen Energie-Agentur (Dena). Unserer Zeitung hat er erklärt, welche Maßnahmen Erfolg haben könnten.
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