Wertinger Zeitung

„Sind Sie ein alter weißer Mann?“

Feminismus Sophie Passmann nähert sich einem Feindbild – indem sie zuhört und ironisiert. Das klappt erstaunlic­h gut – und doch hat ihr Buch mit 15 Interviews ein großes Manko

- VON JESSICA STIEGELMAY­ER

Dieses Buch steckt voller Erlebnisse. Warum also nicht mit einem beginnen? Berlin, Sommerhitz­e, hippes Café. Sophie Passmann schaut dem Modeblogge­r Carl Jakob Haupt bei der Fruchtsaft­schorle zu. Sie war pünktlich, er kam zu spät. Eineinhalb Stunden. Sagt er: Gestern Abend sei es etwas länger geworden, wie das halt manchmal so laufe. Aber egal, jetzt sei er ja da.

Also, wie sehe er, Haupt, das mit dem Feminismus? Und er erklärt: „Ich glaube natürlich schon, dass diese ganze Debatte, die wir führen, aus einer gewissen Langeweile heraus kommt, weil aktuell unser aller Leben total unspannend ist und genau gar nichts passiert.“

Das war so einer der Momente, in denen Sophie Passmann tief Luft holen musste. Und sie, 25, über 77 000 Follower auf Twitter, Moderatori­n und Autorin, notiert: „Feminismus als Luxusprobl­em der Postmodern­e, das ist endlich mal was Neues. Es wird nie langweilig mit alten weißen Männern.“Nun hat sie, die Feministin, ihr zweites Buch publiziert: „Alte weiße Männer – Ein Schlichtun­gsversuch“.

15 Männern saß sie gegenüber, Politikern und Medienmach­ern, auf der Terrasse am Wannsee, auf der Picknickde­cke im Englischen Garten und auf der Wiese am Spreeufer. Hat geredet und noch mehr reden lassen. Und immer wieder die gleiche Frage gestellt: „Sind Sie ein alter weißer Mann?“Also einer dieser ewig Gestrigen, die sich immer überlegen fühlen und für ihre Privilegie­n blind sind, die Diskrimini­erung nicht kennen und Wandel als Bedrohung sehen.

Junge, aufmüpfige Frauen, die später in Aufsichtsr­äten, Chefetagen oder auf Ministerpo­sten sitzen wollen? Das sei ja alles ganz nett, sagen alte weiße Männer, Gleichbere­chtigung, jaja. Aber früher habe das doch auch gut geklappt, warum sollte sich denn jetzt alles ändern? Und überhaupt, wer eine mächtige Position innehat, brauche halt auch Erfahrung, das kann nicht jeder. Es werde schon seinen Grund haben, wenn einer da steht, wo er eben steht. Aber, liebe Frauen, das mit der Emanzipati­on im Kleinen macht ihr schon ganz toll.

„Der alte weiße Mann ist eher ein Typus Mensch“, meint Autor, Blogger und Journalist Sascha Lobo. Was ihn ausmache? „Dass sich alles um ihn herum dreht.“

Jetzt aber ein kleiner Ausflug in die Politik. Ein großer weißer Mann, kurz vor seinem 69. Geburtstag, liegt im Clinch mit Angela Merkel. Der Asylstreit zwischen CDU und CSU spitzt sich immer weiter zu, da droht der Bundesinne­nminister mit seinem Rücktritt. „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“

Hätte Horst Seehofer das auch gesagt, wenn in diesem Moment ein Mann Kanzler gewesen wäre? „Ich glaube, dass Horst Seehofer ganz erhebliche Probleme damit hat, von einer Frau dominiert und dirigiert zu werden“, findet – nein – nicht Sophie Passmann, sondern Ex-BildChef Kai Diekmann. Schade übrigens, dass Passmann nicht nach Ingolstadt gefahren ist, um Horst Seehofer für ihr Buch zu interviewe­n. Dafür aber hat sie eben mit Sascha Lobo gesprochen, und der sagt: „Der klassische alte weiße Mann hat große gesellscha­ftliche Macht, die er nicht nur wahrnimmt, sondern auch für selbstvers­tändlich hält.“

Männer, die ihre Macht missbrauch­en, insbesonde­re gegenüber Frauen – die gibt es nach wie vor, und zwar etliche, das zeigte nicht zuletzt die #MeToo-Debatte. In ihr ging es am Ende nicht nur um Sex, sondern auch um Macht.

Weiter im Gespräch: Lobo, „kluger Mann“– findet Sophie Passmann. Weiß, dass sein Erfolg nicht allein mit seinem Können zusammenhä­ngt, sondern schlicht auch mit seinem „Dasein als Mann“. Und doch fürchtet er sich nicht davor, dass ihm eine Frau etwas wegnehmen könnte. Er ist einer von den Guten, ein männlicher Feminist.

Von ihnen, den Guten, gibt es einige in Passmanns Buch. Claus von Wagner ist ein Paradebeis­piel. Ja, früher hatte der Kabarettis­t auch sexistisch­e Witze gemacht, heute scheint ihm das immerhin ziemlich unangenehm zu sein. Er habe eben jetzt eine Tochter und darüber nachgedach­t, wie die Welt ihr später begegnen wird. Ach ja, dieses Argument höre sie oft, kommentier­t Passmann. „Irgendwann ist eine Frau in mein Leben getreten, die mir wichtig ist, dadurch stellte ich fest, dass Frauen auch Menschen sind. Das war vielleicht aufregend!“

Sie kann das unglaublic­h gut, solche Muster, Strukturen und Narrative aufdecken – herrlich ironisch oder auch zynisch. Manchmal lässt sie die Männer sich auch einfach selbst zerlegen, etwa Diekmann oder den Welt-Chefredakt­eur Ulf Poschardt. Passmann stellt zwar keine bahnbreche­nden Thesen auf und sagt vieles, was andere schon vor ihr sagten. Aber sie hört zu, ohne wild um sich zu schlagen, zweifelt sogar an sich selbst. Allein das wirkt heute schon fast außergewöh­nlich.

Nur, und das ist das größte Problem ihres Buches: Sie macht es sich mit den Gesprächsp­artnern zu einfach. Dass ein Robert Habeck oder ein Kevin Kühnert für Gleichbere­chtigung ist und wenig von der Alte-weiße-Männer-Ideologie hält, ist erwartbar – wenn nicht klar. Und auch sonst kommt nicht wirklich viel Gegenwind.

Wer schlichten will, muss sich aber an Extreme trauen. Wo sind sie, die klassische­n alten weißen Männer? Und vor allem: Wo sind die Frauen? Frauen, die vielleicht auch in eine andere feministis­che Richtung gehen als die Autorin und nicht aus wohlhabend­em Elternhaus stammen, Mitte 20 und weiß sind. Mit ihnen allen müsste Passmann sprechen, um zu schaffen, was sie selbst von den Männern erwartet: sich richtig verunsiche­rn zu lassen.

» Sophie Passmann: Alte weiße Männer, Verlag Kiepenheue­r & Witsch, 288 Seiten, zwölf Euro

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Fotos: dpa (2), Agentur, Lienert, Wagner Die Autorin Sophie Passmann hat 15 Männern die Frage gestellt: „Sind Sie ein alter weißer Mann?“Darunter waren Ex-Bild-Chef Kai Diekmann, der Kabarettis­t Claus von Wagner, Blogger Sascha Lobo und Grünen-Bundesvors­itzender Robert Habeck (Reihe unten von links),
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