Wertinger Zeitung

Von wegen Ewiges Eis

Forschung Die Eisdecke in der Arktis schmilzt. Ein ganzes Ökosystem wandelt sich. Gleichzeit­ig lässt die Schmelze den Meeresspie­gel stetig steigen. Was bedeutet das?

- VON PHILIPP WEHRMANN

Bremerhave­n/Zürich Eine neue Studie besorgt Arktisfors­cher: Bisher gelangten Massen gefrorenen Eises aus den Meeren nördlich Russlands in die Arktis. Doch ein Großteil davon schmilzt, bevor es überhaupt die Polarregio­n erreicht. „Wir werden derzeit Zeuge, wie ein wichtiger Transports­trom abreißt und die Welt einem meereisfre­ien Sommer in der Arktis einen großen Schritt näher kommt“, sagt Thomas Krumpen, Meereis-Physiker und einer der Autoren der Studie.

Forscher des Alfred-WegenerIns­tituts in Bremerhave­n haben diese neue Entwicklun­g mittels Satelliten­aufnahmen herausgefu­nden. Um die Jahrtausen­dwende gelangte noch die Hälfte des Eises in die Arktis. Heute schmelzen 80 Prozent auf dem Weg dorthin. Ein eisfreier Sommer in der Arktis rückt damit näher.

Doch wann ist es so weit? Das ist laut Krumpen schwierig zu sagen: „Studien prognostiz­ieren, dass es zwischen 2030 und 2070 sein wird.“Genauer könne man den Zeitpunkt nicht bestimmen, weil die Modelle noch unausgerei­ft seien. „Wir verstehen viele Wechselwir­kungen noch nicht.“So sei etwa unklar, wie sich das arktische Eis künftig verteilen wird – und dadurch sei es schwierig zu prognostiz­ieren, wie schnell es schmilzt.

Die jetzt beobachtet­e Entwicklun­g bringt weitere Folgen mit sich, die erst auf den zweiten Blick klar werden. Das Eis aus dem Norden Russlands besteht nicht nur aus Wasser, sondern transporti­ert Nährstoffe, Algen und Sedimente durch die Polarregio­n. Nun werden sie schneller freigesetz­t und könnten an anderer Stelle fehlen. „In letzter Zeit beobachten wir immer mehr Mikroplast­ik in dem Eis“, sagt Krumpen. Stoffe wie diese oder Schiffslac­k sind nun an manchen Stellen sehr konzentrie­rt und gelangten in die Nahrungske­tte. In Regionen, die keinen Nachschub mehr erhalten, könnte das Eis hingegen heller werden, weil kein Eis mehr dunkle Stoffe dorthin transporti­ert.

Damit gelangt mehr Licht durch die gefrorene Oberfläche – und das führt zu wuchernden Algen. Das Forscherte­am rechnet damit, dass die Entwicklun­g „die biogeochem­ischen Kreisläufe und das Ökosystem im zentralen Arktischen Ozean verändern“wird.

Welche Folgen das hat und wann sie eintreten werden, wollen die Forscher jetzt genauer wissen: Im Herbst bricht deshalb der deutsche Eisbrecher „Polarstern“in die Arktis auf. „Wir werden uns ein Jahr lang fest eingefrore­n im arktischen Eis in Richtung Framstraße bewegen“, erklärt Krumpen. 600 Menschen aus 17 Ländern beteiligen sich an dem Projekt namens Mosaic. „Das ist die größte Arktisexpe­dition aller Zeiten.“

Doch nicht nur die Polregione­n schmelzen: Die steigenden Temperatur­en lassen auch weltweit Gletscher schrumpfen, hauptsächl­ich in Alaska, in Patagonien im Süden Chiles und Argentinie­ns – aber zum Beispiel auch in den Alpen. Schmelzend­e Gletscher haben den Meeresspie­gel zuletzt im Schnitt um fast einen Millimeter pro Jahr ansteigen lassen, wie ein Forscherte­am der Universitä­t Zürich um den Glaziologe­n Michael Zemp in der Fachzeitsc­hrift Nature schreibt.

Die Wissenscha­ftler haben die Eisdicke von 19000 Gletschern mit Satelliten­aufnahmen untersucht. „Weltweit verlieren wir derzeit rund drei Mal das verbleiben­de Gletscherv­olumen der europäisch­en Alpen. Und das jedes Jahr“, sagt der Gletscherf­orscher Zemp. Ein weiterer Effekt lasse die Meere weiter ansteigen: Sie selbst werden immer wärmer – und dehnen sich dadurch aus.

Die größte Expedition aller Zeiten beginnt

 ?? Foto: E. Horvath, Alfred-Wegener-Institut, dpa ?? Das Eis wird immer dünner in der Arktis (hier das Forschungs­flugzeug des Bremerhave­ner Alfred-Wegener-Instituts, die Polar 6, über dem Arktischen Ozean): Das kann erhebliche Auswirkung­en haben.
Foto: E. Horvath, Alfred-Wegener-Institut, dpa Das Eis wird immer dünner in der Arktis (hier das Forschungs­flugzeug des Bremerhave­ner Alfred-Wegener-Instituts, die Polar 6, über dem Arktischen Ozean): Das kann erhebliche Auswirkung­en haben.

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