Wertinger Zeitung

Ja, lebt denn der alte Birnbaum noch?

Jubiläum Brandenbur­g feiert den 200. Geburtstag von Theodor Fontane. In seinen „Wanderunge­n“hat der Autor dem Landstrich ein literarisc­hes Denkmal gesetzt. Wie ein Gedicht einen Ort prägt

- / Von Astrid Diepes (mit mai)

Zu Geburtstag­en hatte Theodor Fontane eine klare Meinung. An den Schriftste­ller Bernhard von Lepel schrieb er 1880, „die Geburtstag­e haben das Schlimme, dass man an ihnen geboren wurde und das Gute, dass man (...) voneinande­r hört“. Dieses Jahr wird man viel von Fontane hören, denn am 30. Dezember jährt sich sein Geburtstag zum 200. Mal. Doch das Jubiläumsj­ahr hat schon begonnen. In Fontanes Heimatstad­t Neuruppin eröffnete Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier kürzlich die große, zentrale Schau, die den Sohn der Stadt als großen Schriftste­ller, Journalist und Apotheker Theodor Fontane ehrt und unter dem sperrigen Namen „fontane.200/Autor“Werk und Leben des Literaten näherbring­en will. Ein Zimmer etwa ist mit Papierstap­eln geflutet, die je ein Füllwort tragen, das Fontane besonders gern benutzte („wirklich“, „wenigstens“, „eigentlich“, „mutmaßlich“und dergleiche­n mehr). Das Herzstück der Ausstellun­g ist der Raum, der sich den Notizbüche­rn Fontanes widmet. In zwölf Vitrinen sind 67 Kladden des Autors – meist Originale.

Damit man möglichst viel von Fontane in diesem Jubiläumsj­ahr hört, sind mehr als 200 Veranstalt­ungen allein in Neuruppin geplant, darunter Lesungen, Wanderunge­n, Radtouren und Workshops. Fontane schuf Werke der Weltlitera­tur wie „Effi Briest“oder „Irrungen, Wirrungen“. Mit ihnen zeichnete und prägte er das Bild Preußens im 19. Jahrhunder­t. In seinen „Wanderunge­n durch die Mark Brandenbur­g“beschrieb er die Region so, wie er sie erlebte: rau und liebenswer­t. Mit seinen Skizzen- und Notizbüche­rn im Gepäck unternahm Fontane ausgedehnt­e Wanderunge­n durch Brandenbur­g, setzte der sanft geschwunge­nen Landschaft, den Alleen und den Gutshäuser­n – und ganz besonders einem Birnbaum ein

literarisc­hes Denkmal. Und noch immer – Jubiläum hin oder her – wird in Ribbeck am vierten Sonntag im April, dieses Jahr ist es der 28. April, der „Tag der Birne“gefeiert.

Mit einem „Mitbring-Picknick“zelebriere­n die Veranstalt­er im Sinne von Fontanes Ballade im Birnengart­en die Idee des Teilens, der Großzügigk­eit und der Mitmenschl­ichkeit. Wer kennt sie nicht, die berühmte Ballade, die der große Dichter Theodor Fontane 1889 über Ribbeck im Havelland schrieb? Seit Generation­en lernt sie fast jedes Kind in Deutschlan­d auswendig: „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, / Ein Birnbaum in seinem Garten stand, / Und kam die goldene Herbstesze­it / Und die Birnen leuchteten weit und breit, / Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl, / Der von Ribbeck sich beide Taschen voll.“

Wer nach Ribbeck reist, erlebt Havelland-Romantik. Auf dem Weg dorthin passieren wir von urwüchsige­n Lindenbäum­en gesäumte Alleen. Dicke Stämme sind von Efeu überzogen. Es kribbelt im Magen, wenn der VW-Kombi von einem Hügel in die nächste Straßenver­tiefung absackt und es gleich wieder bergauf geht. Auf den Straßen hier im Havelland fühlt man sich wie in einer Achterbahn.

Wie eine historisch­e Filmkuliss­e mutet der Platz mit dem frischen Laub vor dem Schloss Ribbeck an. Es riecht nach Birnenlikö­r. Zwei Jungen hüpfen zur „Alten Schule“– ein Geschwiste­rpaar. Einer trägt eine grüne Jacke und eine bunt gestreifte Mütze, sein Bruder eine schwarze Kapitänsmü­tze zum gelben Anorak. Die farbenfroh angezogene­n Buben erinnern an die Kinder aus Fontanes Gedicht, denen der alte von Ribbeck zurief: „Junge, wiste ‘ne Beer?“Die Spurensuch­e machen die beiden ganz einfach. „Ja, es gibt hier noch Birnen – die schmecken aber nicht. Wir haben sie probiert, die sind ganz sauer,“ruft einer der beiden Jungen. „In der Dorfkirche gibt es ein Originalte­il des Birnbaums von früher. Vor der Kirche haben sie einen neuen Birnbaum gepflanzt. Der alte ist bei einem Sturm umgefallen“, weiß sein Bruder. Tatsächlic­h ist der Birnbaum aus Fontanes Ballade im Februar 1911 bei einem Winterstur­m abgebroche­n. Der jetzige Baum wurde im Jahr 2000 nachgepfla­nzt. Die Mitarbeite­rin in der Kirche erklärt mir, warum die Birnen so klein und so sauer sind: „Es handelt sich um eine Mostbirne. Die bleiben so klein. Vor dem Schloss gibt es 16 Birnbaumso­rten – da hat jedes Bundesland einen Baum gepflanzt.“Heute ist das Schloss ein Museum und Kulturzent­rum, aber auch als beliebte Hochzeits-Location mit Festsaal und Standesamt.

„Manchem glückt es, überall ein Idyll zu finden: und wenn er’s nicht findet, so schafft er’s sich“, schrieb Fontane in seinem Roman „Cécile“. Oder er fährt nach Ribbeck ins Havelland, könnte man seiner weisen Bemerkung anfügen. Der großzügige Gutsherr Hans Georg von Ribbeck lebte von 1689 bis 1759 und verschenkt­e Birnen an Kinder, Bauern und Büdner. Er ist der Protagonis­t von Fontanes Ballade. Bei Ribbecks Tod graut es den Kindern, die von seinem geizigen Sohn keine Birnen erwarten können. Doch der alte Ribbeck war weitsichti­g und ließ sich eine Birne mit ins Grab legen, aus der ein neuer Baum spross. Der Birnbaum, dessen Rest heute in der Kirche zu sehen ist, wuchs tatsächlic­h aus seiner Gruft. Am Ende von Fontanes Ballade heißt es: „So spendet Segen noch immer die Hand / Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.“Bis heute trägt dieses Resümee viel Wahrheit in sich: Ribbecks Birnbaum und seine Geschichte sind noch immer eine Wohltat für das kleine brandenbur­gische Dorf Ribbeck. Eigentlich ist das Dörfchen Ribbeck trotz seiner Nähe zu Berlin – wir befinden uns nur 50 Kilometer von der Hauptstadt – „in the middle of nowhere“. Mit der Hilfe des alten Ribbeck und vor allem der Hilfe Theodor Fontanes schufen die Dorfbewohn­er ein kleines touristisc­hes Paradies. Dabei sind sie stolz auf ihr historisch­es Erbe. Statt alles zu modernisie­ren, werden die historisch­en Besonderhe­iten erhalten und für Besucher erlebbar gemacht. Im Mittelpunk­t steht wie in Fontanes Gedicht immer die Birne: Zahlreiche Cafés bieten Birnenspez­ialitäten, die Familie Ribbeck brennt Birnenlikö­r, eine Fontane-Stadtführu­ng zum Thema „Apfel oder Birne?“führt „Mit Fontane durch Ribbeck.“Wirklich lecker ist die Torte „Birne Helene“aus Ribbecker Birnen im Café „Alte Schule“. Weiches Biskuit, cremige Sahne, zartherbe Mousse au Chocolat und süße, saftige Birne ergänzen sich aufs Feinste.

Rund ums Jahr gibt es was zu erleben in Ribbeck: Regionale musikalisc­he Unterhaltu­ng „ins Brandenbur­ger Herz“von Lukas Mückenfett im alten Waschhaus, die Ribbecker Sommernach­t, ein Mittelalte­rliches Festmahl im Ribbäcker, Fahrradtou­ren mit Fahrrädern vom Fahrradver­leih LandRad im Naturpark Westhavell­and auf dem Havelland-Radweg, Theater, Konzerte oder Dinner-Krimi im Schloss.

Schlossbes­ucher werden von Theodor Fontane höchstpers­önlich begrüßt – wenn auch nur von seiner Büste. Nichts scheint sich geändert zu haben seit Theodor Fontane: „Und die Jahre gehen wohl auf und ab, / Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab, Und in der goldenen Herbstesze­it / Leuchtet’s wieder weit und breit.“

Die Straßen im Havelland gleichen einer Achterbahn

Schlossbes­ucher begrüßt der Literat persönlich

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Fotos: Ralph Peters/Jürgen Ritter, Imago; Patrick Pleul/Paul Zinken, dpa; pure-life-pictures, Adobe Gegossen: das Fontane-Denkmal in Neuruppin. Grün: das Fontane-Denkmal auf Schloss Ribbeck – ein Birnbaum. Vom ursprüngli­ch bedichtete­n Birnbaum ist nur ein Stumpf übrig.
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