Wertinger Zeitung

Krank auf Kreuzfahrt. Und jetzt?

Schiffsrei­se Was lässt sich auf hoher See überhaupt behandeln? Die Bordhospit­äler gelten als gut ausgestatt­et

- VON KARIN WILLEN

Krank auf der Kreuzfahrt? Das kann teuer werden. Denn auf See wird bis zum neunfachen Satz der Gebührenor­dnung für Ärzte (GOÄ) abgerechne­t. Mit Auslandskr­ankenversi­cherung kein Problem, könnte man denken.

Aber: „Immer mehr Versicheru­ngen sind nicht bereit, solche oftmals unbegründe­t hohen Behandlung­skosten zu begleichen“, sagt Christian Ottomann, Chirurg, langjährig­er Schiffsarz­t und Leiter der Schiffsarz­tbörse, die Ärzte für Einsätze auf See schult und vermittelt. Im Zweifel müssen Passagiere bei Erkrankung­en tief in die Tasche greifen. „Ein Arztbesuch auf der Kabine – und schon sind 180 Euro fällig.“Selbst wer seine Medikament­e zu Hause vergessen hat, bekommt sie an Bord nur nach einer kostenpfli­chtigen Arztkonsul­tation. Große Kreuzfahrt­schiffe werden gern „schwimmend­e Dörfer“genannt. Mit Blick auf die medizinisc­he Versorgung geht es den Passagiere­n aber deutlich besser als in so manchem Dorf.

Bei Norwegian Cruise Line (NCL) teilen sich drei Ärzte und drei Krankensch­western die Arbeit auf Ozeanriese­n mit bis zu 4000 Passagiere­n. Der Kreuzfahrt­verband Cruise Lines Internatio­nal Associatio­n (Clia) empfiehlt, dass ab 800 Passagiere­n einer von mindestens zwei Ärzten Tag und Nacht in Bereitscha­ft sein sollte. Da dieser Standard nicht verbindlic­h ist, bestimmt jede Reederei selbst, wie viel Fachperson­al an Bord ist und was ein Schiffsarz­t können muss, der für Passagiere und Crew als Hausarzt fungiert. „In unserem Bordhospit­al arbeiten zwei Ärzte und zwei Krankensch­western sowie eine medizinisc­he Assistenti­n“, erklärt Johannes Babilas. Er ist leitender Schiffsarz­t auf der Mein-Schiff-Flotte von Tui Cruises. Labordiagn­ostik, Sonografie und digitale Röntgentec­hnik gehören da zum Standard. Zwei Betten stehen zur Behandlung und zwei für die intensivme­dizinische Behandlung bereit. „Zudem haben wir zwei Sprechzimm­er mit einer Behandlung­sliege, einen OP und eine sehr gut ausgestatt­ete Apotheke.“Laut Ottomann statten andere Reedereien ihre Schiffe ähnlich aus.

„Nicht jeder Schiffsarz­t kann die elaboriert­e Medizintec­hnik aber auch bedienen“, kritisiert der Experte. Zuweilen hapere es an der Zusatzausb­ildung der Allgemeinm­ediziner. Einige Reedereien beschäftig­ten etwa vorwiegend osteuropäi­sche Ärzte, die über eine geringere maritim-medizinisc­he Ausbildung verfügen. Anderersei­ts hat Tui Cruises eine telemedizi­nische Verbindung zum Universitä­tsklinikum Hamburg (UKE). Und die Ärzte bei Aida Cruises können sich bei Bedarf über Satellit Rat gleich von mehreren Krankenhäu­sern an Land holen. Als häufigste Anlässe, den Schiffsarz­t aufzusuche­n, nennen die Reedereien Erkältunge­n und Atemwegspr­obleme sowie Seekrankhe­it und kleinere Verletzung­en.

Bei Zahnproble­men können Schiffsärz­te zwar mit Schmerzmit­teln helfen, zur Behandlung müssen die Patienten aber einen Zahnarzt an Land konsultier­en. Und wenn der Fuß umknickt oder das Bein gebrochen ist? „Da die Ärzte notfallmed­izinisch ausgebilde­t sind, ist eine ordentlich­e Erstversor­gung an Bord gesichert“, sagt Berthold Petutschni­gg von der Universitä­t Graz. Der Chirurg und leitende Notarzt ist ärztlicher Berater von Tui Cruises und gehört der Akademie des Centrums für Reisemediz­in (CRM) an. Ob, wo und wann ein Patient ausgeschif­ft wird, wägt der Arzt nach medizinisc­hen Kriterien ab.

Aber auch Ort und Wetterlage spielen eine Rolle. „Nicht jedes Krankenhau­s in der Karibik ist beispielsw­eise in der Lage, die Patienten nach gewohntem westlichen Standard weiter zu versorgen“, erläutert Petutschni­gg. Es sei schon vorgekomme­n, dass den Patienten an Land geraten wurde, sich besser zu Hause weiterbeha­ndeln zu lassen. Er musste als Schiffsarz­t auch schon einen Intensivpa­tienten 30 Stunden lang intubieren, weil in der Nähe kein gutes Hospital zur Verfügung stand. Ein offener oder komplizier­ter Beinbruch würde zur Ausschiffu­ng im nächsten Hafen führen, ein einfacher nicht unbedingt, wenn der Schiffsarz­t Chirurg ist.

Typische Anlässe, die Patienten nach der Erstversor­gung an Land zu bringen, sind Herzinfark­te und Schlaganfä­lle oder schwere Verletzung­en. Da die Kreuzfahrt­en sehr oft in Landnähe unterwegs sind, werden die Erkrankten in der Regel im nächsten Hafen ausgeschif­ft. Kooperiere­nde Agenturen stehen den Patienten dann zur Seite und kümmern sich auch um deren Heimreise. „Dass ein Helikopter einen Schwerkran­ken abholt, weil das Schiff sich gerade auf hoher See befindet, kommt höchst selten vor“, erklärt Ottomann.

Allgemeine reisemediz­inische Informatio­nen gibt es beim Centrum für Reisemediz­in https://www.crm.de/ Über den nötigen Impfschutz informiere­n auch die entspreche­nden Seiten des Auswärtige­n Amtes (www.auswaertig­es-amt.de).

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