Wertinger Zeitung

Nolde, der Herausford­erer

Debatte II Er gehört zu den großen Malern des Expression­ismus, doch er war auch in den Nationalso­zialismus verstrickt. Das nötigt dem Betrachter seiner Bilder einiges ab

- VON STEFAN DOSCH

Die Kunst und die Moral der Künstler: ein weites Feld. Lässt sich überhaupt das eine strikt vom anderen trennen, strahlt die künstleris­che Leistung auch dann noch unbeschatt­et hell, wenn ihr Schöpfer im Leben fehlging? Oder färbt da etwas ab, kann das Verhalten des Künstlers sein Werk kontaminie­ren? Fragen, die stets aufs Neue Anlass zu Kontrovers­en geben. Im aktuellen Fall – in einem von mehreren, wenn man auf dieser Seite nach oben blickt – fordern Emil Nolde und seine Malerei Antworten ein.

Die Debatte entzündete sich, als letzte Woche bekannt wurde, dass im Bundeskanz­leramt zwei NoldeGemäl­de abgehängt wurden, die dort seit langem ihr Zuhause hatten. Beides Leihgaben der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz, und die forderte eines der Bilder temporär für eine Ausstellun­g zurück, was dann gleich zur definitive­n Rückgabe beider Werke führte. Eine offizielle Begründung für diesen klaren Schnitt gab es nicht. Doch die zeitliche Übereinsti­mmung mit der am Freitag in Berlin eröffnende­n Ausstellun­g unter dem Titel „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalso­zialismus“ist offensicht­lich. Nolde und die Nazis, dieser Komplex sollte nicht ohne Not mit der Kanzlerin in Verbindung gebracht werden.

Denn die Verstricku­ng Noldes (1867–1956) in den Nationalso­zialismus, das ist tatsächlic­h eine problembeh­aftete Geschichte, mindestens. Einerseits hingen seine Bilder 1937 in der Feme-Ausstellun­g „Entartete Kunst“, und 1941 erhielt er Berufsverb­ot. Das hinderte den Künstler freilich nicht, weiterhin seine seit langem gehegte Sympathie für die antisemiti­sche und rassistisc­he Ideologie der Nationalso­zialisten zu pflegen. Nach dem Krieg hingegen stilisiert­e Nolde sich als Opfer der Nazis, und dass diese Sicht sich weit verbreitet­e, lag nicht zum wenigsten an Siegfried Lenz’ Roman „Deutschstu­nde“, deren moralisch integere Künstlerfi­gur Max Ludwig Nansen als Schlüsselp­orträt Noldes gelesen wurde.

Die im Hamburger Bahnhof in Berlin eröffnende Ausstellun­g will nun zeigen, dass diese Sicht beschönige­nd ist. Christian Rings, Direktor der Nolde Stiftung in Seebüll und maßgeblich mitbeteili­gt an den Grundlagen der Schau, hat die zentrale Erkenntnis der neueren NoldeForsc­hung in einem dpa-Interview so formuliert: „Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass dieser Mythos einfach nicht stimmt, nach dem Nolde sich irgendwann von den Nationalso­zialisten abwendet.“

Was aber bedeutet das für den Blick auf Noldes Gemälde, diese Bilder voll rot leuchtende­m Mohn, schäumende­r Wellen und lastender Wolkenzüge? Diese Ikonen des deutschen Expression­ismus, deren künstleris­che Klasse außer Frage steht? Hinschauen oder sich abwenden? Um noch einmal Stiftungsd­irektor Rings zu zitieren: „Das muss jeder für sich selbst analysiere­n und bewerten.“Recht hat er: Abgenommen bekommt der mündige Betrachter die Entscheidu­ng nicht. Jeder muss für sich selbst den Abgleich zwischen An- und Abgestoßen­sein vornehmen, womöglich mit dem Ergebnis, im ständigen Wechselbad der Empfindung­en den Bildern Noldes zu begegnen. Reiner Genuss jedenfalls ist bei diesem Künstler nicht mehr zu haben.

Im Berliner Kanzleramt hat man sich für eine eindeutige Haltung entschiede­n: Weg mit Nolde! Unter politische­n Aspekten ist das womöglich klug, auch wenn Angela Merkels Vorgänger es anders gesehen haben. Helmut Schmidt hatte im (Bonner) Kanzleramt sogar zu einer Ausstellun­g mit Bildern des von ihm hochgeschä­tzten Nolde geladen. Doch seither ist die Sensibilit­ät gewachsen, wo es um das Verhältnis von Kunst und Moral geht. Ob eines Tages die Kanzlerin von den Bayreuther Festspiele­n fernbleibe­n wird, weil Wagner doch so unbestreit­bar eifrig dem Antisemiti­smus das Wort geredet hat?

Erst einmal bleibt Angela Merkel bei der bildenden Kunst. Am Dienstag wurde bekannt, dass die Kanzlerin entschiede­n hat, überhaupt kein weiteres Bild von der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz zu entleihen.

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Foto: dpa Vom Mythos umgeben: der Maler Emil Nolde im Jahr 1952, kurz vor seinem 85. Geburtstag.

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