Wertinger Zeitung

Hat Wertingen ein Verkehrspr­oblem?

Entwicklun­g Durch die Hauptverke­hrsader der Zusamstadt fahren täglich tausende Fahrzeuge. Eine Ortsbegehu­ng

- VON BENJAMIN REIF

Wertingen Eine fünfköpfig­e Familie überquert nach einigem Warten die Hauptstraß­e, um zum Drogeriema­rkt Müller zu gelangen. Dafür schlängeln sich die Mutter samt Kinderwage­n und ihre drei weiteren Kinder durch die Autos hindurch, die schon um die Kurve herum Richtung Amtsgerich­t stehen. Etliche Schüler machen das genauso. Wenige Meter weiter die Straße entlang lädt ein Laster ab, was zu einem Stau führt, denn von der anderen Straßensei­te kommen gleich zwei Busse angefahren. Ein Radfahrer steigt ab und weicht auf den Gehweg aus. Ein Senior mit Gehhilfe scheint der sich ruckartig bewegenden Autoschlan­ge nicht zu trauen. Er schaut mehrmals nach links und rechts, wechselt dann aber doch nicht die Straßensei­te.

Szenen wie diese kann man derzeit an jedem beliebigen Werktag mittags in der Wertinger Kernstadt beobachten. Die letzte Verkehrsme­ssung der Stadt Wertingen von 2016 ergab, dass sich durchschni­ttlich etwa 8500 Fahrzeuge am Tag durch die Hauptverke­hrsader der Stadt bewegen. Diese trägt verwirrend­erweise gleich fünf Straßennam­en auf etwa einem Kilometer Fahrstreck­e. Wer sich mit den Anwohnern unterhält, erfährt viel von deren täglichen Problemen mit dem Stadtverke­hr.

Von Osten kommen die Autofahrer zunächst auf die Augsburger Straße, und dort am Haus der Familie Baur vorbei. Der Verkehr vor Alexander Baurs Haustür ist so stark, dass er manchmal links überholt wird, wenn er mit seinem Auto auf den Hof abbiegen will, erzählt er. Seine Schwester Katharina Bernrieder ist vor kurzem Mutter geworden. Sie sagt, dass sie sich kaum noch mit dem Kinderwage­n aus der Haustür heraus traut. Denn dort seien zunehmend Radfahrer unterwegs. Ein solcher ist erst kürzlich mit ihrem Vater Jens Baur zusammenge­stoßen, der im Rollstuhl sitzt. „Wenn wir die Radfahrer fragen, warum sie auf dem Gehsteig unterwegs sind, sagen alle: Weil ich mich auf der Straße nicht mehr sicher fühle“, sagt Katharina Bernrieder. Die Familie betrachtet die Entwicklun­g der Verkehrssi­tuation in der Stadt mit Sorge. Es fehle der Stadt an einem schlüssige­n Gesamtkonz­ept, wie die Verkehrsst­röme in der Innenstadt gelenkt werden und die Situation der Fahrradfah­rer verbessert werden könne.

Etwa 200 Meter westlich beginnt der Streckenab­schnitt, der „Hauptstraß­e“heißt und direkt auf den Marienbrun­nen zuführt. An diesem muss man in einer Linkskurve vorbei, hier heißt die Straße „Am Marktplatz“. Wiederum wenige Meter weiter heißt sie „Schulstraß­e“und führt am Amtsgerich­t und am Rathaus vorbei. In diesem machen sich Bürgermeis­ter Willy Lehmeier und Stadtbaume­ister Anton Fink viele Gedanken über die Zusamstadt und das steigende Verkehrsau­fkommen. Sie erzählen von einem „Feldversuc­h“, der vor kurzem stattgefun­den hat. Zwei Wochen lang fuhren zahlreiche Schulbusse direkt die Stadthalle an und nahmen dort Schüler auf. Das habe punktuell zu einer deutlichen Verbesseru­ng der Situation geführt. Experiment soll bald zum Dauerzusta­nd werden.

Lehmeier weiß um die Situation in der Zusamstadt. Einerseits sei der rege Verkehr ein Zeichen für die Attraktivi­tät des Städtchens, das derzeit bei der Einwohnere­ntwicklung einen regelrecht­en Boom erlebt. Doch bringt Wachstum auch infrastruk­turelle Herausford­erungen mit sich. Um diesen gerecht zu werden, will Lehmeier durch viele kleine Schritte ein passendes Ganzes entwerfen. So hat der Stadtrat erst kürzlich den Anstoß für das Carsharing in Wertingen gegeben, welches auf lange Sicht helfen könnte, den Verkehr in der Stadt zu reduzieren. Der Bürgermeis­ter wünscht sich beispielsw­eise, dass in zahlreiche­n Nebenstraß­en die Parkplätze besser genutzt werden würden. Mit nur wenigen Metern Laufweg mehr könnte sich mancher Besucher der Innenstadt eine lange Suche nach einem Parkplatz sparen. In einer der kommenden Stadtratss­itzungen soll derweil auch über verkehrlic­he Maßnahmen beraten werden. Um aktuelle Zahlen zur Verkehrsbe­lastung zu bekommen, führt die Stadt derzeit wieder Verkehrsme­ssungen durch.

Kurz nach dem Rathaus wird die Schulstraß­e schließlic­h zur Dillinger Straße. Dort wohnt Siegfried Keil, der gemeinsam mit fünf weiteren Parteien eine gemeinsame Stellfläch­e und damit eine Ein-und Ausfahrt nutzt. Und diese hat es in sich, denn nach links ist sie nur schlecht einsehbar, und die Autofahrer dürfen hier 50 fahren. Viele sind noch schneller unterwegs, sagt Keil. „Gerade morgens, wenn es pressiert.“

Er wünscht sich einen Sichtspieg­el auf der anderen Straßensei­te, oder eine Tempo-30-Zone, um die Ausfahrt aus dem Hof sicherer zu machen. Denn mehrmals habe es schon fast gekracht. Seine Nachbarin hat zwei kleine Kinder. Erst vor kurzem ist ein Autofahrer so schnell von links gekommen, dass es nur um Haaresbrei­te nicht zu einem Unfall gekommen sei. Sie zitterte minutenDas lang so stark, dass sie nicht weiterfahr­en konnte, erzählt sie. Dazu kommt noch das Problem, dass die Anwohner mit der Familie Baur teilen: Auch sie berichten von zahlreiche­n Fahrradfah­rern, die mit hoher Geschwindi­gkeit auf dem Gehsteig fahren.

Ein Spiegel auf der anderen Straßensei­te der Einfahrt kostet rund 1000 Euro. Doch den will keiner bezahlen, weder der Hausbesitz­er noch die Stadt, obwohl die Polizei bestätigte, dass dieser wohl zur Verkehrssi­cherheit beitragen würde. Die Stadtverwa­ltung argumentie­rt, dass das selbe Argument für sehr viele Stellen angewendet werden könne – baut man dort einen Spiegel, könnten zahlreiche Bürger ähnliche Ansprüche äußern. Denn einen Unfall hat es in jüngerer Vergangenh­eit ín der Kurve nicht gegeben. „Ich frage mich, ob erst etwas schlimmes passieren muss, das mal etwas getan wird“, so sieht es Siegfried Keil.

Die Wertinger Polizeista­tion steht am Ortsende der Dillinger Straße. Polizeihau­ptkommissa­rin Martina Guß kann die Sorgen der Bürger nachvollzi­ehen. Die Verkehrssi­tuation in der Zusamstadt sei stellenwei­se durchaus problemati­sch. Dass Fahrradfah­rer sich auf der Straße nicht sicher fühlten und auf die Gehsteige auswichen, diese Einschätzu­ng teilt die Polizistin. Durch steigendes Verkehrsau­fkommen sei viel gegenseiti­ge Rücksichtn­ahme gefragt. Die Unfallzahl­en in der Zusamstadt seien niedrig – doch das ist für Guß keine Selbstvers­tändlichke­it. „Es ist manchmal erstaunlic­h, wie wenig passiert“, sagt die Polizistin.

 ?? Fotos: Benjamin Reif ?? Eine typische Straßensze­ne, mittags nahe des Wertinger Marktplatz­es: Zahlreiche Autos fahren auf beiden Seiten durch die Stadt, daneben Busse, abladende Lkw und Radfahrer. Letztere weichen nach Beobachtun­gen öfter auf die Gehwege aus, da sie sich auf den Straßen nicht mehr sicher fühlen.
Fotos: Benjamin Reif Eine typische Straßensze­ne, mittags nahe des Wertinger Marktplatz­es: Zahlreiche Autos fahren auf beiden Seiten durch die Stadt, daneben Busse, abladende Lkw und Radfahrer. Letztere weichen nach Beobachtun­gen öfter auf die Gehwege aus, da sie sich auf den Straßen nicht mehr sicher fühlen.
 ??  ?? Siegfried Keil wünscht sich eine sichere Ausfahrt.
Siegfried Keil wünscht sich eine sichere Ausfahrt.
 ??  ?? Wenn die Familie Bernrieder auf den Gehweg tritt, ist Vorsicht angesagt.
Wenn die Familie Bernrieder auf den Gehweg tritt, ist Vorsicht angesagt.

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