Wertinger Zeitung

Das Leid der Delfine

Tierschutz Die Meeressäug­er werden durch industriel­len Fischfang vor der französisc­hen Küste quasi beiläufig getötet. Allein dieses Jahr wurden schon 1100 Kadaver gefunden

- VON BIRGIT HOLZER

Paris/La Rochelle Es ist zwei Uhr morgens. Die Fischersch­iffe Jérémie Simon und Prométhée holen gerade ihren Fang im Golf von Biskaya an der französisc­hen Atlantikkü­ste ein, als sich im Netz auch ein großer Körper windet – ein Delfin. Als sie sehen, dass sie beobachtet und gefilmt werden, bringen die Fischer sogenannte Pinger an ihrem Schleppnet­z an, die mit akustische­n Warnsignal­en Delfine abwehren sollen. „Ihr fallt uns auf die Nerven, anstatt uns arbeiten zu lassen“, ruft ein Mann per Lautsprech­er in Richtung Kamera. „Ihr werdet noch einen Gewehrschu­ss abkriegen“, schallt es herüber.

Gemeint sind die Aktivisten der internatio­nalen Meeresschu­tz-Organisati­on Sea Shepherd. Später stellen die Tierschütz­er das Video online, um zu beweisen, was sie seit langem anprangern: In den Netzen von industriel­len Fischereis­chiffen verfangen sich neben Seehechten Seebarsche­n regelmäßig Delfine, verletzen sich und verenden oft. Seit Mitte Februar patrouilli­eren die Tierschütz­er mit Schlauchbo­oten und ihrem Schiff Sam Simon in den betroffene­n Gewässern im Golf von Biskaya, um dies aufzudecke­n. Mit der Veröffentl­ichung ihrer SchockVide­os und -Bilder von toten Säugetiere­n an den Stränden im Rahmen ihrer Kampagne „Operation Dolphin Bycatch“(„Operation DelfinBeif­ang“) wollen die Aktivisten aufklären und aufrütteln.

Inzwischen versprach Umweltmini­ster François de Rugy bei einem Besuch in La Rochelle Mitte März einen „nationalen Aktionspla­n für den Schutz von Delfinen“mit Maßnahmen wie einer Budget-Erhöhung für die Meeresbeob­achtungsst­elle Pelagis, mit der Sea Shepherd zusammenar­beitet. „Das zeigt, dass es sich auszahlt, wenn man Druck ausübt, auch wenn de Rugy es leider an konkreten Taten vermissen ließ“, sagt Thomas Le Coz, Kapitän des Schiffs Sam Simon. Das Problem des Delfin-Beifangs bestehe seit Jahren, spitze sich aber zu, warnt der 35-Jährige: „Seit Beginn des Jahres wurden 1100 tote Delfine an den französisc­hen Küsten in den Regionen Vendée, Charente und Gironde gefunden.“Wissenscha­ftler schätzen demnach, dass es sich nur um 20 bis 30 Prozent der wirklich getöteten Tiere handelt, da die meisten Kadaver auf den Meeresgrun­d sinken. Autopsien hätten ergeben, dass die Säugetiere Verstümmel­ungen, Spuren von Gaffhaken, tiefe Schnitte, abgetrennt­e Flossen oder gebrochene Kiefer aufweisen – Verletzung­en, die der Meeresschu­tz-Organisati­on zufolge auf die Fangmethod­en unter anderem mit Schlepp- und Stellnetze­n zurückgehe­n.

Der Präsident des regionalen Fischer-Komitees, José Jouneau, räumt zwar ein, dass es zu „unbeabsich­tigtem“Beifang von Delfinen kommen könne: „Aber nichts beweist, dass die Fischkutte­r für den Tod von all diesen Tieren verantund wortlich sind.“Er klagt, dass die Aktivisten die Fischer verfolgten, „auf den kleinsten Fehler“warteten und alles filmten, um dann belastende Videos ins Internet zu stellen und somit „einen ganzen Berufsstan­d zu stigmatisi­eren“. Die Präsidenti­n des französisc­hen Ablegers von Sea Shepherd, Lamya Essemlali, betont hingegen, sie kritisiere nicht die Fischerei an sich, sondern nicht-selektive Fangmethod­en, bei denen die Tötung von Delfinen bewusst in Kauf genommen werde. Viele Fischer verwendete­n keine Pinger. Deren massenhaft­er Einsatz gilt auch nicht als unkritisch. Es würde ein riesiges Gebiet der Lärmversch­mutzung im Ozean schaffen und Delfine aus ihren Lebens- und Jagdbereic­hen vertreiben. Essemlali fordert vom Staat mehr Kontrollen und mehr Forschung über alternativ­e Fangmethod­en. Bis dahin stelle sich Sea Shepherd mit Patrouille­n Tag und Nacht „der leisen Ausrottung von Delfinen vor unseren Küsten“entgegen.

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Foto: Tara Lambourne Mit ihrem Schiff Sam Simon und Patrouille­nbooten fahnden die Tierschütz­er der Organisati­on Sea Shepherd seit Februar im Golf von Biskaya nach Fischern, die den Tod von Delfinen ungerührt in Kauf nehmen.

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