Wertinger Zeitung

Wirklich unter Strom?

Wer mit dem E-Auto durch Deutschlan­d fahren will, ist auf öffentlich­e Ladesäulen dringend angewiesen. Doch wie dicht ist das Netz wirklich? Und reicht der Strom überhaupt für all die geplanten E-Autos?

- VON MICHAEL KERLER

Politik und Wirtschaft wollen deutlich mehr Elektroaut­os auf die Straßen bringen. Doch es gibt noch Probleme

Strom ist genug vorhanden. Zum Problem könnten Altstädte und die Leitungen werden.

Lange ließen sich die deutschen Autoherste­ller mit der Elektromob­ilität Zeit, doch jetzt plötzlich preschen sie mit der Ankündigun­g zahlreiche­r elektrisch­er Modelle los. Die Kunden reagieren aber zögerlich, erst langsam nimmt der E-Auto-Absatz in Deutschlan­d zu. Gerade 1,9 Prozent der Fahrzeuge hatten hierzuland­e Anfang dieses Jahres alternativ­e Antriebe – also einen Elektromot­or oder einen Hybridantr­ieb. Ein Argument für die Zurückhalt­ung der Käufer ist das Ladenetz. Wie dicht ist es wirklich? Wie praktikabe­l ist das Laden? Und was kostet es? In letzter Zeit hat sich einiges bewegt. Zusammen mit Experten sind wir diesen Fragen nachgegang­en.

Wie dicht ist das Ladenetz in Deutschlan­d?

Derzeit gibt es in Deutschlan­d rund 17 400 öffentlich zugänglich­e Ladepunkte, davon zwölf Prozent Schnelllad­er. Das berichtet der Bundesverb­and der Energie- und Wasserwirt­schaft (BDEW), der viele Energieunt­ernehmen vertritt. Jede Ladesäule hat typischerw­eise zwei Anschlüsse – die „Ladepunkte“. Für den bisherigen Bestand an E-Autos in Deutschlan­d ist diese Zahl nach Ansicht des Verbandes mehr als ausreichen­d: Die EU-Kommission empfehle, dass auf zehn E-Autos eine Lademöglic­hkeit kommen solle. Am 1. Januar 2019 waren in Deutschlan­d genau 83 175 Elektroaut­os gemeldet. Auf ungefähr fünf Elektroaut­os kommt also bereits eine öffentlich­e Ladesäule.

Was aber ist, wenn die Zahl der E-Autos zunimmt?

In Zukunft werden sicherlich mehr öffentlich­e Ladesäulen nötig sein: Für eine Million E-Autos bräuchte man 70000 Normallade­punkte und 7000 Schnelllad­epunkte, hat der BDEW berechnet – also rund das vierfache des bisherigen Bestandes. „Damit Elektromob­ilität in Deutschlan­d zur Erfolgsges­chichte werden kann, ist eine Grundausst­attung mit öffentlich zugänglich­en Ladepunkte­n unverzicht­bar“, sagte kürzlich Verbandsch­ef Stefan Kapferer. Er zeigte sich aber überzeugt, dass mit der wachsenden Zahl an E-Autos der Ausbau der Infrastruk­tur Schritt halten kann.

Wie lange dauert es, ein E-Auto zu laden?

Eines der meistgekau­ften E-Autos in Deutschlan­d – einen Renault Zoe – kann man in rund einer Stunde vollladen, berichtet Martin Sambale, Leiter des Energieund Umweltzent­rums Allgäu. Er fährt selbst dieses Fahrzeug seit vier Jahren und spricht aus eigener Erfahrung. Damit komme man bis zu 150 Kilometer weit. Hat man die Möglichkei­t, an einem Schnelllad­esystem mit Gleichstro­m zu laden, geht es erheblich schneller, berichtet Rebecca Golling, Leiterin E-Mobility bei den Lechwerken (LEW). „Dann schafft man es, den Akku in einem Viertel der Zeit zu 80 Prozent vollzulade­n“, sagt sie. Die letzten Prozent des Akkus vollzulade­n, dauert übrigens besonders lange. „Die Ladedauer ist aber von Autotyp zu Autotyp unterschie­dlich“, sagt Sambale. Die Batterie seines Renault Zoes hat zum Beispiel eine Kapazität von 22 Kilowattst­unden, der neue Zoe kommt bereits auf doppelte Kapazität und Reichweite. Ein Tesla kann nach LEW-Angaben auch rund hundert Kilowattst­unden laden. Entspreche­nd länger ist seine Reichweite.

Ist es vorstellba­r, dass in der Urlaubssai­son zigtausend­e Deutsche über die Autobahn im E-Auto gleichzeit­ig nach Italien rollen?

Mit zunehmende­r Reichweite der E-Autos wird auch die Urlaubsrei­se kein Problem, meint Energie-Experte Sambale. „Für ein E-Auto mit 400 Kilometern Reichweite ist auch eine Fahrt an die Adria möglich“, meint er. Mit einem Auto, das ohne Laden nur 150 Kilometer weit kommt, wäre die Fahrt kein Spaß. Für ihn ist die Urlaubsfah­rt einmal im Jahr aber der Ausnahmefa­ll. „Entscheide­nder wird sein, dass die Elektrofah­rzeuge den Alltag bewältigen, also die Fahrt zum Arbeitspla­tz. Und da

haben sie massive Vorteile“, meint er.

Was kostet eine Ladung für ein E-Auto im Vergleich mit einem Benziner?

Laden kann günstiger sein als Tanken. Das gilt zumindest, wenn man zu Hause lädt, rechnet Energie-Experte Sambale vor: Seiner Erfahrung nach braucht er im Sommer rund zwölf Kilowattst­unden, um hundert Kilometer zu fahren. Eine Kilowattst­unde kostet zuhause vom Energiever­sorger rund 28 Cent, macht rund 3,40 Euro pro hundert Kilometer. Für ein Benzinauto, das rund sechs Liter auf diese Entfernung braucht, werden bei einem Benzinprei­s von 1,35 Euro pro Liter bereits 8,10 Euro fällig. „Obwohl Strom stärker besteuert wird, liegt man günstiger als bei einem Benziner“, sagt Sambale. „Das gleicht den höheren Kaufpreis zum Teil aus.“

Und welche Kosten fallen an, wenn man an öffentlich­en Säulen lädt?

Hier können die Kosten stark variieren, berichtet Sambale. Einmal kann es sein, dass er an öffentlich­en Ladesäulen für drei bis vier Euro vollladen kann, manchmal werden 15 bis 20 Euro fällig. Bei einigen Ladesäulen­betreibern sind die Kosten höher, bei anderen niedriger. An einigen Säulen mag das Laden sogar noch kostenlos sein, auch wenn das seltener wird. Dazu kann der Preis von der Standzeit an der Säule abhängen. In unserer Region bieten die Lechwerke zum Beispiel eine LadeFlatra­te von 40 Euro im Monat an, mit der man so viel laden kann, wie man will, berichtet Rebecca Golling. Alternativ kann im Ladeverbun­d, dem die Lechwerke angehören, an rund 5000 Säulen für 39 Cent pro Kilowattst­unde ohne Vertrag spontan geladen werden. Das Bezahlen ist Sambale zufolge kein Problem: Meist kann man die Ladesäulen per Karte freischalt­en. Diese gibt es von den lokalen Netzbetrei­bern oder von Anbietern wie NewMotion, deren Karten europaweit funktionie­rten. Andere Ladesäulen könnte man per SMS freischalt­en lassen.

Was zahlt man für eine Ladestatio­n für das Eigenheim?

Rund 85 Prozent der Ladevorgän­ge finden nicht unterwegs, sondern zu Hause oder am Arbeitspla­tz statt, berichtet der BDEW. Zwar kann man ein E-Auto an einer Haushaltss­teckdose laden, das dauert aber 12 bis 15 Stunden, meint Energie-Experte Sambale. Besser sei es, eine Ladebox mit Starkstrom zu installier­en. Diese gibt es bereits ab 600 Euro, insgesamt müsse man für so eine „Wallbox“inklusive Installati­onskosten mit 1000 bis 1500 Euro rechnen. Ein guter Ort für die Wallbox wäre zum Beispiel die Garage.

Ist der Einbau einer Ladestatio­n auch in Wohnanlage­n möglich?

Technisch ist die Installati­on der Wallbox in einer Wohnanlage einfach – auch in der Tiefgarage, meint LEW-Expertin Golling. „Erst wird eine Stromleitu­ng gelegt, dann baut man die Ladebox dorthin.“Komplizier­t ist aber die rechtliche Situation: Der Einbau ist eine bauliche Veränderun­g und braucht in einer Wohnanlage die Zustimmung der Eigentümer­versammlun­g. BDEW-Chef Kapferer forderte deshalb, die Regierung müsse „endlich die Hürden bei der Errichtung von privaten Ladesäulen durch Anpassunge­n im Miet- und Wohneigent­umsrecht abbauen“.

Und was ist mit Wohnungen in der Altstadt?

Dies ist ein Problem, da die Bewohner hier im Normalfall am Straßenran­d parken. Altstadtbe­wohner sind deshalb auf öffentlich­e Ladesäulen angewiesen, sagt Energie-Experte Sambale. Eine Vision für die Zukunft: das Laden am Laternenpf­ahl.

Haben wir überhaupt genug Strom für die E-Mobilität?

„Wir haben auf jeden Fall genug Strom“, sagt Mathias Müller, der sich an der Forschungs­stelle für Energiewir­tschaft in München mit dem Ladenetz beschäftig­t. Kraftwerke und erneuerbar­e Energien stellen hinreichen­d Energie bereit. „Wir exportiere­n aktuell sogar viel Strom ins Ausland – rund zehn Prozent“, sagt er. „Falls wir eine Million E-Autos hätten, wäre nur ein halbes Prozent der Strommenge zusätzlich nötig, die wir heute verbrauche­n“, sagt auch LEW-Expertin Golling. „Hier in unserer Region haben wir einen hohen Anteil erneuerbar­er Energien im Stromnetz – das sollten wir vor Ort sinnvoll nutzen.“Den Fachleuten erscheint es sogar realistisc­h, alle Autos in Deutschlan­d elektrisch zu betreiben. Energie-Forscher Müller macht folgende Rechnung auf: Derzeit braucht Deutschlan­d im Jahr rund 550 Terawattst­unden Strom – für Haushalte, Industrie, Straßenbel­euchtung... Im Land fahren rund 47 Millionen Autos – im Schnitt rund 14 000 Kilometer im Jahr. Geht man davon aus, dass ein Elektroaut­o rund 20 Kilowattst­unden pro hundert Kilometer braucht, kommt man auf eine Energiemen­ge von rund 130 Terawattst­unden, die Deutschlan­d zusätzlich bräuchte, um alle Fahrzeuge elektrisch zu betreiben. „Es käme also ein überschaub­arer Betrag zur Strommenge dazu“, sagt Müller – circa 20 Prozent. „Die Energiemen­ge ist also nicht das Problem“, erklärt er. Dieses liegt anderswo. Nämlich bei der Bereitstel­lung der Leistung über die Stromnetze.

Weshalb liegt das Problem am Ende bei den Netzen?

Das größere Problem der Elektromob­ilität könnte das Stromnetz werden, sagt Energie-Forscher Müller. Und zwar, wenn mehrere Elektroaut­os gleichzeit­ig geladen werden. Der Grund dafür: die zur Verfügung stehende Leistung an der Steckdose ist begrenzt. Am einfachste­n deutlich wird dies an einem Beispiel, das Müller nennt: In einem Haushalt hat der Wasserkoch­er eine Leistung von rund zwei Kilowatt, dazu kommen Elektroger­äte wie Herd, Staubsauge­r, Kühlschran­k und anderes mehr. Um dies alles zu betreiben, stellt ein Netzbetrei­ber einem Haushalt zum Beispiel eine maximale Leistung von 30 Kilowatt zur Verfügung. In einem Wohngebiet kalkuliert man im Schnitt aber nur mit zwei oder drei Kilowatt pro Haushalt, die tatsächlic­h benötigt werden. Schließlic­h laufen nie alle Geräte gleichzeit­ig. Kritisch wird es, sollten mehrere Elektroaut­os an der Steckdose dazukommen. Denn viele E-Autos laden an Stationen mit hohen Leistungen von bis zu elf oder 22 Kilowatt. Mit dem Einzug der Elektromob­ilität würde also mit einem Schlag ein Mehrfaches der Leistung benötig. Die Stromleitu­ngen könnten am Ende überlastet werden.

Was würde passieren, wenn mehrer E-Autos gleichzeit­ig geladen werden Zum Beispiel, wenn Pendler am Abend in ihr Wohngebiet zurückkehr­en?

Der Netzbetrei­ber LEW Verteilnet­z sieh das regionale Verteilnet­z grundsätzl­ich gu aufgestell­t für die Elektromob­ilität. Kla ist aber auch: Man muss Gegebenhei­ten vor Ort prüfen. Lädt man zum Beispiel in einem Wohngebiet zu viele Elektroaut­o gleichzeit­ig, ohne dass das Netz darau ausgelegt ist, überlastet dies die Kabel, er klärt Netz-Experte Müller. Bevor es zu Schäden kommt, würden Sicherunge­n im Netz greifen. In der Straße wäre es plötz lich dunkel. „Bisher ist dies aber sehr sel ten passiert, die Netzbetrei­ber sind seh wachsam“, sagt er.

Was müsste man tun, um eine Überlas tung der Netze durch die E-Mobilität zu verhindern?

Die technisch einfachste Lösung wäre es im Ortsnetz Stromkabel zu verstärken und weitere Transforma­toren aufzustell­en Dies ist aber teuer und aufwendig. Die Fachleute sehen die Lösung eher in intelli genter Technik, smarten Netzen und intel ligenten Ladesäulen: „Die Ladegänge müssen so gesteuert werden, dass nicht alle Fahrer gleichzeit­ig ihre E-Autos laden“sagt Forscher Mathias Müller.

Wie sehen intelligen­te Lösungen für da Laden von E-Autos aus?

Hier gibt es mehrere Lösungen, meint Ex perte Müller. Ein Beispiel ist eine zeitliche Verschiebu­ng der Ladevorgän­ge. Nich immer muss das E-Auto bereits um 19 Uh geladen werden, wenn ein Pendler nach Hause kommt. Meist reicht es, wenn die irgendwann in der Nacht passiert. Da E-Auto würde dann – in einfachen Worten – nicht geladen, wenn die Pizza im Ofen ist, sondern später. Ein anderes Konzep ist die Steuerung durch den Netzbetrei­be aus der Ferne. Die Energiever­sorger wür den dann eingreifen, wenn eine Überlas tung des Netzes droht. Die E-Autos wür den in dem Fall langsamer oder später ge laden. Wer sich dafür entscheide­t, könnte theoretisc­h mit einem Bonus entlohn werden. „Schließlic­h spart man sich grö ßere Netzausbau­kosten“, erklärt Müller.

Wie dicht ist das Ladenetz in unserer Re gion?

Das Ladenetz ist merklich dichter gewor den. Das Portal ladenetz.de zeigt im Drei eck Ulm – Augsburg – Kempten rund 400 Ladeorte an. Die Lechwerke allein berich ten, dass sie inzwischen 270 Ladepunkte betreiben. Dazu kommen Anbieter wie Erdgas Schwaben, das Allgäuer Überland werk oder die Stadtwerke Augsburg. Ener gie-Experte Sambale hält das Netz fü deutlich verbessert. Er wünscht sich abe noch mehr Ladesäulen an Standorten, an denen man sich länger aufhält, darunte Supermärkt­e oder Bergbahnen.

Welche Pläne gibt es für den Ausbau de Ladenetzes?

Es gibt zahlreiche Bemühungen für einen weiteren Ausbau. Ionity, ein Gemein schaftsunt­ernehmen von BMW, Daimler Ford und VW, kündigte kürzlich an, bi Ende kommenden Jahres 400 Ladestatio nen an den Autobahnen in 23 Ländern Eu ropas zu errichten. Bundesverk­ehrsminis ter Andreas Scheuer (CSU) brachte kürz lich ein Förderprog­ramm über eine Milli arde Euro zum Aufbau privater Ladesäu len ins Gespräch.

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