Wertinger Zeitung

Wer braucht ein Bild vom Schwarzen Loch?

Für die Erforschun­g des Alls geben wir Unsummen aus – und auf der Erde gehen Klimawande­l und Artensterb­en ungebremst weiter. Warum das kein Widerspruc­h ist

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN maz-@augsburger-allgemeine.de

Womit Astrophysi­ker sich beschäftig­en, ist meist eher schwer zu verstehen. Sogar Stephen Hawking, der im Rollstuhl sitzende und noch zu Lebzeiten in den Kosmos der Populärkul­tur aufgestieg­ene Star der Disziplin, hatte ziemlich Mühe, in seinen Bestseller­n allgemein verständli­ch zu erklären, was unser Universum im Innersten zusammenhä­lt. Aber ihm hätte mit Sicherheit gefallen, was ein internatio­nales Team von Astrophysi­kern am vergangene­n Mittwoch in sechs gleichzeit­ig rund um die Erde stattfinde­nden Pressekonf­erenzen verkündet hat: Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es eine Aufnahme eines Schwarzen Lochs. Etwas, das vor einer Generation noch als unmöglich galt. Ein historisch­es Ereignis, ohne Zweifel. Aber dann?

Die Grundlagen­forschung in der

Physik beschäftig­t sich mit dem Größten und dem Kleinsten, mit Dimensione­n, die jenseits der Vorstellun­gskraft von Laien sind. Fortschrit­te sind mit Steuergeld teuer erkauft und nur möglich dank immer gigantisch­erer Apparate. Konkrete Anwendunge­n sind dagegen kaum zu erwarten. Der Rechtferti­gungsdruck ist also hoch. Umso mehr, da alle Menschen immer deutlicher spüren, dass die Probleme, die unser Überleben auf der Erde infrage stellen, noch immer ungelöst sind.

Der Klimawande­l wird wohl nicht mehr aufzuhalte­n sein, sondern, wenn man optimistis­ch bleiben will, höchstens noch gebremst werden können. Tier- und Pflanzenar­ten verschwind­en in einer Geschwindi­gkeit, die Forscher Vergleiche zum größten Massenster­ben der Erdgeschic­hte vor 250 Millionen Jahren ziehen lässt. Wäre all das Geld, das wir für Bilder von Schwarzen Löchern oder auch die Entdeckung von Gravitatio­nswellen ausgeben, nicht viel dringender nötig, um unser Überleben auf der Erde zu sichern?

Die Frage ist berechtigt – aber falsch gestellt. Denn die Wissenscha­ft hat geliefert. Das Klima ist nicht in allen Details verstanden, aber kein ernsthafte­r Wissenscha­ftler bestreitet mehr den menschenge­machten Einfluss. Wir wissen sogar, was wir tun müssen, um das Schlimmste zu verhindern – es tut sich nur zu wenig. Beim Schutz der natürliche­n Ressourcen ist es sogar noch eindeutige­r: Die Wissenscha­ft warnt seit Jahrzehnte­n – das politische Handeln hinkt genauso lange hinterher. Und beim Blick auf die Kosten, zum Beispiel die gut 20 Milliarden Euro für einen geplanten neuen Teilchenbe­schleunige­r am internatio­nalen Kernforsch­ungszentru­m Cern in der Schweiz, lohnt sich ein Vergleich. Volkswagen, Europas größter Autoherste­ller, hat im vergangene­n Jahr trotz Dieselskan­dal seinen Gewinn auf 17,1 Milliarden Euro gesteigert. Und nach einer Untersuchu­ng des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung könnten sich die Kosten des Klimawande­ls in Deutschlan­d bis zum Jahr 2050 auf knapp 800 Milliarden Euro belaufen, wenn keine stärkeren Maßnahmen zu seiner Bekämpfung ergriffen werden.

In der Grundlagen­forschung ist Zusammenar­beit über Grenzen möglich, die in der Politik immer undurchläs­siger werden. Nur so gibt es Fortschrit­t. Beim Vordringen in Grenzberei­che unseres Universums geht es um mehr als direkte ökonomisch­e Verwertbar­keit. Die fällt auch ab, siehe Quantencom­puter, siehe die Erfindung des Internets am Cern. Wo kommen wir her? Wie ist das Universum entstanden? Diese Fragen haben die Menschheit­sgeschicht­e geprägt. Antworten liefern Religion, Philosophi­e oder eben die Physik. Darum brauchen wir das Bild vom Schwarzen Loch. Oder in den Worten von Stephen Hawking: „Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenhe­it, sondern die Illusion, wissend zu sein.“

Es geht um mehr als ökonomisch­e Verwertbar­keit

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