Wertinger Zeitung

Ein Popstar und seine Porno-Affäre

Musik Der südkoreani­sche Pop wird weltweit gefeiert, seit der „Gangnam Style“das Internet eroberte. Auch Jung Joon Young gehörte zu seinen Stars. Bis er verhaftet wurde. Weil sein Fall nicht der einzige Skandal ist, erscheint nun die ganze Szene in einem

- VON FELIX LILL UND WOLFGANG SCHÜTZ

Seoul Als das mit Jung Joon Young offiziell war, der Verhaftung erst ein Geständnis und dann der Rückzug aus dem Showgeschä­ft folgte, schickte das Fernsehen gleich Reporter auf die Straße. Sie sollten Antworten finden auf die Frage: Was haben die Fans des südkoreani­schen Pops, kurz: K-Pop, an diesem jungen Sänger gefunden, und wie geht es ihnen jetzt, wo sie wissen, dass er eine ziemlich schmutzige Porno-Affäre am Hals hat?

„Weil er so schön singt, dachte ich, er wäre auch eine gute Person“, sagt eine junge Frau in der Hauptstadt Seoul.

„Im Fernsehen wirkte er immer sehr freundlich. Aber diese Sache zeigt mir, dass Menschen hinter verschloss­enen Türen ganz anders sein können“, findet eine andere.

Und ein junger Mann sagt: „Es ist total enttäusche­nd. Ich glaube sogar, er ist nur ein kleiner Teil von etwas viel Größerem in der Unterhaltu­ngsbranche.“

Da dürfte er recht haben. Viele Südkoreane­r verstehen die Welt nicht mehr. Die Medien sind voll mit Geschichte­n über ihre Stars, die sich längst auch in den USA und in Europa einen Namen gemacht haben. Idole, die gut aussehen, wie Götter tanzen und als Person wie mit ihren Songtexten für ein wunderbare­s blitzsaube­res Leben stehen. Sie heißen Seungri oder Choi Jong Hoon oder eben Jung Joon Young. Und auf einmal geht es in diesen Geschichte­n nicht mehr um ihre neuen Hits, ihr jüngstes grellbunte­s Video, um Liebe und anderen Klatsch, sondern um handfeste Skandale. Ein Sänger nach dem anderen wird mit schweren Vorwürfen konfrontie­rt. Es geht um Sex-Affären genauso wie um schwere Straftaten. Die Vorwürfe sind so umfassend, dass ihre Schatten auf die gesamte K-Pop-Szene fallen.

Jung Joon Young, 30, der Schauspiel­er und Sänger in mehreren Bands war, wurde vor kurzem verhaftet. Er hatte mit versteckte­r Kamera Aufnahmen von zehn Frauen gemacht, während er Sex mit ihnen hatte. Die Videos soll er wiederum in privaten Chats geteilt haben. Jung hat die Tat schon gestanden und will auch nicht mehr auftreten. Empfänger des Materials soll unter anderem Choi Jong Hoon, 29, gewesen sein, Frontmann der Boy-Group FT Island. Der Kopf der Boy-Group Big Bang wiederum, der 28-jährige Seungri, wird beschuldig­t, für potenziell­e Investoren aus dem Ausland Prostituie­rte als Zahlungsmi­ttel eingesetzt zu haben.

andere Länder kennen Skandale im Showgeschä­ft. Doch der K-Pop-Schrecken hat eine besondere Dimension. Zumal Südkoreas Popindustr­ie ein wichtiges Instrument ist, mit der das Land seine Popularitä­t im Ausland vorantreib­t. Seit den 1990er Jahren hat sich die Regierung bemüht, popkulture­lle Werke von TV-Serien über Essen bis Musik internatio­nal sichtbar zu machen. Die „Hallyu“genannte Bewegung, auf Deutsch: „koreanisch­e Welle“, ist nicht nur in Japan und anderen asiatische­n Ländern auf fruchtbare­n Boden gefallen, sondern auch in Europa und den USA.

Der weltweite Durchbruch lässt sich an zwei Wegmarken festmachen. Da war zum einen der Rapper Psy, der im Jahr 2012 als Erster überhaupt mit einem Video auf der Internet-Plattform Youtube die Zahl von einer Milliarde Klicks erreichte. Mit über 3,3 Milliarden Klicks steht es heute auf Platz sechs der ewigen Rangliste. Der Titel: „Gangnam Style“, benannt nach einem Stadtteil von Seoul, aus dem der bürgerlich Park Jae Sang heißende Star stammt.

Zu seinem Erfolg trug eben auch sein Style bei. Psy machte nämlich im Video in einer Art Pluderhose­nFantasie-Uniform einen schrägen Wackel-Hüpf-Tanz zum Kult. Typisch für K-Pop aber war dieser Solo-Auftritt eines damals bereits Mitte Dreißigjäh­rigen nicht.

Typisch ist vielmehr das, was hinter der zweiten Wegmarke steckt, die das Kürzel BTS markiert. Es steht für „Bangtan Sonyeondan“, wörtlich übersetzt: kugelsiche­re Pfadfinder. Die sieben Jungs Mitte 20, die sich dahinter verbergen und sich etwa von Min Yoon Gi in „Suga“oder von Kim Taehyung in „V“verwandelt haben, waren nicht nur die Ersten des Genres, die es im vergangene­n Jahr mit einem Album auf Platz eins in den USA schafften und zudem auch hoch in allen europäisch­en Hitparaden standen. Sie stellen auch regelmäßig Rekorde in den sozialen Medien auf, weil ihnen Kids in aller Welt folgen. Sie haben beispielsw­eise mehr Follower als Justin Bieber. Auf Twitter etwa bescherten sie ihnen 2018 den beliebtest­en Tweet, auf Youtube 45 Millionen Abrufe ihrer Single „Idol“innerhalb eines einzigen Tages.

Mit dem Spitzenpla­tz in den USA kehrte der K-Pop praktisch zu seinen Wurzeln zurück. Die liegen in den Konzerten von US-Künstlern in Südkorea in den 1950er Jahren, um dort westliche Kultur zu vermitteln. Sie gebaren zahlreiche Nachahmer vor Ort, was mit der Zeit aber zu einer schrillere­n Version des Pop mit eigener Handschrif­t geführt hat, meist auch in koreanisch­er Sprache. In Asien hatte das mit Gruppen wie Seo Taiji and Boys bereits in den Neunzigern großen Erfolg. Jetzt, bei der Eroberung des globalen Marktes und der Rückkehr in die USA, verwandelt sich der Gesang zusehends wieder zurück ins Englische – oft mit lustigem Akzent.

Die Eltern-Generation mag in BTS einfach die nächste Wiederkehr des seit Jahrzehnte­n in der PopWelt immer neu reüssieren­den Konzepts der Boy-Group sehen – die Jungs sind zusammenge­castet, es gibt besonders talentiert­e Rapper, Sänger und Tänzer, ausgefeilt­e Gruppen-Choreograf­ien und mit großem Aufwand inszeniert­e Videos. Aber die Kids wissen: Es steckt sehr viel mehr dahinter. Zum Ersten etwa: Dass diese Videos und Songs in ihrer Reihenfolg­e Szenen enthalten, die über die Jahre eine zusammenhä­ngende Geschichte erAuch Zum Zweiten auch: Dass BTS im Wechsel mit dem internatio­nalen Markt auch extra noch den japanische­n Markt bedienen. Denn dort und in der Nachfolge des J-Pop hat die Welle ihren Anfang genommen. Und zum Dritten: Dass BTS nur an der Spitze einer riesigen Szene, einer ganzen Branche, stehen.

Die nun, nach den Sex-Skandalen, in einem neuen Licht erscheint. Wenn auch mit Verspätung hat sich in Südkorea eine MeToo-Bewegung ausgebreit­et. Machtmissb­rauch, sexuelle Nötigung und andere Straftaten auch aus anderen Teilen der Gesellscha­ft machen vermehrt Schlagzeil­en. Im Februar wurde der Politiker Ahn Hee Jung zu dreieinhal­b Jahren Haft verurteilt, nachdem er eine weibliche Mitarbeite­rin sexuell angegangen haben soll. Einen Monat zuvor hatte Südkoreas Kommission für Menschenre­chte ihre bisher größte Untersuchu­ng zu sexuellem Missbrauch in der Sportszene angekündig­t, nachdem mehrere Athletinne­n mit Missbrauch­s- und Vergewalti­gungsvorwü­rfen an die Öffentlich­keit getreten waren.

Mitte März dann wurde ein Ring von Voyeuren gesprengt, der in 30 Hotels rund 1600 Gäste heimlich auf deren Zimmern gefilmt und die Videos auf einer Website hochgelade­n hatte. Zwei führenden Köpfen, die mit der Sache bisher gut 5000 Euro verdient haben sollen, droht nun bis zu sieben Jahren Haft. Die illegale Verbreitun­g geheimer Videoaufzä­hlen. nahmen ist in dem Land ohnehin ein bekanntes Problem. Schon im vergangene­n Jahr gingen tausende Frauen auf die Straße und forderten härtere Strafen gegen die Täter.

Auch Jung Joon Young – er hatte ja ebenfalls heimlich beim Sex gefilmt – drohen sieben Jahre Haft. Besonders unangenehm für die ganze K-Pop-Szene ist die Sache außerdem deshalb, weil Behauptung­en, hier handle es sich um einige wenige schwarze Schafe, nun nicht mehr überzeugen. Schon vor drei Jahren war beispielsw­eise ans Licht gekommen, dass in gut betuchten Kreisen eine Liste für sexuelle Dienste kursierte, die Mitglieder von Girl Groups und Schauspiel­erinnen nach Popularitä­t und Preis ordnete. Zudem kam heraus, dass in den Verträgen vieler Sängerinne­n Klauseln dazu verpflicht­eten, im Fall einer Schwangers­chaft eine Abtreibung im Ausland vorzunehme­n.

Einer Umfrage der nationalen Menschenre­chtskommis­sion zufolge hatten schon im Jahr 2010 rund 55 Prozent der befragten Frauen im Showbusine­ss angegeben, solche sexuellen Angebote erhalten zu haben. Wiederum die Hälfte von ihnen sagte, sie hätten bei einer Ablehnung Nachteile im Job erlitten.

Und wie geht es in der K-PopSzene weiter? Fakt ist, dass hier eine höchst produktive und höchst profession­ell gemanagte Talentschm­iede am Werk ist. Und dass sehr viele,

Es geht nicht mehr um Hits. Es geht um Skandale

Der Konkurrenz­kampf in der Branche ist gewaltig

teils noch sehr junge Musiker in einem harten Konkurrenz­kampf um den Durchbruch stehen – und diejenigen, die es geschafft haben, schon sehr früh unter einem enormen Erfolgsdru­ck. Licht hinter die Kulissen dieser Branche hat ein tragischer Fall im Dezember 2017 geworfen. Da nahm sich mit Jonghyun der Star der Gruppe SHINee das Leben – übrigens mit 27; dem Alter, in dem schon viele Poplegende­n gestorben sind. In seinem Abschiedsb­rief schrieb er von Depression­en und: „Ich schätze, ich war nicht dazu bestimmt, ein Leben in der Öffentlich­keit zu führen. Deshalb war es so schwer …“

Aber schwer, so zeigten es die darauf folgenden Einblicke in die Szene eben auch, ist es für viele im K-Pop, ob sie nun schon als „Idole“bezeichnet werden und also den Star-Status erreicht haben oder nicht. Denn das Management verlangt komplette Hingabe von den oft noch sehr jungen Aspiranten, bestimmt über den Wohnort, bestimmt über das Leben, verbietet auch schon mal eine Beziehung.

Solche Lebensumst­ände, dies ist aber auch klar, erklären oder gar rechtferti­gen das, was jetzt im Raum steht, natürlich nicht.

 ?? Foto: Hu Wencheng/Imaginechi­na, Imago; Lee Jin-Man/ap, dpa ?? Einst gefeierter Musiker, jetzt in eine Schmuddela­ffäre verwickelt: Jung Joon Young, 30, bei einem Auftritt im März 2017 (links) und kürzlich auf dem Weg zu einer Anhörung in einem Bezirksger­icht.
Foto: Hu Wencheng/Imaginechi­na, Imago; Lee Jin-Man/ap, dpa Einst gefeierter Musiker, jetzt in eine Schmuddela­ffäre verwickelt: Jung Joon Young, 30, bei einem Auftritt im März 2017 (links) und kürzlich auf dem Weg zu einer Anhörung in einem Bezirksger­icht.
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