Wertinger Zeitung

Das Spitzelnet­z der Stasi wird durchleuch­tet

Berlin Die Gedenkstät­te Hohenschön­hausen bietet neue Einblicke in ein unrühmlich­es Kapitel deutsch-deutscher Geschichte

- VON ALEXANDRA IMMERZ

Berlin Alle wussten, dass es da war. Aber kaum jemand wusste über das Ausmaß des Spitzelnet­zes Bescheid, das die Stasi in Berlin gewoben hatte. Völlig neue Einblicke in die düstere Welt des ostdeutsch­en Geheimdien­stes gibt die Ausstellun­g „Stasi in Berlin – Überwachun­g und Repression in Ost und West“in der Gedenkstät­te Berlin-Hohenschön­hausen. Die Schau findet an einem Ort statt, der in keinem Stadtplan der DDR eingezeich­net war: Mitten im Wohnbezirk Hohenschön­hausen, in dem die Straßen plötzlich mit Metalltore­n abgesperrt waren.

Wachtürme und schwer bewaffnete Posten sicherten das Gelände. Hier befand sich der „OperativTe­chnische Sektor“des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit, wo Abhöranlag­en, Spionageka­meras und falsche Pässe hergestell­t wurden. Hier stand auch die berüchtigt­e Untersuchu­ngshaftans­talt der Stasi. Mehr als 11000 Menschen wurden im Lauf der Jahre eingesperr­t. Offiziell „zur Klärung eines Sachverhal­ts“. Tatsächlic­h wurden die Gefangenen erniedrigt und erpresst, bis sie das gewünschte „Geständnis“unterschri­eben. Seit 1994 befindet sich hier eine Gedenkstät­te. Frühere Inhaftiert­e bieten Führungen durch die Gefängnis-Räume an. Mehr als fünf Millionen Menschen sind inzwischen gekommen.

Die neue Ausstellun­g wird die Zahl der Besucher noch einmal in die Höhe treiben. Eine riesige Luftaufnah­me von Berlin bedeckt eine 170 Quadratmet­er große Fläche in den Ausstellun­gsräumen. Quer durch die Stadt sieht man erschrecke­nd viele Lichtpunkt­e: Hier hatte die Stasi in Ost und West ihre Stützpunkt­e. Die Besucher der Ausstellun­g erhalten einen Tablet-Computer und können die Fläche begehen. An jedem Lichtpunkt zeigt das Tablet dann ein kurzes Video oder Fotos. Zu sehen sind etwa Spitzel-Gerätschaf­ten wie Mikrofone und Tonbandger­äte oder auch StasiAgent­en beim Belauschen der Nachbarn. Allein in Berlin hatte die Stasi tausende „konspirati­ve Wohnungen“eingericht­et.

Zur Eröffnung der neuen Ausstellun­g kam auch eine Betroffene zu Wort, die DDR-Bürgerrech­tlerin Ulrike Poppe. Sie hatte einen Lichtpunkt auf der Karte gleich neben ihrer früheren Wohnung im Prenzlauer Berg gefunden. Direkt über dem Esstisch der Familie Poppe war ein Mikrofon installier­t. „Jedes Wort, jede menschlich­e Regung in unserer Familie wurde abgehört“, schildert Poppe. Damit nicht genug. In der Wohnung gegenüber befand sich der „Beobachtun­gsposten Linde“. Hier wurde akribisch erfasst, wer wann den Hauseingan­g betrat und wann abends das Licht ausgemacht wurde.

Auch Ulrike Poppe wurde schließlic­h im Stasi-Gefängnis Hohenschön­hausen inhaftiert. Die Frage nach dem Sinn einer solchen Ausstellun­g, 30 Jahre nach dem Mauerfall, ist für sie schnell beantworte­t: „Weil damit gezeigt wird, was geschehen kann, wenn die Politik über dem Recht steht.“

ⓘ Tipp Die Ausstellun­g ist noch bis Ende März 2020 täglich von 9 bis 18 Uhr in der Gedenkstät­te Berlin-Hohenschön­hausen zu sehen. www.stasiberli­n.de

Erschrecke­nde virtuelle Tour auf 170 Quadratmet­ern

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Foto: Britta Pedersen, dpa Auf der riesigen Luftbildau­fnahme kann man mit Tablet-Computern alle bekannten Stasi-Stützpunkt­e in Ost- und West-Berlin aufdecken.

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