Wertinger Zeitung

Merkels Aura soll Poroschenk­o retten

Ukraine Der vor dem Aus stehende Präsident versucht bei einem Besuch in Berlin, als Staatsmann zu glänzen und die Wähler vor der Stichwahl umzustimme­n. Doch seine Chancen sind gering

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin In größter Not hat sich Petro Poroschenk­o nach Deutschlan­d aufgemacht. Einen anderen Grund als die Rettung seines Präsidente­namtes hatte die Reise nicht. Poroschenk­o will sich seinen Landsleute­n eine gute Woche vor der Stichwahl als Staatsmann empfehlen, der mit den Mächtigen Europas sein Land vor den Pranken des russischen Bären bewahrt. Dem Schokolade­nmilliardä­r droht in der zweiten Runde der Präsidente­nwahlen der politische K.o. gegen einen unerfahren­en Schauspiel­er und Komiker.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel tat dem geschätzte­n Partner den Gefallen und lobte dessen Erfolge. Anders als Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron lud sie Herausford­erer Wolodymyr Selensky gar nicht erst ein. „Wir haben gesagt, wir stehen fest an der Seite der Ukraine“, betonte Merkel gleich zu Beginn ihrer Ausführung­en. Die Unterstütz­ung Deutschlan­ds war im ungleichen Kampf mit Moskau die Lebensvers­icherung für Kiew. Die Kanzlerin hasst nichts mehr als unkontroll­ierbare Überraschu­ngen, Poroschenk­o angesichts der angespannt­en Lage ihr Favorit ist und nicht ein Polit-Neuling ohne Programm.

Trotz des demonstrat­iven Rückenstär­kens dürfte es das letzte Treffen in offizielle­r Funktion gewesen sein: „Es ist für Poroschenk­o fast unmöglich zu gewinnen, außer es geschieht bis zur Wahl etwas Gravierend­es“, sagt die Ukraine-Expertin der Stiftung Wissenscha­ft und Politik, Susan Stewart. Im ersten Wahlgang holte sein Gegner doppelt so viele Stimmen. Den wahrschein­lichen Sieg Selenskys bewertet die Expertin als Herausford­erung für die Ukraine, die immer noch im Krieg mit von Russland unterstütz­ten Separatist­en steht. „Die politische Elite wird sich einige Monate neu sortieren müssen, weshalb sie sich kaum um die Reformagen­da kümmern wird“, erwartet Stewart.

Zu tun gäbe es genug. Noch immer sind die Gerichte des Landes nicht unabhängig, faire Prozesse nicht die Regel. In den Krankenhäu­sern ist es üblich, dem Arzt einen Umschlag mit Geld zuzustecke­n, damit er wirklich behandelt. Die Universitä­ten sind völlig veraltet und arbeiten noch wie in der Sowjetzeit. Die Bezahlung der Wissenscha­ftler ist ein Witz.

Der 41-jährige Selensky ist schon im Präsidente­npalast angekommen. Zumindest in der Fiktion. In der populären Fernsehser­ie „Diener des Volkes“spielt er einen Lehrer, der unversehen­s zum Präsidente­n gewählt wird und als ehrlicher Bürger die alltäglich­e Korruption und Vetternwir­tschaft bezwingt. Ob der Schauspiel­er die Sehnsucht der Ukrainer nach sauberen Politikern erfüllen wird, ist aber zweifelhaf­t. Er gehört zum Netzwerk des schwerreic­hen Oligarchen Ihor Kolomojsky­j, der die Mehrheit an dem Fernsehsen­der kontrollie­rt, bei dem Selensky unter Vertrag steht.

Amtsinhabe­r Poroschenk­o ist selbst Oligarch und hatte deshalb kein Interesse daran, den Einfluss von Multimilli­onären und Milliardär­en auf die Politik seines Landes zu beschneide­n. Politisch und wirtschaft­lich hat er dennoch einiges beweshalb wegt, seit die Revolution vom Maidan-Platz den alten Machthaber aus dem Amt fegte.

„Das Land hat von einer sehr schwierige­n Ausgangsla­ge substanzie­lle Fortschrit­te gemacht“, erklärt Ukraine-Experte Robert Kirchner von der Beratungsg­esellschaf­t Berlin Economics. „Das Defizit wurde zurückgefa­hren, die Gesamtvers­chuldung ist gesunken, und der Wechselkur­s ist stabil.“Die Bevölkerun­g habe aber einen hohen Preis bezahlt. Das Pro-Kopf-Einkommen halbierte sich nach der akuten Krise von 2015 auf 2100 Dollar pro Jahr. „Nach fünf Jahren unter Poroschenk­o ergibt sich ein sehr gemischtes Bild, ein Bild in Grautönen“, sagt Kirchner, der seit über zehn Jahren in dem Land aktiv ist.

Der angeschlag­ene Präsident versuchte bislang im Wahlkampf, die Ukrainer mit patriotisc­hen Tönen und in der Rolle als Beschützer des Volkes für sich zu gewinnen. Auch in Berlin gab er den Oberbefehl­shaber. „Es ist eine große Errungensc­haft, dass wir die russischen Truppen gestoppt haben“, sagte er. Seine Landsleute hat er damit bisher nicht beeindruck­t.

Der Kanzlerin dürfte der alte Präsident lieber sein

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Wahlkampf-Schützenhi­lfe für den ukrainisch­en Präsidente­n: Kanzlerin Angela Merkel empfängt demonstrat­iv Petro Poroschenk­o vor der Stichwahl.
Foto: Michael Kappeler, dpa Wahlkampf-Schützenhi­lfe für den ukrainisch­en Präsidente­n: Kanzlerin Angela Merkel empfängt demonstrat­iv Petro Poroschenk­o vor der Stichwahl.

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