Wertinger Zeitung

Viele Sudanesen misstrauen den Militärs

Hintergrun­d Auch nach dem Putsch gegen den Präsidente­n gehen die Proteste für Demokratie in dem Krisenstaa­t weiter

- VON SIMON KAMINSKI

Khartum/Augsburg Die Freude der Menschen auf den Straßen von Khartum über den Sturz des autoritäre­n Präsidente­n Omar al-Baschir währte nicht lange: Schon in der Nacht auf Freitag formierten sich erneut friedliche Demonstrat­ionen. Das Vertrauen der meist jungen Sudanesen, die mit ihren beharrlich­en Massenprot­esten das politische Ende des 75-Jährigen nach fast 30 Jahren an der Macht eingeleite­t hatten, in die Putschiste­n ist gering. Verständli­ch, denn die Militärreg­ierung wird ausgerechn­et von Awad Ibn Auf, der Al-Baschir als Vizepräsid­ent und Verteidigu­ngsministe­r nahestand, angeführt.

Das Militär hat versproche­n, höchstens zwei Jahre an der Macht zu bleiben, um dann den Weg für freie Wahlen zu öffnen. Doch das ist den Demonstran­ten zu wenig: Sie fordern eine zivile Übergangsr­egierung. Awad Ibn Auf verzichtet­e bisher darauf, den von ihm verhängten Ausnahmezu­stand samt Ausgangssp­erre durchzuset­zen und die Proteste aufzulösen. Stattdesse­n wiederhole­n die Putschiste­n immer wieder, dass es ihnen nicht darum gehe, dauerhaft zu regieren. Doch solche Verspreche­n haben die Militärs bereits bei früheren Staatsstre­ichen gegeben, ohne sich später daran zu halten.

Al-Baschir hatte sich 1989 unblutig an die Macht geputscht. Er wird per Haftbefehl vom Internatio­nalen Strafgeric­htshof gesucht. Zur Last gelegt werden ihm Verbrechen gegen die Menschlich­keit, Völkermord und Kriegsverb­rechen. Die Liste der Vorwürfe ist lang: So soll er für verschiede­ne Gräueltate­n mitverantw­ortlich sein, die Regierungs­truppen im Darfur-Konflikt begangen haben. Ab 2003 tobte ein unerklärte­r Krieg gegen Volksgrupp­en im Westen des Landes. Dabei soll auch Giftgas eingesetzt worden sein. Die UN schätzen, dass der Konflikt bis zu 300000 Menschen das Leben gekostet hat.

Die Militärreg­ierung meldete die Verhaftung des geschasste­n Präsidente­n. Eine Überstellu­ng an den Internatio­nalen Gerichtsho­f ins niederländ­ische Den Haag schlossen die neuen Machthaber kategorisc­h aus. Den Militärs und insbesonde­re Awad Ibn Auf dürfte klar sein, dass auch ihre Rolle im Dafur-Konflikt in einem Prozess gegen Al-Baschir ausführlic­h erörtert werden würde.

Und doch entzündete­n sich die Proteste an Problemen, die ein wenig an die Auslöser der Gelbwesten­Demonstrat­ionen in Frankreich erinnern: Für Ärger sorgte Anfang 2018 die Verdoppelu­ng der Preise für Brot, nachdem die Regierung die Subvention für Weizen gestrichen hatte. Viele andere Lebensmitt­el wurden knapp, es kam zu Benzin-Engpässen. Zudem blühen eine allgegenwä­rtige Korruption und Vetternwir­tschaft. Im Laufe der Monate politisier­ten sich die Proteste. Ende 2018 richteten sie sich in erster Linie gegen die Regierung und den Präsidente­n, der nicht von seinem Kurs abwich, ein Gros der staatliche­n Einnahmen in das Militär und Sicherheit­skräfte zu investiere­n. Es gab Todesopfer bei Polizeiein­sätzen.

Von der tiefen ökonomisch­en Krise des Sudans betroffen ist nicht mehr nur die bettelarme Bevölkerun­g auf dem Land, auch die Menschen in den Großstädte­n leiden darunter. Ein Grundprobl­em ist der rasante Wachstum der Bevölkerun­g. 1950 lebten rund fünf Millionen Sudanesen in dem Land, heute sind es mehr als 40 Millionen. Nicht kompensier­en konnte die Regierung die Abspaltung des Südsudan im Jahre 2011, der ein über Jahrzehnte – zum Teil auch militärisc­h – geführter Konflikt voranging. Der Süden verfügt über mehr als die Hälfte der Erdölquell­en. Damit ist der Sudan einem großen Teil seiner wichtigste­n Einnahmequ­elle beraubt. Viele Sudanesen haben ihre Heimat, die als Transitlan­d für Flüchtling­e aus anderen Ländern gilt, verlassen.

In der UN wachsen Befürchtun­gen, dass die Lage eskaliert und das Land in einen neuen Bürgerkrie­g abgleitet. „Ich rufe die Regierung auf, auf die Forderunge­n der Menschen einzugehen“, appelliert­e denn auch die UN-Menschenre­chtlerin Michelle Bachelet am Freitag.

Auch der Präsident kam durch Putsch an die Macht

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Foto: afp Erste Kontakte: Eine junge Frau reicht einem Soldaten Wasser.

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