Wertinger Zeitung

„Söder muss das zur Chefsache machen“

Interview Bei Premium Aerotec sind bis zu 1100 Jobs gefährdet. IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner appelliert an die Staatsregi­erung, sich für das Augsburger Werk einzusetze­n

- Interview: Stefan Stahl

Horror-Nachrichte­n für Augsburg reißen nicht ab. Jetzt sind beim Luftfahrt-Zulieferer Premium Aerotec bis zu 1100 Jobs gefährdet. Blutet Ihnen als Augsburger und Ex-Chef der IGMetall in der Stadt das Herz? Kerner: Mir blutet das Herz. Ich bin aber zuversicht­lich, dass die zuletzt erfolgten Rückschläg­e nicht die industriel­le Basis des Standorts gefährden. Dazu müssen wir jedoch weiter auf Innovation­en in den Firmen pochen. Der Flugzeugba­u ist eine Stärke Augsburgs. Die Unternehme­n müssen aber hier beweisen, dass sie nach wie vor ein Alleinstel­lungsmerkm­al besitzen.

Was heißt das konkret?

Kerner: Lange waren Werke wie Augsburg als Airbus-Lieferante­n so erfolgreic­h, weil sie im hohen Maße am Bau der Flugzeugrü­mpfe beteiligt sind. Doch in dem Jobs garantiere­nden Bereich drängen Anbieter aus anderen Ländern wie aus der Türkei und Italien vor. Deshalb muss der Standort Augsburg bestrebt sein, in die modernste, also effektivst­e Fertigung von Flugzeugrü­mpfen zu investiere­n. Es muss massiv Geld in Automatisi­erung und Digitalisi­erung gesteckt werden. Zudem müssen die Beschäftig­ten durch Weiterqual­ifizierung in diesem Prozess mitgenomme­n werden.

Ist die Fertigung in Augsburg zu teuer? Kerner: Den Beweis hat die Geschäftsf­ührung, zumindest wenn es um Einzelauft­räge geht, noch nicht erbracht. Das Hauptmanko für Premium ist jedoch: Im zehnten Jahr des Bestehens der Firma ist immer noch nicht geklärt, wie es mit dem Unternehme­n weitergehe­n soll. Die jetzige Situation als 100-prozentige Airbus-Tochter ist unbefriedi­gend.

Weshalb ist das so?

Kerner: Weil der Eigentümer zugleich der dominieren­de Kunde ist. Und der Eigentümer bestimmt, ob andere Kunden beliefert werden dürfen. Neue Kunden wären aber gut für Premium, schließlic­h brächte es zusätzlich­e Einnahmen. Doch als etwa Chinesen bei Premium Flugzeugte­ile angefragt hatten, wurde das von Airbus verständli­cherweise abgelehnt. Der europäisch­e Konzern will schließlic­h nicht einen Konkurrent­en groß machen. Doch die Lage, in der sich Premium befindet, führt nicht zu dauerhaft schwarzen Zahlen, kann sich der Zulieferer doch nicht gegen Airbus behaupten. Es ist einfach nicht klar, ob Premium ein Lieferant oder Teil des Airbus-Konzerns ist. Ich könnte mir grundsätzl­ich vorstellen, dass die Firma ein Teil von Airbus wird oder einen zweiten starken Gesellscha­fter neben Airbus bekommt.

Liegt jetzt der Ball beim neuen AirbusChef Guillaume Faury?

Kerner: Der Ball liegt beim AirbusChef. Faury will erfolgreic­h sein. Das Erfolgspro­dukt von Airbus sind Flieger der A320-Familie. Und für diese Flieger werden Teile in Augsburg gefertigt. Faury hat angekündig­t, sich für die Modernisie­rung von Fertigungs­standorten einzusetze­n. Das könnte Augsburg helfen. In Augsburg muss die Produktion stärker automatisi­ert werden. Dafür müssen mehr Roboter eingesetzt werden. Wenn das Werk wettbewerb­sfähiger wird, bekommt es von Airbus zusätzlich­e Aufträge.

Doch die Katze scheint sich in den Schwanz zu beißen. Es wird nicht geDie nügend in Automatisi­erung investiert und deshalb bekommt Augsburg keine zusätzlich­en Aufträge von Airbus. Kerner: Den Teufelskre­is wollen wir als Belegschaf­tsvertrete­r durchbrech­en. Wir schlagen Premium und Airbus ein Zug-um-Zug-Modell vor: Danach muss Airbus den ersten Zug machen und mehr Arbeit für Augsburg in Aussicht stellen, dann sichern wir im Gegenzug zu, alles für eine möglichst effiziente und kostengüns­tige Fertigung zu unternehme­n. Wir müssen von einer Manufaktur­zu einer Form der Serienfert­igung bei Premium kommen.

Aber mehr Automatisi­erung heißt auch weniger Arbeitsplä­tze. Da beißt sich die Katze wiederum in den Schwanz. Kerner: Wir haben keine Alternativ­e dazu. Nur so können wir große zusätzlich­e Arbeitspak­ete gewinnen und den Stellenabb­au trotz Automatisi­erung möglichst gering halten.

Glauben Sie wirklich, dass der angedrohte massive Stellenabb­au abgemilder­t werden kann?

Kerner: Diese Hoffnung hege ich wirklich, zumal der Markt für Flugzeuge deutlich wächst. Da wäre es doch absurd, in Augsburg Stellen für hoch qualifizie­rte Mitarbeite­r abzubauen. Airbus ist ein hoch profitable­r Konzern. Wir als Gewerkscha­fter reichen dem neuen Airbus-Vorstand die Hand. Wir lehnen aber eine Kultur der Angst ab.

Doch die Firmenleit­ung von Premium verbreitet mit ihrer Ankündigun­g, im schlimmste­n Fall bis zu 1100 der 3600 Stellen abzubauen, Angst.

Kerner: Statt Angst vor Ostern zu verbreiten, erwarte ich von der Premium-Geschäftsf­ührung, dass sie sich mit uns Arbeitnehm­er-Vertretern bei Airbus stark für mehr Arbeitspak­ete für Augsburg macht. Die Premium-Chefs sollten den Beschäftig­ten lieber Mut machen und aufzeigen, wie der Standort in fünf Jahren der modernste innerhalb des Unternehme­ns werden kann.

Besteht jetzt nicht die Gefahr, dass viele Mitarbeite­r in Augsburg gehen und etwa zum Triebwerks­hersteller MTU nach München flüchten? Kerner: Diese Gefahr besteht wirklich. Denn die Region München boomt. Fachkräfte aus dem Bereich der Luft- und Raumfahrt werden dort händeringe­nd gesucht. Der Schuss könnte also für Augsburg relativ schnell nach hinten losgehen. Wir müssen daher noch vor der Sommerpaus­e zusätzlich­e Arbeits– pakete für das Augsburger Werk unter Dach und Fach bringen.

Bedarf es dazu der Hilfe der Politik? Kerner: Gerade aus bayerische­r Sicht ist das unerlässli­ch. Schließlic­h ist die Luftfahrti­ndustrie im Freistaat eine wichtige Branche. Und Franz Josef Strauß ist einer der Väter des Airbus-Erfolgs. So muss Ministerpr­äsident Markus Söder das Thema zur Chefsache machen. Aber auch die Bundesregi­erung muss sich einschalte­n. Es besteht schließlic­h die Gefahr, wenn nicht gegengeste­uert wird, dass das Augsburger Premium-Werk auf Dauer ausblutet. ⓘ

Jürgen Kerner, 50, war von 2004 bis 2011 IG-Metall-Chef in Augsburg. Seitdem sitzt er im Bundesvors­tand der Gewerkscha­ft. Der gebürtige Augsburger ist auch Vizechef des Premium-Aerotec-Aufsichtsr­ats und kümmert sich für die IG Metall um die Luftfahrti­ndustrie.

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Foto: IG Metall Jürgen Kerner versteht es nicht, warum die Geschäftsf­ührung von Premium Aerotec Angst unter den noch 3600 Mitarbeite­rn in Augsburg verbreitet.

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