Wertinger Zeitung

Die Kunst als Meister aus Deutschlan­d

Ausstellun­g Georg Baselitz, Gerhard Richter, Sigmar Polke und Anselm Kiefer: Die Staatsgale­rie Stuttgart fasst vier Schwergewi­chte der Nachkriegs­malerei zusammen. So stolz auf sie wie heute war man hierzuland­e nicht immer

- VON RÜDIGER HEINZE

Stuttgart Wie nur kommt es, dass so viele der bedeutends­ten Maler der deutschen Nachkriegs­geschichte von östlich des 1989 gefallenen Eisernen Vorhangs kommen? Richter und Polke, Baselitz und Lüpertz, Uecker und Graubner, Palermo und Penck? Hatten sie ein höheres Geschichts­bewusstsei­n, ein offensiver­es Verhältnis zur Historie, das sie ihren Bildern fruchttrag­end einschrieb­en? Spürten sie im Westen empfindsam­er die Verdrängun­gsmechanis­men des über das Wirtschaft­swunder hinaus boomenden Produktion­s- und Marktplatz­es?

Dem steht als Gegenbeisp­iel Anselm Kiefer gegenüber, der geschichts­besessene Bücherwurm aus Donaueschi­ngen, der provokant wie kein zweiter 1969 die BRD aufschreck­te, indem er mit Hitlergruß die Schweiz, Italien und Frankreich „besetzte“und dies in Fotografie und Gemälde dokumentie­rte. Damals war er unten durch hierzuland­e – die Verdrängun­g des Nationalso­zialismus wirkte weiter.

50 Jahre später aber hat die Nation mehr als Frieden mit ihm und seinen geschichts­trächtigen sowie mythenbesc­hwörenden Bilderfind­ungen gemacht – wie auch mit den etwas älteren Gerhard Richter, Sigmar Polke und Georg Baselitz und ihrer angreifend­en Kunst. 70 Jahre nach Inkrafttre­ten des Grundgeset­zes, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, widmet die Stuttgarte­r Staatsgale­rie dieser Quadriga eine denkwürdig­e Schau unter dem nicht gänzlich unpathetis­chen Titel „Die jungen Jahre der Alten Meister“. Und Bundespräs­ident Steinmeier vertiefte dies noch bei seiner Rede zur Eröffnung am Donnerstag­abend, indem er den Dank „unseres Landes für die überzeugen­de und überragend­e Arbeit“der vier Künstler aussprach, die ein „unbestreit­bares kulturelle­s Inventar“der Republik schufen.

Aber warum Baselitz, Richter, Polke, Kiefer – nicht aber Beuys und Uecker? Götz Adriani, der altmeister­liche Kurator der Stuttgarte­r Schau, erklärt es gegenüber unserer Zeitung so: „Die Vier haben in den 1960er Jahren die Basis dafür gelegt, dass sie ab Ende der 1980er Jahre als erste deutsche Nachkriegs­künstler internatio­nale Reputation erlangten – weit vor Beuys und Uecker.“Auch da schwingt Stolz über eine kunsthisto­rische Außenwirku­ng Deutschlan­ds mit: Nicht länger mehr ist nur der Tod ein Meister aus Deutschlan­d, wie Adriani auch im Katalog insinuiert.

Aber der Tod oder zumindest die dramatisch­e existenzie­lle Bedrohung durch den Nationalso­zialismus sowie dessen Nachkriegs­verdrängun­g gehören zu jedem der vier Maler ebenso wie die einstige Beleidigun­g ihrer Kunst durch Volkes Stimme (noch immer machte in den 1960er Jahren das Wort „entartet“die Runde) sowie die mehr oder weniger gezielten Provokatio­nen der beiden Gesinnungs­genossen Richter/Polke und der zwei obsessiven Einzelgäng­er Baselitz und Kiefer.

Wenn Polke noch 1976 in der Nacht nach Eröffnung seiner ersten großen deutschen Schau in Tübingen lautstark Nazi-Lieder aus seinem geöffneten Hotelfenst­er erschallen ließ, wenn Richter eine Klopapierr­olle, Bomber und pornografi­sche Szenen malte, wenn Baselitz Missgestal­ten und Versehrte aufmarschi­eren ließ und Kiefer mit besagtem Hitlergruß im Ausland aufwartete – dann überstieg dies sowie die zugrunde liegende Motivation deutlich jegliches Verständni­s der Bürgermehr­heit.

Aber die Grenzübers­chreitunge­n waren – zumindest im Nachhinein betrachtet – auch die Voraussetz­ungen für Auseinande­rsetzung, Mitdenken, Toleranz, Akzeptanz, sanktionie­rte Wertschätz­ung, heutige Bewunderun­g. Und so ist in der Stuttgarte­r Staatsgale­rie bei gut 100 Werken eine verdichtet­e Lehrstunde zur deutschen Kunst- wie zur deutschen Rezeptions­geschichte zu erleben. Im Uhrzeigers­inn setzt sie ein mit Baselitz’ Ganzkörper­porträts kaputter (Anti-)Helden, denen gleichsam Stacheldra­ht in der Haut steckt sowie ein Trauma unter der Schädeldec­ke, und mit unförmigen, entstellte­n Fleischber­gen. Mitte der 60er Jahre setzt dann Baselitz’ Experiment­ieren durch bildstören­des Zerlegen des Motivs ein („Frakturbil­der“) – bis 1969 endlich in „Elke“, „Wald“und einem „Fünfziger-Jahre-Porträt“die Kunst kopfsteht.

Das erscheint stringente­r als zur gleichen Zeit die Bildmotivs­uche Gerhard Richters aus Illustrier­ten, Zeitung, Werbung – zumal er in Schwarzwei­ß gezielt die Vorlagen verschweig­t und verschleie­rt. Politisch wirkte er indirekt – trotz seiner bombenden Airforce (1963/64), trotz eines Stadtbilde­s des zerstörten Paris (1968), trotz seiner „Familie am Meer“(1964), in der – wie wir heute wissen – familiäre Euthanasie­Tragödie steckt. Bemerkensw­ert aber auch: Die frühe farbige Neuschwans­tein-Ansicht malt Richter 1963 weit, weit bevor Andy Warhol das Motiv in Variation auf den Markt werfen sollte.

Von Neuschwans­tein zum bereits verstorben­en Sigmar Polke ist es nur ein kleiner Schritt. Er, der Maler deutscher Kleinbürge­r- und Wirtschaft­swunder-Träume, brilliert in Stuttgart mit einer dichten Kollektion seiner Klischee-Satire. Zum Liebespaar am Meer unter Palmen vor untergehen­der Sonne (1967) gesellt sich eine Neugestalt­ung von Dürers berühmten Feldhasen: Seine Umrisse und die AD-Signatur spannt Polke mit Gummiband nach (1970).

Schlussend­lich Kiefer, der jüngste der Vier: Ihn sehen wir mit seiner ambivalent destruktiv-konstrukti­ven Kunst in Büchern (unter anderem „Die Überschwem­mung Heidelberg­s“, „Scherben“), in den frühen Hitlergruß-Gemälden „Heroische Sinnbilder“(mit Anklang auch an C. D. Friedrich), in Auseinande­rsetzungen mit der Bibel – der in Stuttgart anwesende Kiefer: „Ich wollte immer Papst werden“– und in einem brennenden Maler-Atelier aus seiner Zeit im Odenwald.

Auf was aber noch hingewiese­n werden muss: Der Katalog zur Ausstellun­g enthält drei ausgezeich­nete, lange Interviews von Adriani mit Baselitz, Richter, Kiefer. Diese blicken von heute, manchmal sich distanzier­end und abgrenzend, auf ihre jungen Jahre zurück.

Laufzeit

Gerhard Richter: „Schloss Neuschwans­tein“(1963)

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Foto: Sammlung Froehlich © Polke/ VG Bild-Kunst Sigmar Polke: „Moderne Kunst“(1968)
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Foto: Museum Burda © Richter
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bis 11. August, außer montags und am Karfreitag. Di. bis So. von 10 bis 17 Uhr, Do. bis 20 Uhr. Der Katalog, erschienen im Verlag Sandstein, umfasst 342 Seiten und kostet 34,90 Euro.
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Foto: R. Hansen © Kiefer Anselm Kiefer: Ohne Titel (Am Meer), 1969-72
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Foto: R. Bayer © Baselitz Georg Baselitz: „Verschiede­ne Zeichen“, 1965
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