Verlängerung
Das Beste kommt zum Schluss, heißt es. Aber stimmt das so noch? Denn die Frage, wann eigentlich Schluss ist, findet immer unbestimmtere Antworten. Wir leben in Zeiten des offenen Endes. Der Schluss ist abgeschafft, aufgeweicht oder aufgeschoben. Das Fernsehen hat den Sendeschluss abgeschafft, Frank Castorf hat das Ende des Theaterabends abgeschafft – und Amazon den Ladenschluss.
Es wird verlängert, wohin man schaut. Früher hatten die Echthaarverlängerung und Sitzungen der Landwirtschaftsminister in Brüssel eine gewisse Alleinstellung. Inzwischen findet niemand mehr ein Ende. Es wird überall angestückelt. Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten? War einmal. Immer mehr Partien werden in der Nachspielzeit entschieden. Die Lebenserwartung steigt und steigt – auch das eine Form der Verlängerung, an die wir uns gewöhnt haben. Und die Sommerzeit? Abends bis spät hell, der Tag also: verlängert. Hätte glatt von Leonardo da Vinci erfunden worden sein können, dem dieses Zitat zugeschrieben wird: „Die Zeit verlängert sich für alle, die sie zu nutzen verstehen.“
Größtes Verlängerungsdrama der Jetztzeit aber ist zweifellos der Brexit. Was hier an Überdehnung, Überreizung, Wiederholungsschleife und dramaturgischer Endzeitstimmung aufgeführt wird, ist einzigartig. Der Aufschub vom Austritt, das Gefeilsche um Deals und Deadlines, immer neue Szenarien der Vorläufigkeit… Und niemand pfeift ab. Die Akteure schlurfen weiter mit hängenden Köpfen übers Spielfeld. Fristen sind Makulatur, Fristverlängerungen an der Tagesordnung.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Auch diese alte Weisheit erodiert im Brexit-Drama, bei dem der Vorhang einfach nicht fällt. Wie immer die Geschichte nun final ausgehen mag, eines ist gewiss: Der Brexit wird ein Nachspiel haben.
Aber erst einmal kommt nun die „flexible Verlängerung“, die eine Verkürzung des Aufschubs gestattet, aber nicht zwingend erfordert. Seit dieser Woche wissen wir, wie das Schwarze Loch aussieht. Im Prinzip so ähnlich wie der Brexit.
Auch dieser Text müsste verlängert werden. Der Autor bittet um Aufschub …