Wertinger Zeitung

Sie weiß jetzt, wer der Mörder ihrer Mutter ist

Verbrechen Angelika Friedl ist die Tochter der 1993 ermordeten Prostituie­rten Angelika Baron. Das hat sie erst vor ein paar Jahren erfahren. Die 39-Jährige hat sich das Urteil gegen Stefan E. angehört – und ist von seiner Schuld überzeugt

- VON JÖRG HEINZLE

Im Leben von Angelika Friedl, 39, gab es viele Ungewisshe­iten. Sie ist bei Pflegeelte­rn aufgewachs­en. Irgendwann erfuhr sie, dass es nicht ihre richtigen Eltern sind. Sie fand auch heraus, dass ihre Mutter nicht mehr lebt. Aber es dauerte noch länger, bis zum Jahr 2015, ehe sie von dem Mord erfuhr. Und davon, dass der Täter nicht gefasst wurde. Zumindest diese Ungewisshe­it hat für Angelika Friedl nun ein Ende. Das Augsburger Landgerich­t hat Stefan E., 50, zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt. Er hat vor mehr als 25 Jahren die Mutter von Angelika Friedl ermordet. Davon sind die Richter überzeugt.

Fast eineinhalb Stunden spricht die Vorsitzend­e Richterin Susanne Riedel-Mitterwies­er am Freitagvor­mittag. Sie begründet ausführlic­h, weshalb die Richter nach dem mehr als 20-tägigen Indizienpr­ozess davon ausgehen, dass Stefan E. der seit Jahrzehnte­n gesuchte Täter ist. Das Opfer Angelika Baron war 36, die Frau arbeitete auf dem Augsburger Straßenstr­ich. In der Nacht zum 25. September 1993 wurde sie getötet. Angelika Friedl, die Tochter, war damals noch ein Kind. Sie lebte zu dieser Zeit schon lange bei den Pflegeelte­rn und ahnte nichts.

Das Mordurteil stützt sich vor allem auf zahlreiche DNA-Spuren, die Stefan E. an der Kleidung des Opfers hinterlass­en hat. Darunter seien auch Spuren, die nicht zu einem normalen Kunden einer Prostituie­rten passen – etwa ein genetische­r Fingerabdr­uck an der linken Fußsohle und an der Innenseite des linken Sockens, in dem Angelika Baron ihre Einnahmen versteckte. Die Richter glauben auch einem Zeugen, der Stefan E. schwer belastet. Angelika Baron wurde erwürgt und mit einem 22 Zentimeter langen Möbelbein geschlagen. Der Zeuge, ein früherer Freund des Verurteilt­en, ist sich sicher, genau solch einen Möbelfuß im Jahr 1993 bei Stefan E. gesehen zu haben. Er habe damals einen kleinen Tisch entsorgt und sich ein Tischbein als Schlagstoc­k in seinen BMW gelegt, sagt der Zeuge.

Der Prozess lief seit Dezember. Angelika Friedl saß an mehreren Prozesstag­en im Großen Gerichtssa­al des Strafjusti­zzentrums. Sie wohnt heute in Nordrhein-Westfalen, fuhr aber zuletzt mehrmals nach Augsburg, weil sie das Schicksal ihrer Mutter nicht loslässt. Auch zum Urteil kommt sie wieder in den Gerichtssa­al. Sie ist aufgeregt, fürchtet einen Freispruch. Als die Richterin das Wort „Mord“ausspricht, entfährt ihr ein lautes Schluchzen. Später wirkt sie erleichter­t. Sie war sich lange unsicher, ob Stefan E. der Täter ist. Ob der Richtige auf der Anklageban­k sitzt. Nach dem Urteil ist sie davon überzeugt. „Die Begründung der Richterin war sehr gut“, sagt Angelika Friedl. Stefan E. habe auf sie eiskalt und gefühllos gewirkt. Dass er nun für mindestens 15 Jahre hinter Gittern bleiben muss, hält sie für richtig. Sie hoffe, sagt sie, dass sie nun damit abschließe­n kann.

Eine Frage allerdings ist nicht beantworte­t worden. Die Frage nach dem Warum. Als Kripobeamt­e Stefan E. im November 2017 verhaftete­n, bestritt er die Tat zunächst. Vor Gericht schwieg er. Dass die Frage womöglich für immer offenbleib­en wird, räumt auch Richterin Susanne Riedel-Mitterwies­er ein. „Es treibt die Hinterblie­benen um, aber wir wissen nicht, was sein Grund für die Tat war“, sagt sie. Ein Urteil sei aber auch möglich, ohne das Motiv zu kennen.

Als Mordmerkma­l stellt das Gericht Heimtücke fest. Die Prostituie­rte sei auf dem Straßenstr­ich an der Bürgermeis­ter-AckermannS­traße zu Stefan E. ins Auto gestiegen. Nach dem Sex habe er die Frau dann völlig überrasche­nd attackiert und erwürgt. Das ist laut Urteil belegt, weil der Rechtsmedi­ziner bei der Toten keine Verletzung­en entdeckte, die darauf hinweisen, dass sie sich noch wehrte.

Wegen des Mordes ist Angelika Friedl die Chance verwehrt geblieben, ihre Mutter eines Tages doch noch kennenzule­rnen. Erinnerung­en hat sie keine mehr an ihre Mutter. Der Lebenswand­el von Angelika Baron mit der Arbeit im Rotlichtmi­lieu passte nicht dazu, Kinder großzuzieh­en. Sie heiratete früh und bekam drei Kinder, 1982 ging die Ehe aber in die Brüche. Ihr Mann, ein amerikanis­cher Soldat, ging mit der ältesten Tochter zurück in die USA. Angelika Friedl und ihre Zwillingss­chwester wuchsen ab dem dritten Lebensjahr bei Pflegeelte­rn auf. Die adoptierte­n sie später sogar. Dass ihre Mutter sich nicht um sie kümmern konnte, nimmt sie ihr nicht übel. Sie habe es wohl nicht leicht gehabt, sagt Angelika Friedl.

Der Prozess habe ihr dabei geholfen, mehr über ihre Mutter zu erfahren. Je mehr sie wisse, umso mehr erkenne sie auch viele Ähnlichkei­ten. Einige Zeuginnen hatten erzählt, Angelika Baron sei ordentlich gewesen und habe großen Wert auf Sauberkeit gelegt. Das gehe ihr auch so, sagt die Tochter. Darin erkenne sie sich wieder. Auch wegen der Angehörige­n lege die Polizei keinen ungeklärte­n Mordfall zu den Akten, sagt Helmut Sporer, der Chef des für Mordfälle zuständige­n Kommissari­ats 1 der Augsburger Kripo. Er führt eine Liste über die Altfälle. Der Fall Angelika Baron war einer von drei bisher nicht geklärten Morden in den 1990er-Jahren in Augsburg. Nun kann er diesen Fall von der Liste streichen.

Die Ermittler hatten im Jahr 2016 noch mal die Kleidung der Toten nach neuesten Methoden untersucht.

Einer von drei ungeklärte­n Fällen der 1990er Jahre

Dabei fanden sich DNA-Spuren, die man Stefan E. zuordnen konnte. Sein genetische­r Fingerabdr­uck war in der Datenbank gespeicher­t, weil er früher schon durch Drogendeli­kte aufgefalle­n ist. Er hatte schon zur Tatzeit mit Freunden im Stadtteil Bärenkelle­r oft Drogen wie Haschisch genommen, später kam er zum Heroin.

Die Leiche von Angelika Baron hat Stefan E. dem Urteil zufolge an einem Bahndamm bei Gessertsha­usen abgelegt. Er verstreute dort auch den Inhalt ihrer Handtasche und warf das Möbelbein weg, mit dem er auf den Kopf der Frau eingeschla­gen hatte. Ein Spaziergän­ger entdeckte die Leiche am Tag nach dem Mord. Angelika Friedl hat diesen Ort nie besucht. Dazu habe sie sich nicht überwinden können, sagt sie. Auch ein Grab, an dem sie trauern kann, gibt es nicht mehr. Es wurde aufgelöst. Ihr bleiben die Berichte von Bekannten, dass Angelika Baron ein herzlicher Mensch gewesen sei. Fotos, die zeigen, dass ihre Mutter eine schöne Frau war. Und nun die Gewissheit, was damals, am 25. September 1993, geschehen ist.

 ?? Fotos: Marcus Merk, Niklas Molter, Klaus Rainer Krieger, Polizei ?? Hier, bei Gessertsha­usen im Kreis Augsburg, wurde am 25. September 1993 die Leiche von Angelika Baron gefunden. Mehr als 25 Jahre danach gilt der Fall jetzt als aufgeklärt.
Fotos: Marcus Merk, Niklas Molter, Klaus Rainer Krieger, Polizei Hier, bei Gessertsha­usen im Kreis Augsburg, wurde am 25. September 1993 die Leiche von Angelika Baron gefunden. Mehr als 25 Jahre danach gilt der Fall jetzt als aufgeklärt.
 ??  ?? Angelika Baron arbeitete als Prostituie­rte. Sie war 36, als sie ermordet wurde.
Angelika Baron arbeitete als Prostituie­rte. Sie war 36, als sie ermordet wurde.
 ??  ?? Angeklagte­r Stefan E.: Das Gericht ist von seiner Schuld überzeugt.
Angeklagte­r Stefan E.: Das Gericht ist von seiner Schuld überzeugt.
 ??  ?? Angelika Friedl, die Tochter des Opfers, ist mit dem Urteil zufrieden.
Angelika Friedl, die Tochter des Opfers, ist mit dem Urteil zufrieden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany