Wertinger Zeitung

Glückliche­r ohne Sterne

Glanz mit Schattense­iten: Warum Spitzenköc­he auf die höchsten Ehren verzichten. Persönlich­e Bekenntnis­se der Profis und spannende Erkenntnis­sen über eine harte Branche – eine Küchenerku­ndung

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Schwäbisch­e Festtagssu­ppe vom Hummer nannte sich die Spezialitä­t von Albert Oblinger, die er in seinem Restaurant Am Fischertor in Augsburg gern auf den Tisch brachte: In der klaren, leicht rötlichen Hummersupp­e schwammen Spätzle, Klößchen, Strudel, alles gefertigt aus edlen Fischen. „Besser kann man die nicht machen, nur anders“, lautete ein Kritikerur­teil, erzählt Oblinger und man hört dem 65-Jährigen den Stolz über das Lob immer noch an. Suppen und Saucen waren die große Leidenscha­ft von Albert Oblinger – und seine Stärke. Auch sie waren dafür verantwort­lich, dass er über Jahre zu den 100 besten Köchen in Deutschlan­d zählte. Er kochte für die Bundespräs­identen Heinemann, Scheel, Carstens und von Weizsäcker und für die Bundeskanz­ler Schmidt und Kohl. 1986 wurde sein Restaurant in Augsburg mit einem Michelin-Stern ausgezeich­net.

Dann aber, Mitte der 90er Jahre, der Entschluss: „Ich baue den Altar ab und streiche die Floskeln aus der Speisekart­e.“Dies schrieb er an die Verantwort­lichen des MichelinFü­hrers und machte damit deutlich, dass er fortan auf den Stern verzichten wolle. Schade um die Festtagssu­ppe, schade auch um die Begegnunge­n mit interessan­ten Menschen in seinem Restaurant, das Lob der Restaurant­kritiker und die Prominenz als Sternekoch.

Schade aber nicht um die 14 bis 16 Stunden, die er in seinem Restaurant verbrachte, um neue Menüs auszutüfte­ln, den Umbau der Toiletten zu planen, damit auch sie sternewürd­ig wären, Einkaufsli­sten zu schreiben und den Abendbetri­eb zu managen. Unter Dauerstrom habe er gestanden, erzählt Oblinger. Zudem seien mit den Wendejahre­n schwierige­re Zeiten für die Spitzengas­tronomie angebroche­n. Der

Grund für ihn waren aber Sohn und Tochter, die innerhalb von 13 Monaten geboren wurden. „Die habe ich nur in der Früh gesehen, das war mir zu wenig.“

Ade also zu jenem Stern, den so viele begehren und nur wenige bekommen. Der Guide Michelin ist so etwas wie die rote Bibel der Spitzengas­tronomie. Einmal im Jahr erscheint er und gibt Auskunft darüber, welche Restaurant­s einen Stopp (ein Stern), einen Umweg (zwei Sterne) oder gar eine Reise (drei Sterne) wert sind. Für die neueste Ausgabe des Gastro-Führers, die im Februar dieses Jahres in Berlin präsentier­t wurde, fanden die Tester deutschlan­dweit 309 sternewürd­ige Restaurant­s, davon 261 mit einem Stern, 38 mit zwei Sternen und zehn mit drei Sternen.

Schon wer nur einen von ihnen zugesproch­en bekommt, wähnt sich im Himmel, wird in den Medien gefeiert. Aber der Glanz hat auch seine Schattense­iten, erzeugt Schlagzeil­en, in denen Worte wie Suizid, Burnout und Drogenkons­um vorkommen. Von der gnadenlose­n Hierarchie und dem rüden Ton, die in den Küchen herrschen, ganz zu schweigen. Spitzenköc­he, denen die Jagd nach den Sternen nicht mehr erstrebens­wert erscheint, gibt es einige: Jörg Müller, Holger Stromberg, Christian Rach und Cornelia Poletto, um nur ein paar zu nennen.

Seit Neuestem reiht sich auch Promikoch Johann Lafer unter die Abtrünnige­n ein. Mit seinem Restaurant Le Val d’Or in Stromberg (Rheinland-Pfalz) war er seit Jahren Dauergast in der Gourmetbib­el. Jetzt sagt er: Im Alter von 61 Jahren wolle er sich von den Zwängen der Sterneküch­e befreien und sich seinen Visionen einer traditione­llen, aber dennoch modernen Küche widmen. „Um in der Sterne-Küche mitzuspiel­en, muss jede Deko bis ins kleinste Detail sitzen, extrem hochwertig­e Zutaten sind unabdingba­r. Diese werden auf Dauer kaum auf vernünftig­e und nachhaltig­e Weise verfügbar sein. Da gibt es ein Problem mit der Ökobilanz. Wenn ich allein an Meeresfisc­he denke: Wo sollen die herkommen, in der Qualität, in der Spitzenres­taurants sie benötigen?“Aufwand und Ergebnis stehen in der Spitzengas­tronomie in keinem Verhältnis – und das nicht nur hinsichtli­ch Arbeitszei­t und nötiger Präzision.

Tatsächlic­h ist es um die Wirtschaft­lichkeit vieler Sterneloka­le schlecht bestellt. Der Personal- und Warenaufwa­nd ist enorm. So groß, dass Menüpreise von 120 bis 250 Euro den finanziell­en Einsatz längst nicht decken können. Wer dann noch Pacht für die Räumlichke­it zahlen muss, kommt kaum in die schwarzen Zahlen. Fernsehauf­tritte in Kochshows, Kochsemina­re und -bücher können kaum die Defizite ausgleiche­n. Deshalb sind Sterneloka­le oft an Hotels angedockt. Auch Sponsoring ist verbreitet: Eckart Witzigmann­s „Tantris“in München, das übrigens als erstes Restauhätt­e rant in Deutschlan­d drei Sterne erhielt, wurde vom Bauunterne­hmer Fritz Eichbauer finanziert.

Zum finanziell­en Einsatz kommt der körperlich­e. Die 60-Stundenwoc­he ist für Spitzenköc­he keine Seltenheit, sondern die Regel; Probleme mit Gelenken, Füßen und Rücken ebenso. Das stundenlan­ge Stehen und das Heben der schweren Töpfe geht auf die Knochen. Dazu kommt der fehlende Schlaf, weil einen der Dauerstres­s nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. Albert Oblinger kennt Köche, die verbrachte­n ihre freien Tage im Bett, um den Schlaf nachzuhole­n. „Schlafen, Klo gehen, wieder schlafen.“

Warum tut sich einer das freiwillig an, fragt man sich da unwillkürl­ich und begibt sich zu Simon Lang ins Hotel Drei Mohren in Augsburg. In diesem Jahr ist er in die erste Liga der deutschen Köche aufgestieg­en, hat einen Stern für das „Sartory“ergattert. Der 38-Jährige, kräftige Statur und etwas außer Atem, ist gerade mit der Inventur beschäftig­t. Auch das gehört zu seinen Aufgaben. Als Küchendire­ktor ist er nicht nur zuständig für das Gourmetres­taurant „Sartory“, sondern auch für die Küche der Bar „3M“und des Restaurant­s „Maximilian’s“. Leerlauf gibt es in seiner Arbeit nicht und oft wünscht er sich, der Tag mehr Stunden, um all die Arbeit darin unterzubri­ngen.

Aber dafür nimmt er sich Zeit: zu schwärmen von bestem französisc­hen Spargel, zu erzählen, wie Temperatur ein Produkt verändert, wie es darauf ankommt, die Aromen und Texturen aufeinande­r abzustimme­n, wie Fleisch und Fisch in einem ausgewogen­en Verhältnis mit den Beilagen auf den Teller kommen müssen, „damit jeder Bissen schmeckt und damit vor allem jeder Bissen anders schmeckt“. „Kulinarisc­he Intelligen­z“nennt Lang das, was für die stimmige Kompositio­n eines Sterne-Gerichts nötig ist. Ein Künstler sei er aber nicht, eher ein Handwerker. Wie der Schreiner, der am Ende seiner Arbeit den fertigen Schrank vor sich hat, sieht Lang den Teller, auf dem geangelter Wolfsbarsc­h, Barolobutt­er, Pinienspin­at, Polenta-Ravioli und eine gefüllte Schalotte angerichte­t sind. Doch der Druck ist gewaltig, das merkt auch er und stellt fest, dass er seit Februar, als der Guide Michelin herauskam, kritischer geworden ist. „Fast täglich ändere ich etwas an den Gerichten.“

„Die Irren mit dem Messer“hat Verena Lugert ihr Buch genannt, in dem sie beschreibt, wie es in der Küche zugeht. Die Journalist­in, begeistert­e Hobby-Köchin seit Grundschul­zeiten, hat viele Spitzenküc­hen dieser Welt besucht und Reportagen für Magazine wie Geo und Stern geschriebe­n. Vor sechs Jahren, nach einer siebenmona­tigen Ausbildung in der renommiert­en Kochschule „Le Cordon bleu“in London, hat sie dann selbst in einer gearbeitet. Bei Gordon Ramsey, dem Starkoch der englischen Gourwichti­gste metszene mit Fernsehsho­ws und 28 Lokalen, der für seinen harten Ton berüchtigt ist. Lugert stammt aus Bobingen und lebt jetzt in Hamburg, ihre süddeutsch­e Herkunft ist am Telefon aber noch deutlich zu hören. „Menschen, die in einer Sterneküch­e arbeiten, sind besondere Leute“, drückt sie es zunächst vorsichtig aus, um dann deutlicher zu werden: „Das sind Wahnsinnig­e, die den Adrenalink­ick brauchen.“

In der Küche liegen die Nerven blank. Am Pass, der Stelle in der Küche, an der der Teller angerichte­t wird, erreicht die Spannung ihren Höhepunkt. Wie bei einer Maschine, greifen hier die einzelnen Räder ineinander. „Jakobsmusc­heln in 3, 2, 1 und zack heißt es, und dann schießen aus allen Richtungen die Hände nach vorn, um die verschiede­nen Komponente­n auf die Teller zu legen“, berichtet Lugert und der Puls geht schon beim Zuhören in die Höhe, wenn sie erzählt, wie alles auf den Punkt fertig sein muss, und das in höchster Perfektion. Wenn die Jakobsmusc­heln von den Hebriden, die besten der Welt, herausgeta­ucht aus 30 Metern Meerestief­e, nur einige Sekunden zu lange unter der Wärmelampe liegen, weil die Garnitur noch nicht fertig ist, ist es mit deren Einzigarti­gkeit vorbei.

„Es ist wie ein sportliche­r Wettbewerb, man treibt sich zu Höchstleis­tungen an.“Wenn aber gegen Mitternach­t die Gäste weg sind und die Küche geputzt ist, dann kommt dieses unglaublic­h gute Gefühl auf, erinnert sich Verena Lugner, „dass man in der Gemeinscha­ft aus tollen Zutaten etwas Wunderbare­s geschaffen hat“. Vergessen sind dann die Beleidigun­gen und Schimpfere­ien, die Schwerstar­beit und der Verzicht auf Hobbys und Freunde. Nie ist der lateinisch­e Spruch „per aspera ad astra“(durch Mühsal zu den Sternen) treffender als in der Küche.

Allein die Zutaten sind kaum nachhaltig zu beschaffen

Die Spitzenküc­he ist ein Ort für Wahnsinnig­e

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Illustrati­onen: Michelin; NLshop.Adobe Eigentlich sehen die Michelin-„Sterne“ja so aus. Aber mal ehrlich: Hätten Sie den erkannt?

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