Wertinger Zeitung

Und täglich grüßt das Einhorn

Fühlt sich nicht nur gut an: Mit Sinnsprüch­en in den „Sozialen Medien“lässt sich längst auch Geld verdienen Kultur und Leben

- / Von Stefanie Wirsching

Aristotele­s war Naturwisse­nschaftler und Philosoph. Einer der größten Denker der Geschichte. Er schrieb sehr viel. Einer seiner berühmtest­en Sätze lautet:

„Sei immer du selbst. Außer du kannst ein Einhorn sein. Dann sei ein Einhorn.“

Quatsch! Großer Quatsch selbstvers­tändlich, weil Aristotele­s mit Einhörnern natürlich eher wenig am Hut hatte, sie der Vollständi­gkeit halber nur kurz in seiner Naturgesch­ichte erwähnte. Richtig aber ist: Er teilt sich nun mit ihnen wie auch Oscar Wilde, Winston Churchill und Sitting Bull eine Art Lebensraum: den großen, digitalen Zitatedsch­ungel in den sozialen Medien, in denen tausende Sinnsprüch­e und Aphorismen zur Erbauung kursieren, gelikt, geteilt, verlinkt, kommentier­t werden. „Motivation­al Quotes“heißt der passende Begriff zum Trend, wobei es im Grunde nur die digitale Fortentwic­klung des bei den Großeltern sehr geliebten Abreißkale­nders mit dem Besten von Goethe, Eichendorf­f oder Marie von Ebner-Eschenbach ist. Früher riss man, heute klickt man. Die Inhalte sind aber dann doch auch ein wenig andere… manchmal eben auch großer

Quatsch. Manchmal lässt sich damit auch Geld verdienen, ein wenig oder auch mehr. Dazu später.

„Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“

Sehr schön. Das soll nun wirklich von Aristotele­s sein (wobei, auch da gibt es Zweifel, könnte vom Prinzip auch ein nordfriesi­scher Bootskapit­än gewesen sein). Klingt auf jeden Fall bedeutend. Große Denker jedenfalls sind als Sprücheklo­pfer in, noch beliebter aber Einhörner, Pinguine, außerdem noch Zitate aus Songs und überhaupt alles, was irgendwie schön klingt und den Nutzern von Facebook, Instagram, Pinterest oder WhatsApp ihren Hyggemomen­t des Tages beschert: Schnell gelesen, kurz nachgedach­t, vielleicht auch mal gelacht, schon fühlt man sich ein bisschen besser. Auch weil die Erkenntnis mit einhergeht: Schau her, du bist nicht allein, andere sehen die Welt ebenso! Nur hätte man es selber halt nie so schlau formuliere­n können. Zum Beispiel:

Hänge deine Regenwolke zum Trocknen in die Sonne.

Was sich schön liest, sollte auch schön aussehen. Weshalb die Spruchtafe­ln meist mit schönen Bildern unterlegt sind: Da tummeln sich Einhörner, schmiegen sich Paare aneinander, versinkt Sonne um Sonne glühend im Meer, brennt irgendwo ein Licht… Ach! „Wohlfühl-Fugenkitt“hat der Schriftste­ller Max Scharnigg die Spruchtafe­ln genannt, „passen überall dazwischen und treffen immer auf Bedarf, wenn auch nur mit der Präzision von Glückskeks­en“. Auch schön formuliert!

…und immer wenn wir lachen, stirbt irgendwo ein Problem.

Ungeklärte Urhebersch­aft, die gibt es auch in diesem Fall. Aber zu finden ist der Spruch zum Beispiel bei www.spruecheta­nte.de, und da gehört wirklich ein Name dazu: Kerstin Kraps, 48, Webdesigne­rin, leidenscha­ftliche Sprüchesam­mlerin, aber auch eine, die „gerne selber mal einen raushaut“. Lustigerwe­ise geht es Sprüchesam­mlern wie allen Sammlern auch: Sie brauchen irgendwann mal einen schönen Platz für ihre Schätze. Vor 17 Jahren begann Kerstin Kraps mit ihrer Website, vor zehn Jahren dann mit Facebook, mittlerwei­le hat sie etwa 300 000 Follower. Und ungefähr gehortete 25000 Sprüche zu allen Lebenslage­n. Einige davon auch von ihr, wobei die ihr schon lange nicht mehr allein gehören: „Es wird ja alles geklaut.“

Vom Mond aus betrachtet spielt das Ganze gar keine so große Rolle.

Auch das ist einer von Kraps’ Lieblingss­prüchen. Es gibt für sie da gewisse Kriterien beim Posten. Am wichtigste­n: Das Ganze muss Sinn ergeben. Das klingt vielleicht banal, aber erwähnt werden muss an dieser Stelle vielleicht ganz kurz eine wissenscha­ftliche Studie aus Kanada über die Sprücheflu­t im Internet. Die trug den Titel „Über die Rezeption und Erkennung von pseudotief­gründigem Mist“und kam zum Ergebnis: Auch beim größten Blödsinn wird noch der Gefällt-Mir-Button geklickt, wenn er nur schlau genug klingt – spricht aber leider nicht für die eigene Schlauheit.

Be more Pippi less Annika.

Noch so ein Spruch, den Kerstin Kraps als Astrid-Lindgren-Fan gerne mag, sogar auf ein T-Shirt hat drucken lassen. Weil der lustig ist, nicht zu komplizier­t, aber doch den Punkt trifft. Auch wenn die arme Annika dabei nicht gut aussieht. Politische­s sei für sie übrigens tabu, Sarkasmus werde meist nicht verstanden. Jeden Tag stellt Kraps einen Spruch ein, meist arbeitet sie schon voraus, damit auch mal ein Urlaub drin ist. Rechnet man die Arbeit an der Website dazu, kommen zwei bis drei Stunden täglich zusammen, sagt sie. Ein bisschen verdient sie auch mit Werbung: „Centbeträg­e.“Eine Art Aufwandsen­tschädigun­g, aber Kraps will sich nicht beschweren: Sie sieht das Ganze eher als Hobby – und als ein bisschen Lebenshilf­e, „für diejenigen, die sich schwer tun, die richtigen Worte zu finden.“

Gedanken am Morgen, wenn der Wecker klingelt: Wie schaffe ich es, mein restliches Leben im Bett zu liegen und gleichzeit­ig Millionäri­n zu werden.

Apropos Geld. Noch ein Lieblingss­pruch, aber nicht von Kerstin Kraps, sondern den Followern von Visual Statements (VS), gegründet von Benedikt Böckenförd­e, Jahrgang 1981. Auch für den war das Sprüchesam­meln einst mal eine Art von Freunden belächelte­r Spleen, vor acht Jahren begann der Freiburger mit einer Facebook-Seite, vor fünf Jahren gründete er das Unternehme­n, mittlerwei­le beschäftig­t er 40 Mitarbeite­r. Und, um noch ein paar beeindruck­ende Zahlen zu nennen: Monatlich erreicht VS mit seinem „snackable content“, also leicht konsumierb­aren Inhalt, über 40 Millionen in den sozialen Netzwerken und generiert über 34 Millionen Beitragsin­teraktione­n. Sprich, es wird geteilt, gelikt, kommentier­t. Pro Tag sind es 100 bis 150 Beiträge: vor allem Sprüche, auch Filmchen. Die Interaktio­nen werden ausgewerte­t – das macht dann auch zielgenaue Werbung möglich – und die beliebtest­en Sprüche analog weiterverw­ertet: Auf Tassen, Postkarten, T-Shirts. Einhörner, sagt Böckenförd­e, seien im Übrigen eher wieder out – abgelöst von den Faultieren …

Great things never came from comfort zones.

Frage nun an Böckenförd­e: Wie erklärt er sich den Erfolg, den ganzen Hype? Die Millennial­s würden offener mit ihren Gefühlen umgehen als die Generation­en vor ihnen, glaubt Böckenförd­e. Was sein Unternehme­n ihnen liefert: „Wir erzählen universell­e Geschichte­n, die zu persönlich­en Erfahrunge­n führen.“Beispiel Komfortzon­e, da habe jeder eine andere, darüber erzählt dann auch jeder etwas anderes… und fühlt sich doch als Teil der großen, großen Netzgemein­de. Es bleibt das gute Gefühl:

Und am Ende ergibt alles einen Gin!

 ??  ?? Smartphone­Weisheiten in Übersetzun­g (von links): „Entwickle dich oder sterbe aus“– „Zu leben wäre ein furchtbar großes Abenteuer“– „Die geheime Zutat ist immer Schokolade“– ach, dazwischen: Das Einhorn steht am Textbeginn nebenan.
Smartphone­Weisheiten in Übersetzun­g (von links): „Entwickle dich oder sterbe aus“– „Zu leben wäre ein furchtbar großes Abenteuer“– „Die geheime Zutat ist immer Schokolade“– ach, dazwischen: Das Einhorn steht am Textbeginn nebenan.

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