„Lärm muss niemand hinnehmen“
Interview Jüngst erzürnte in Bayern das Läuten von Kuhglocken die Nachbarn. Der Chef des Mieterschutzbundes erklärt, welche Rechte Anwohner haben und wie die Regeln bei Baustellen, Partys, Hobbymusikern oder Kinderlärm aussehen
Claus O. Deese: Eine gesetzliche Regelung gibt es nicht. Grundsätzlich gilt: Lärm muss niemand hinnehmen. Das ist natürlich einfach gesagt in einem Land, in dem überall Emissionen entstehen, durch Verkehr, Baustellen, spielende Kinder. Wenn übermäßige Lärmquellen entstehen, muss man schauen: Ist es vermeidbar? Dann müssen Sie den Lärm nicht hinnehmen. Lässt sich der Lärm aber nicht vermeiden, müssen Sie ihn hinnehmen. Nehmen wir als Beispiel eine Baustelle auf der Straße vor Ihrem Haus. Da ein öffentliches Interesse vorliegt, müssen Sie die Geräusche hinnehmen.
Darf ich denn in einem solchen Fall die Miete mindern?
Deese: Die Miete können Sie nur mindern, wenn der Vermieter diese Beträge gegenüber dem Verursacher, also dem Störer, geltend machen kann. Bei dreitägigen Bauarbeiten auf der Straße vor Ihrem Haus ist zwar in der Zeit der Wohnwert Ihrer Wohnung geringer. Doch der Vermieter kann den Schadensersatz gegenüber der Stadt nicht geltend machen. Ganz anders sieht es aus, wenn Ihre Nachbarn ständig dicke Partys feiern. Wenn Sie in diesem Fall die Miete mindern, kann der Vermieter diesen Betrag beim Verursacher des Lärms, also Ihrem Nachbarn, geltend machen.
Gilt das auch für Bolzplätze, Schulhöfe und Spielplätze?
Deese: Da sieht die Frage ganz anders aus. Der Bundesgerichtshof sagt: Kinderlärm ist kein Lärm – also rein juristisch betrachtet. Kinderlärm gehört zum Leben dazu, das war schon immer so, das ist nichts Neues. Das müssen Sie hinnehmen und das ist auch gut so.
Das heißt, wenn den ganzen Nachmittag unter meinem Balkon Gebrüll herrscht, muss ich das einfach akzeptieren?
Deese: Jein. Die Geräusche, die Kinder machen, wenn sie spielen, sind Lärm, den Sie hinnehmen müssen. Es geht um den klassischen Kinderlärm im Sandkasten, wenn sich Kinder ums Förmchen kloppen und quieken. Wenn Jugendliche – möglicherweise alkoholisiert – übermäßig laut grölen, dann ist das kein Kinderlärm, auch wenn sie noch nicht erwachsen sind. Wenn der Begriff Gebrüll oder Gegröle auftaucht, dann hat das mit hinzunehmendem Lärm nichts zu tun.
Darf ich jetzt nicht mehr meinen Geburtstag feiern oder mit Freunden grillen?
Deese: Gesetzliche Grundsätze zu Zyklen gibt es nicht. Der gesamte Bereich der Lärmbelästigung fällt in den klassischen zwischenmenschlichen Bereich. Das Bürgerliche Gesetzbuch besagt, dass ich mein gesamtes Bewohnen eines Objekts mit Rücksicht auf die Nachbarn zu führen habe. Regeln wie „ein Mal pro Monat darf ich über die Stränge schlagen“gibt es nicht. Wenn Sie ein Mal im Jahr Geburtstag feiern und irgendein schräger Nachbar, der nicht eingeladen ist, Ihnen das vermiest, dann darf er das auch. Ab 22 Uhr ist die Zimmerlautstärke zu beachten.
Zimmerlautstärke – was genau heißt das eigentlich?
Deese: Was sich von der Dezibelstärke dahinter verbirgt, ist völlig ungeklärt. Festgelegte Dezibelgrenzen gibt es nicht, das hängt von den Umständen ab. Selbst, wenn Ihre Wohnung sehr hellhörig ist, kann niemand von Ihnen verlangen, nur noch zu flüstern. Grundsätzlich gelten normale Gesprächsgewohnheiten, ein normaler Umgangston, die normale Fernsehlautstärke als Zimmerlautstärke. Und wenn Sie dennoch mal wirklich laut Musik hören wollen, gibt es ja Kopfhörer. Da müssen Sie nicht mit der Anlage das halbe Wohnviertel beschallen.
Wie sieht es denn aus, wenn Kirchenglocken übermäßig laut läuten?
Deese: Kirchenglocken gehören zu unserem Kulturkreis, deswegen hat noch kein Gericht geurteilt, dass sie übermäßig laut läuten. Bei Lärm ist immer die Frage: Was ist ortsüblich? Das Oktoberfest zum Beispiel bedeutet einfach nur Lärm für alle, die drumherum wohnen. Es ist aber in München ortsüblich, weswegen Anwohner den Lärm hinnehmen müssen.
Was ist mit Bars und Diskotheken?
Deese: Angenommen, Sie ziehen um und unten im Haus ist eine Diskothek drin. Da wissen Sie, dass die Disco nicht nur leise Kirchenmusik spielen wird. Das Minderungsrecht entfällt dann, der Umstand war ja bei Einzug schon bekannt. Anders sieht es aus, wenn unten im Haus ein Café war: Die machen klassischerweise gegen 18 oder 19 Uhr dicht. Publikumsverkehr findet zwar im eingegrenzten Rahmen statt, mit Sahnetorte können sie aber schlecht Lärm verursachen. Wenn dieses Café nun jedoch zur Disco umgewandelt wird, stellt das eine übermäßige Lärmbelästigung dar. Da steht Ihnen das Recht zu, die Miete dauerhaft zu mindern, weil sich die Verhältnisse geändert haben.
Und wenn laute Musik nicht aus der Disco unter mir kommt, sondern vom Nachbarn, der nebenan Klavier übt?
Deese: Das ist bisher von Gerichten unterschiedlich entschieden worden. Man muss es hinnehmen, dass in Wohnungen Leute irgendwelche Instrumente bespielen. Das muss allerdings auf einen üblichen, zumutbaren Rahmen begrenzt sein, beispielsweise zwei Stunden am Tag. Der Rahmen ist bei Berufsmusikern ein bisschen weiter abgesteckt als bei Privatmusikern. Zudem kommt es auf das Instrument an: Ein Schlagzeug ist etwas anderes als eine Querflöte. Die Urteile beziehen sich immer auf konkrete Fälle, deswegen kann man auch nicht sagen, wann das Üben erlaubt ist und wann nicht. Generell zieht sich aber ein roter Faden durch die Rechtsprechung: Es darf geübt werden, aber es darf nicht zur Tortur werden.
Und zudem gibt es ja Ruhezeiten?
Deese: Rein gesetzlich gibt es keine Ruhezeiten. Es gibt im BGB keine Regelung, die sagt, wann Mittagsruhe ist. Dabei handelt es sich lediglich um einen Terminus technicus, der sich in unserem Rechtsleben herauskristallisiert hat. Es geht darum, dass in dieser Zeit, also circa zwischen 12 und 15 Uhr, auch mal Ruhe sein soll. Nun ist es aber so, dass Lärm dann ja meist nur partiell auftritt. Angenommen, jemand zieht um und renoviert. Der wird vielleicht nicht um Punkt 12 Uhr die Bohrmaschine aus der Hand legen. Da sprechen wir aber von wenigen Tagen Lärmbelästigung – so schnell wird kein Gericht zum Zug kommen.