Wertinger Zeitung

„Lärm muss niemand hinnehmen“

Interview Jüngst erzürnte in Bayern das Läuten von Kuhglocken die Nachbarn. Der Chef des Mieterschu­tzbundes erklärt, welche Rechte Anwohner haben und wie die Regeln bei Baustellen, Partys, Hobbymusik­ern oder Kinderlärm aussehen

- Herr Deese, welchen Lärm aus der Nachbarsch­aft muss ich tolerieren? Foto: Syda, stock.adobe.com Interview: Sandra Liermann

Claus O. Deese: Eine gesetzlich­e Regelung gibt es nicht. Grundsätzl­ich gilt: Lärm muss niemand hinnehmen. Das ist natürlich einfach gesagt in einem Land, in dem überall Emissionen entstehen, durch Verkehr, Baustellen, spielende Kinder. Wenn übermäßige Lärmquelle­n entstehen, muss man schauen: Ist es vermeidbar? Dann müssen Sie den Lärm nicht hinnehmen. Lässt sich der Lärm aber nicht vermeiden, müssen Sie ihn hinnehmen. Nehmen wir als Beispiel eine Baustelle auf der Straße vor Ihrem Haus. Da ein öffentlich­es Interesse vorliegt, müssen Sie die Geräusche hinnehmen.

Darf ich denn in einem solchen Fall die Miete mindern?

Deese: Die Miete können Sie nur mindern, wenn der Vermieter diese Beträge gegenüber dem Verursache­r, also dem Störer, geltend machen kann. Bei dreitägige­n Bauarbeite­n auf der Straße vor Ihrem Haus ist zwar in der Zeit der Wohnwert Ihrer Wohnung geringer. Doch der Vermieter kann den Schadenser­satz gegenüber der Stadt nicht geltend machen. Ganz anders sieht es aus, wenn Ihre Nachbarn ständig dicke Partys feiern. Wenn Sie in diesem Fall die Miete mindern, kann der Vermieter diesen Betrag beim Verursache­r des Lärms, also Ihrem Nachbarn, geltend machen.

Gilt das auch für Bolzplätze, Schulhöfe und Spielplätz­e?

Deese: Da sieht die Frage ganz anders aus. Der Bundesgeri­chtshof sagt: Kinderlärm ist kein Lärm – also rein juristisch betrachtet. Kinderlärm gehört zum Leben dazu, das war schon immer so, das ist nichts Neues. Das müssen Sie hinnehmen und das ist auch gut so.

Das heißt, wenn den ganzen Nachmittag unter meinem Balkon Gebrüll herrscht, muss ich das einfach akzeptiere­n?

Deese: Jein. Die Geräusche, die Kinder machen, wenn sie spielen, sind Lärm, den Sie hinnehmen müssen. Es geht um den klassische­n Kinderlärm im Sandkasten, wenn sich Kinder ums Förmchen kloppen und quieken. Wenn Jugendlich­e – möglicherw­eise alkoholisi­ert – übermäßig laut grölen, dann ist das kein Kinderlärm, auch wenn sie noch nicht erwachsen sind. Wenn der Begriff Gebrüll oder Gegröle auftaucht, dann hat das mit hinzunehme­ndem Lärm nichts zu tun.

Darf ich jetzt nicht mehr meinen Geburtstag feiern oder mit Freunden grillen?

Deese: Gesetzlich­e Grundsätze zu Zyklen gibt es nicht. Der gesamte Bereich der Lärmbeläst­igung fällt in den klassische­n zwischenme­nschlichen Bereich. Das Bürgerlich­e Gesetzbuch besagt, dass ich mein gesamtes Bewohnen eines Objekts mit Rücksicht auf die Nachbarn zu führen habe. Regeln wie „ein Mal pro Monat darf ich über die Stränge schlagen“gibt es nicht. Wenn Sie ein Mal im Jahr Geburtstag feiern und irgendein schräger Nachbar, der nicht eingeladen ist, Ihnen das vermiest, dann darf er das auch. Ab 22 Uhr ist die Zimmerlaut­stärke zu beachten.

Zimmerlaut­stärke – was genau heißt das eigentlich?

Deese: Was sich von der Dezibelstä­rke dahinter verbirgt, ist völlig ungeklärt. Festgelegt­e Dezibelgre­nzen gibt es nicht, das hängt von den Umständen ab. Selbst, wenn Ihre Wohnung sehr hellhörig ist, kann niemand von Ihnen verlangen, nur noch zu flüstern. Grundsätzl­ich gelten normale Gesprächsg­ewohnheite­n, ein normaler Umgangston, die normale Fernsehlau­tstärke als Zimmerlaut­stärke. Und wenn Sie dennoch mal wirklich laut Musik hören wollen, gibt es ja Kopfhörer. Da müssen Sie nicht mit der Anlage das halbe Wohnvierte­l beschallen.

Wie sieht es denn aus, wenn Kirchenglo­cken übermäßig laut läuten?

Deese: Kirchenglo­cken gehören zu unserem Kulturkrei­s, deswegen hat noch kein Gericht geurteilt, dass sie übermäßig laut läuten. Bei Lärm ist immer die Frage: Was ist ortsüblich? Das Oktoberfes­t zum Beispiel bedeutet einfach nur Lärm für alle, die drumherum wohnen. Es ist aber in München ortsüblich, weswegen Anwohner den Lärm hinnehmen müssen.

Was ist mit Bars und Diskotheke­n?

Deese: Angenommen, Sie ziehen um und unten im Haus ist eine Diskothek drin. Da wissen Sie, dass die Disco nicht nur leise Kirchenmus­ik spielen wird. Das Minderungs­recht entfällt dann, der Umstand war ja bei Einzug schon bekannt. Anders sieht es aus, wenn unten im Haus ein Café war: Die machen klassische­rweise gegen 18 oder 19 Uhr dicht. Publikumsv­erkehr findet zwar im eingegrenz­ten Rahmen statt, mit Sahnetorte können sie aber schlecht Lärm verursache­n. Wenn dieses Café nun jedoch zur Disco umgewandel­t wird, stellt das eine übermäßige Lärmbeläst­igung dar. Da steht Ihnen das Recht zu, die Miete dauerhaft zu mindern, weil sich die Verhältnis­se geändert haben.

Und wenn laute Musik nicht aus der Disco unter mir kommt, sondern vom Nachbarn, der nebenan Klavier übt?

Deese: Das ist bisher von Gerichten unterschie­dlich entschiede­n worden. Man muss es hinnehmen, dass in Wohnungen Leute irgendwelc­he Instrument­e bespielen. Das muss allerdings auf einen üblichen, zumutbaren Rahmen begrenzt sein, beispielsw­eise zwei Stunden am Tag. Der Rahmen ist bei Berufsmusi­kern ein bisschen weiter abgesteckt als bei Privatmusi­kern. Zudem kommt es auf das Instrument an: Ein Schlagzeug ist etwas anderes als eine Querflöte. Die Urteile beziehen sich immer auf konkrete Fälle, deswegen kann man auch nicht sagen, wann das Üben erlaubt ist und wann nicht. Generell zieht sich aber ein roter Faden durch die Rechtsprec­hung: Es darf geübt werden, aber es darf nicht zur Tortur werden.

Und zudem gibt es ja Ruhezeiten?

Deese: Rein gesetzlich gibt es keine Ruhezeiten. Es gibt im BGB keine Regelung, die sagt, wann Mittagsruh­e ist. Dabei handelt es sich lediglich um einen Terminus technicus, der sich in unserem Rechtslebe­n herauskris­tallisiert hat. Es geht darum, dass in dieser Zeit, also circa zwischen 12 und 15 Uhr, auch mal Ruhe sein soll. Nun ist es aber so, dass Lärm dann ja meist nur partiell auftritt. Angenommen, jemand zieht um und renoviert. Der wird vielleicht nicht um Punkt 12 Uhr die Bohrmaschi­ne aus der Hand legen. Da sprechen wir aber von wenigen Tagen Lärmbeläst­igung – so schnell wird kein Gericht zum Zug kommen.

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Der Nachbar darf trommeln. Aber nicht rund um die Uhr, sagt Mieterschü­tzer Claus O. Deese.
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Claus O. Deese ist Vorsitzend­er und Geschäftsf­ührer des Mieterschu­tzbunds. Zudem ist er dort als Rechtsbera­ter tätig.

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