Guter Trucker, böser Trucker
Verkehr Als Autofahrer ist man schnell genervt von den vielen Lastern, die die Straßen verstopfen. Und die Brummifahrer selbst? Eine Geschichte über verblasste Fernfahrer-Romantik, den täglichen Wahnsinn auf der Autobahn und die Frage, wer sich das noch a
Augsburg Die Wolken hängen tief über dem Parkplatz der AutobahnRaststätte Augsburg-Ost. Es sieht nach Regen aus. Jetzt, abends um halb sieben, reiht sich ein Lastwagen an den nächsten. Freie Stellplätze sind Mangelware. Zwei Fahrer plaudern vor einem Zwölf-Tonner. Ist das die moderne Fernfahreridylle?
Drüben, auf der A8, rauscht der Verkehr. Drinnen, in der Raststätte, teilt ein Mitarbeiter des privaten Autobahnbetreibers „Aplus“Flugzettel aus. Aufforderungen an die Lkw-Fahrer. Abstand halten, am Steuer keine Smartphones benutzen, nicht auf der Standspur fahren. Den Auffahrunfall, der vor ein paar Monaten nahe der Raststätte passiert ist, haben die wenigsten vergessen. Ein Lkw-Fahrer hatte ein StauwarnFahrzeug, das auf der Standspur geparkt war, gerammt. Man kann von Glück reden, dass niemand schlimmer verletzt wurde.
Ungefähr 30 Männer und eine Frau sind an diesem Abend zum Fernfahrerstammtisch gekommen. Alle drei Monate lädt die Verkehrspolizei Augsburg dazu ein – seit 15 Jahren. Der Stammtisch soll informieren, aufklären, aber auch Verständnis schaffen. Bei dem ganz normalen Wahnsinn, der sich tagtäglich auf deutschen Straßen abspielt, ist das auch nötig.
Das fängt ja schon mit den Staus an. 2018 gab es nach Berechnungen des ADAC so viele wie noch nie auf deutschen Autobahnen – 745000 an der Zahl, mehr als 2000 pro Tag. Und wer nur steht, statt vorwärtszukommen, ist meist genervt. Wohl auch ein Grund dafür, warum deutsche Straßen zu einer Art Wilder Westen geworden sind. Zu viele Staus, viel zu viele Laster, klagen die Autofahrer. Die Lkw-Fahrer wiederum schimpfen, dass es immer rücksichtsloser zugehe. Dann steht Brummi gegen Pkw, jeder gegen jeden. Im Grunde grenzt es an ein Wunder, dass auf den Straßen tagtäglich nicht noch mehr passiert.
Stephan Vogele hat auch andere Zeiten erlebt. Als junger Mann hat er bei der Bundeswehr den LkwFührerschein gemacht, heute transportiert der 49-Jährige für eine Baufirma aus dem Kreis Augsburg schwere Gerätschaften „von A nach B“. Er mag seinen Job. Doch stünde er heute noch einmal vor der Wahl, würde er sich anders entscheiden – auch wenn er im Grunde zufrieden ist. Vogele wird „ordentlich bezahlt“, seinen Lkw nennt er ein „absolutes Hightech-Fahrzeug“. Und im Gegensatz zu seinen FernfahrerKollegen schläft er nicht im Führerhaus. Er kommt jeden Abend nach Hause zu seiner Familie.
Warum also nicht mehr Kraftfahrer? „Der Kampf auf den Straßen wird immer härter“, sagt Vogele. Immer mehr Egoismus, immer mehr Verkehr. Das muss man erst mal jeden Tag aushalten.
Es scheint das Schicksal der Brummi-Fahrer zu sein, dass jeder sie braucht, aber niemand sie will. Weil es immer mehr von ihnen gibt. Weil sie die Straßen verstopfen. Und erst recht, weil sie langsamer sind als der Rest. Und dann diese Elefantenrennen. Da will ein Lkw den anderen überholen, kommt aber kaum vom Fleck, weil er ja nur ein paar Sachen schneller ist. Als Autofahrer, der überholen will, zuckelt man genervt hinterher. Da kann der Blutdruck schon in die Höhe schießen.
Natürlich ist es leicht, auf die Brummifahrer zu schimpfen. Weil man ja nicht den Druck bedenkt, unter dem sie stehen, die ihre Ladung rechtzeitig zum Ziel transportieren müssen. In der Logistikbranche gilt: Zeit ist Geld. Jede Verzögerung bedeutet Verluste.
Bei Manfred Krug sah das in den 80er Jahren noch anders aus, als er in der Vorabendserie „Auf Achse“durch die Lande bretterte. Immer schärfere Kontrollen und der ständig steigende Termindruck haben die einstigen „Kapitäne der Landstraße“zu „Dieselknechten“degradiert. Die rumänischen Fahrer nennen sich „Kettenhunde“, weil sie für kleines Geld auf Gedeih und Verderb an ihr Fahrzeug gebunden sind.
Werner Österle ist froh, dass er heute nicht mehr auf dem „Bock“sitzt. Seit fünf Jahren ist der Mann mit den grauen Haaren und dem freundlichen Gesicht im Ruhestand. Zum Stammtisch aber kommt er nach wie vor, schon der alten Kollegen wegen. Hier gilt: einmal Truimmer Trucker. Doch auch er sagt: „Der Zeitdruck, der Verkehr – das wär nix mehr für mich.“
Österle war in halb Europa unterwegs, für 2200 bis 2400 Euro netto im Monat. Davon kann man ganz gut leben, aber ist auch wochenlang unterwegs, fernab der Familie. Nicht umsonst ist die Scheidungsquote bei Fernfahrern deutlich höher als im Rest der Republik.
Ausländische Trucker, vor allem aus Osteuropa, verdienen deutlich weniger als ihre deutschen Kollegen. In Rumänien und Polen seien es vielleicht fünf Euro pro Stunde, schätzen die Fernfahrer. Während am Stammtisch die meisten Deutsche sind, hat sich das Verhältnis auf der Straße umgekehrt. Vor 30 Jahren, schätzt Stammtisch-Organisator Hannsjörg Schuster von der Verkehrspolizei Augsburg, waren es zehn Prozent ausländische Fahrer, heute sind es 80 Prozent. Auch das hat mit dem Preisdruck in der Branche zu tun. Der Transport ist immer noch vergleichsweise billig. Hauptkostentreiber ist das Personal. Manche Speditionen gründeten Niederlassungen in Osteuropa, andere setzten auf ausländische Fahrer, die billiger, aber eben oft auch schlechter ausgebildet sind, sagt Schuster.
Auf lange Sicht könnte das autonome Fahren dafür sorgen, dass die Branche mit weniger Personal auskommt. Auf der A9 laufen bereits Tests, bei denen ein Lkw einen anderen steuert, der hinter ihm fährt. Der Vorteil ist klar: Ein Autopilot wird nicht müde, muss keine Ruhezeiten einhalten und reagiert schneller als jeder Mensch. Die Fernfahrer am Stammtisch lässt dieses Szenario kalt: Angst, dass der Computer ihren Job übernimmt, hat keiner. Schon weil der Branche in Deutschland bis zu 45 000 Kraftfahrer fehlen.
Vogele sagt, dass sich eben immer weniger Deutsche die Finger schmutzig machen wollten. Die Jüngeren, denen die Work-Life-Balance“, also das Gleichgewicht zwicker, schen Arbeit und Beruf, zunehmend wichtig ist, hätten keine Lust, tagelang auf der Straße zu sein. Und die Bundeswehr, bei der man selbst als Wehrpflichtiger kostenlos den 5000 bis 7000 Euro teuren Lkw-Führerschein machen konnte, scheidet als Nachwuchsschmiede aus.
Drinnen, in der A8-Raststätte, referieren zwei Rot-Kreuz-Sanitäter über stabile Seitenlage, Herzdruckmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung. Die Lkw-Fahrer hören aufmerksam zu. Es geht um Dinge, die man wissen muss – erst recht, wenn man jeden Tag auf der Straße unterwegs ist. Erst recht, wenn man sich diese Zahlen ansieht. 2018 ereigneten sich auf Bayerns Straßen 18206 Unfälle, in die der Schwerlastverkehr verwickelt war. In drei Viertel der Fälle waren Lkw-Fahrer auch die Verursacher, wie aus Zahlen des bayerischen Innenministeriums hervorgeht. Weil Fehler beim Abbiegen gemacht wurden, der Sicherheitsabstand zu knapp oder die Fahrer zu schnell unterwegs waren. Oder weil die Person im Führerhaus übermüdet oder abgelenkt war. Hinzu kommen erhebliche technische Mängel.
Innenminister Joachim Herrmann hat vergangene Woche verstärkte Kontrollen angekündigt. „Uns geht es darum, die schwarzen Schafe unter den Lkw-Fahrern aus dem Verkehr zu ziehen.“Die Polizei wolle häufiger an den Parkplätzen präsent sein und dort die Fahrzeuge prüfen, die korrekte Ladungssicherung, die Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer, ebenso wie die Frage, wie schnell sie zuvor unterwegs waren. Am Augsburger Stammtisch lächelt man über die Ankündigung. Den Sicherheitsproblemen könne man kaum Herr werden, erst recht, wo die Zahl der Lkw stetig steigt.
Als Werner Österle 1967 Fernfahrer wurde, kommunizierte man fast ausschließlich per Funk. Seit es Handys gibt, spielen die kaum noch eine Rolle. Auch die Fahrer waren damals noch viel stärker auf sich selbst gestellt, mussten selbst auch mal den Ölwechsel machen oder die Bremsen reparieren. Und die Straßen waren deutlich leerer. Heute sind 3,1 Millionen Lkw – so viele wie nie zuvor – in Deutschland zugelassen, drei Mal so viele wie damals. Noch stärker aber ist die Zahl der Pkw gestiegen.
Längst sind die Sattelzüge die rollenden Nachschublager einer Wirtschaft, die just in time arbeitet und ohne Lagerkosten auskommen will. Auch der boomende Online-Handel hat seinen Anteil an verstopften Straßen. Denn was der Kunde bei Amazon und Zalando bestellt, muss auch zum Einzelnen transportiert werden. Das Bundesverkehrsministerium
Jeder braucht sie, aber niemand will sie
Osteuropäer fahren für ein paar Euro in der Stunde
geht davon aus, dass allein der Güterverkehr bis 2030 um bis zu 40 Prozent wächst.
Das bedeutet nicht nur verstopfte Straßen, sondern auch viel zu wenige Stellplätze entlang der Autobahnen. 2025 werden etwa 13 000 Parkplätze an den Fernstraßen fehlen. An der Raststätte Augsburg-Ost sind Stellplätze schon an diesem Abend Mangelware. Immer wieder parken Lkw dort, wo sie nicht sollen, im schlimmsten Fall auf der Einfädelspur zur A8. Das kann zur ernsten Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer werden. Aber auch für die Brummifahrer selbst.
Immer wieder ist von organisierten Banden aus Osteuropa die Rede, die Lastwagen überfallen. Manchmal schlitzen sie die Planen auf und stehlen die Fracht, manchmal saugen sie Diesel ab oder nehmen gleich den ganzen Sattelzug mit. Letzteres passiert im Schnitt vier bis fünf Mal am Tag. „Alles in allem macht das keinen Spaß mehr“, wirft einer am Stammtisch ein.
Ilona Kratzer aus Wertingen fährt Kipper, ist aber zuvor jahrelang in einem Lebensmittel-Tankzug auch auf Fernstrecken unterwegs gewesen. Als kleines Mädchen wohnte sie neben einer großen Spedition, beobachtete dort die hin- und herrangierenden Gefährte: „Ich wollte das alles auch können“, sagt die Frau mit den blonden, langen Haaren und den sorgfältig lackierten Fingernägeln. Mit Mitte 20 beschloss sie, den Lkw-Führerschein zu machen. Seitdem fährt sie von Berufs wegen. Angst, ausgeraubt, überfallen oder vergewaltigt zu werden, hatte sie früher durchaus, räumt sie ein. Und schiebt dann mit einem selbstbewussten Lächeln nach: „Trotzdem, ich liebe meinen Beruf und könnt’ mir nix anderes vorstellen.“