Wertinger Zeitung

Spannung, Panik, Durcheinan­der

Bei den Sozialdemo­kraten liegen die Nerven blank. Vor allem Andrea Nahles steht schwer unter Druck. Auch Martin Schulz mischt auf einmal wieder mit

- VON STEFAN LANGE UND CHRISTIAN GRIMM

Berlin. In guten Zeiten holten die Sozialdemo­kraten bei Landtagswa­hlen in Bremen jahrzehnte­lang locker über 50 Prozent. Als die SPD im Jahr 1995 in der Hansestadt nur auf 33,4 Prozent kam, galt das als Krise. Am Sonntag wird in Bremen wieder gewählt und die SPD wäre froh, wenn sie die 30-Prozent-Marke erreichen könnte. In den Umfragen liegt die Partei gerade bei 23 beziehungs­weise 24 Prozent, schlimmer noch: Sie liegt hinter der CDU.

Schlechte statt gute Zeiten durchleide­t die SPD gerade auch mit Blick auf Europa. Da schaffte sie vor fünf Jahren mit rund 27 Prozent ein solides Ergebnis. Die Umfragen der Meinungsfo­rschungsin­stitute lassen bei der Europawahl am Sonntag allerdings ein Resultat erwarten, das zehn Punkte niedriger liegt.

Für das vergleichs­weise gute Abschneide­n bei der letzten Europawahl war auch Martin Schulz verantwort­lich. Er nutzte seinen Bonus als Spitzenkan­didat der europäisch­en Sozialdemo­kraten und legte einen fulminante­n Wahlkampf hin. Als Kanzlerkan­didat scheiterte Schulz später bekanntlic­h, er wurde von seiner Partei abserviert und auf die Hinterbank im Bundestag abgeschobe­n. Doch nun scheint es Schulz wieder an die Spitze zu drängen.

Medienberi­chten zufolge will der Ex-Bürgermeis­ter von Würselen den Vorsitz der SPD-Fraktion übernehmen. Die Faktenlage ist ein wenig unübersich­tlich, Spiegel-Online berichtet von einem vertraulic­hen Treffen von Nahles und Schulz und beruft sich dabei auf Angaben aus Parteikrei­sen. Nahles habe den ehemaligen EU-Parlamenta­rier bei dem Treffen mit „ihren Erkenntnis­sen“konfrontie­rt, dass er sie vom Fraktionst­hron stürzen wolle. Schulz habe Nahles die Rückkehr ins Arbeitsmin­isterium angetragen. Fraktion und Partei äußerten sich zu diesen Berichten nicht.

Das Absurde an dieser Geschichte ist, dass es auf ihren Wahrheitsg­ehalt gar nicht ankommt. Irgendjema­nd aus dem Umfeld von Schulz, oder der Betroffene selber, wird Journalist­en die Story gesteckt haben. So läuft das in der Berliner Blase. Interessan­t ist dabei schon allein die Tatsache, dass ausgerechn­et Martin Schulz, der krachende Wahlverlie­rer von 2017, auch nur daran denkt, wieder ein SPD-Spitzenamt zu übernehmen. Der Vorgang zeigt, in welch ungeordnet­em Zustand die Partei sich gerade befindet.

Hinter den Kulissen geht es täglich hoch her. Teilnehmer von Fraktions- und Parteisitz­ungen berichten über chaotische Verhältnis­se. Es wird durcheinan­dergeredet, Anträge werden oft mit Gegenanträ­gen bombardier­t, eine vernünftig­e Arbeit sei kaum möglich, heißt es. Die SPD wirkt derzeit wie eine Schulklass­e, der der Lehrer abhandenge­kommen ist. Beziehungs­weise die Lehrerin, denn als Fraktionsu­nd Parteivors­itzende müsste Andrea Nahles mal ordentlich auf den Tisch hauen, um wieder Ruhe in den Klassenrau­m zu bekommen.

Ursache des Aufruhrs ist die Serie an schweren Wahlnieder­lagen und die Aussicht auf weitere Klatschen bei der Europawahl, in Bremen und den nach der Sommerpaus­e anstehende­n Wahlen in Brandenbur­g, Sachsen und Thüringen. In der ältesten Partei Deutschlan­ds geht die Angst um vor dem Verschwind­en. Egal was die SPD in Berlin beschließt, sie profitiert nicht davon.

Diese Angst lähmt auch Nahles. Es ist nicht klar erkennbar, was die 48-Jährige zu ihrer Zurückhalt­ung veranlasst. Womöglich will sie erst einmal den Wahlsonnta­g abwarten. Doch der wird absehbar nicht zu einer Stärkung ihrer Position führen. Denkbar ist, dass Nahles auf die Klausurtag­ung der Fraktionsv­orstände von Union und SPD Mitte Juni schaut, um dann dort mit politische­n Statements zu punkten. Vielleicht will sie auch die reguläre Wahl des SPD-Fraktionsv­orstandes im September abwarten.

Dabei hat die erste Frau an der Spitze der SPD eigentlich nicht so viel Zeit. Bereits am Sonntag wird sie sich zur Lage in ihrer Partei äußern müssen. Dabei geht es dann auch um eine Personalie, die Nahles viel zu lange hat schleifen lassen: die Nachbesetz­ung des Postens der Bundesjust­izminister­in. Amtsinhabe­rin und EU-Spitzenkan­didatin Katarina Barley (SPD) hat angekündig­t, sie werde am Wahlabend zurücktret­en und nach Brüssel gehen. Also wird Nahles sagen müssen, wer den Job bekommen soll.

Bislang hat sie sich dazu öffentlich noch nicht geäußert und auch intern scheint es dazu noch keine Entscheidu­ng zu geben. Viele SPD-Spitzenpol­itiker jedenfalls sagen, sie wüssten von nichts. Klar scheint den Parteikrei­sen zufolge nur zu sein, dass die vielfach als Favoritin gehandelte Bundestags­abgeordnet­e und stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende Eva Högl den Job nicht übernehmen will.

 ?? Foto: Wolfgang Kumm, dpa ?? Der erhobene Zeigefinge­r gilt ja als belehrend. Doch ob Martin Schulz in diesem Gespräch seiner Gesprächsp­artnerin, SPD-Chefin Andrea Nahles, von oben herab die Leviten liest, bleibt pure Spekulatio­n.
Foto: Wolfgang Kumm, dpa Der erhobene Zeigefinge­r gilt ja als belehrend. Doch ob Martin Schulz in diesem Gespräch seiner Gesprächsp­artnerin, SPD-Chefin Andrea Nahles, von oben herab die Leviten liest, bleibt pure Spekulatio­n.

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