Titel-Thema
Manfred Weber schreibt Geschichte, wenn er es aus Wildenberg an die Spitze der EU schafft. Der Ni weder auf die Kanzlerin, die CSU noch auf Europas Regierungschefs wirklich zählen – aber auf seine eigene Begeisterun
müsste jetzt einfach mal was sagen. Manfred Weber steht in der Cantina Rotari, einem Weingut im Herzen der Dolomiten. „Il Trentino e la nostra passione“ist an die Wand geschrieben. Die Betreiber des Weinguts haben alles für eine Kostprobe aufgebaut, in langen Reihen blinken hinten im Raum die Gläser, die ganze Zeit freut sich Weber schon darauf. Gerade hat er kurz mit dem Chef des Weinguts geplaudert. Als der Patron ein Glas in der Hand hielt, da hatte Weber schon gehofft, einen Schluck abzubekommen, aber daraus wurde nichts. Nun zerrt von links ein Interviewer, von rechts dirigiert ihn ein Fotograf, der Weber unbedingt vor einer endlosen Reihe von Flaschen ablichten will, warum auch immer? Im Hintergrund lärmt eine deutschsprachige Seniorengruppe, die vorher durch das Weingut tourte. „Ach Herrgott, die große Politik“, ruft eine toupierte Dame entzückt.
Die Probe-Gläser rücken immer weiter weg von Weber, er schaut etwas flehend zu seinem Pressesprecher, der deutet immer wieder auf die Uhr und Richtung Weinprobe. Aber Weber muss für die Fotos nun erst sein Jackett ausziehen, dann wieder anziehen. Er muss links ausführlich antworten, und rechts noch ausführlicher, Webers Lächeln wärmt geduldig den ganzen Raum. Schließlich winkt der Pressesprecher ab, keine Zeit mehr, der nächste Termin.
Weber breitet sich gemütlich im Fond seines Autos aus, er lächelt. Da sei doch irgendwie was schiefgelaufen, so ein ganzer Wahlkampfauftritt in einem Weingut, ohne dass man als Kandidat auch nur einen Tropfen abbekommt. Immerhin lässt ihm der Weingutbesitzer noch eine Kiste in den Kofferraum packen. Es ist allerdings Sekt, Webers Sprecher wäre Wein lieber gewesen, und Weber wohl auch. Aber er lächelt gutmütig vor sich hin, das Fass wird er jetzt ganz bestimmt nicht aufmachen.
Willkommen beim vielleicht geduldigsten Spitzenpolitiker. Das ist der größte Trumpf von Manfred Weber, 46, geboren und aufgewachsen in Wildenberg, Kreis Kelheim, 1354 Einwohner, seit Jahren als Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) einer der mächtigsten Männer in Brüssel. Aber wer mit Weggefährten über ihn spricht, hört immer noch Worte, die auch auf einen Ersten Bürgermeister von Wildenberg zutreffen könnten: „verlässlich“, „freundlich“, „mitten im Leben“.
Weber ist stolz auf diese Adjektive, er hat auf sie seinen Weg zur Macht gebaut. Dieser Weg könnte ihn, holt er als Spitzenkandidat der EVP bei der Europawahl am Sonntag die meisten Stimmen, bis an die Spitze der EUKommission führen, als Herr über mehr als 30 000 höchst qualifizierte Beamte, als „Hüter der EU-Verträge“.
Genau diese sanfte Freundlichkeit könnte allerdings auch Webers größtes Problem sein. Denn traut man ihm wirklich zu, laut zu werden, wenn er seine vielen klugen Beamten auf Kurs bringen will? Wenn er mit einem Donald Trump verhandeln soll, einem Wladimir Putin oder den Chinesen?
Annäherung also an einen Mann, der Geschichte schreiben könnte, als erster Deutscher an der EU-Kommissionsspitze seit rund sechs Jahrzehnten. Der erste Bayer in der Position wäre Weber sowieso. Und damit ist er auch einer, der die Christsozialen wieder an ihre Tradition als Europapartei erinnert – nur fünf Jahre, nachdem sie einen ganzen Europawahlkampf weitgehend mit Getöse gegen Brüsseler Regulierungswütige bestritten haben.
Wer Weber begleitet in diesen Wochen, kreuz und quer durch Europa, bei Auftritten in Bayern, in Griechenland, in Südtirol, der staunt über zweierlei. Wie ernsthaft ein ziemlich ernsthafter Mann daran glaubt, dass es nichts Großartigeres geben kann, als in diesen Zeiten Europa zu dienen – ganz gleich, wie zerrissen und zerstritten es wirken mag. Aber zugleich, wie wenig ansteckend diese Begeisterung bislang zu sein scheint. Eine Mehrheit der Deutschen kennt Weber gar nicht, zeigen Umfragen. Die Deutschen geben den Meinungsforschern zwar pflichtschuldig an, sich für die Europawahl zu interessieren. Doch jede TatortKonserve aus den 1960er Jahren übertrifft die Quoten der TV-Duelle der europäischen „Spitzenkandidaten“.
Beide Trends – Webers Begeisterung und Europas Bräsigkeit – sind zu beobachten, als Weber an einem April-Abend auf eine Bühne mitten in Athen tritt. Es ist eine prächtige Kulisse voll stolzer Säulen. Im ZappeionTheater haben die Griechen einst den Beitritt zur Europäischen Union unterzeichnet (und später hat Alexis Tsipras dort gegen die Diktat-Deutschen gewettert). Hinter Weber leuchtet sein Wahlkampf-Slogan „The Power of WE“, eine spanische Werbeagentur hat sich das ausgedacht, das „WE“spielt auf Webers Namen an, natürlich, aber auch auf seine Botschaft vom Zusammenhalt – und sein Versprechen, ein europäischer Spitzenkandidat zu sein, nicht nur ein deutscher. Den passenden Hashtag jagen vor der Bühne junge Vertreter von Webers „Social Media“-Teams durch EuroEr pa, rund 20 von ihnen sind in die vorher eher analoge EVP-Zentrale eingefallen.
Weber ruft, jetzt endlich lebe die erste europäische Generation wirklich in Frieden und Freiheit. Die seines Großvaters sei noch im Krieg gewesen, die seines Vaters in einem Europa aufgewachsen, in dem so viele weggesperrt waren hinter dem Eisernen Vorhang. „Daher ist unsere Verantwortung, dieses Europa nicht den Populisten auszuliefern, die nur Versprechen machen, aber niemals liefern.“So begeistert spricht er, dass Webers ziemlich bescheidenes Englisch beinahe charmant als peinlich wirkt. Und als nach seinem letzten Satz junge Menschen auf die Bühne strömen, um mit dem Kandidaten für Fotos zu posieren, zieht es sich ewig, weil dieser darauf besteht, jedem Einzelnen die Hand zu schütteln. Genauso wie er sorgsam darauf achtet, möglichst oft Smileys neben seine Autogramme zu malen.
Weber hat früher mal in einer Band gespielt, und er hat auch schon gesagt, Europa „rocken“zu wollen. Aber seine Band hieß „Peanuts“, sie spielte vor allem Cover-Versionen. Will man sich Manfred Weber als Rocker vorstellen, dann bitte schön als Schmuse-Rocker.
„Ah, der gute Deutsche“, ruft ein griechischer Journalist spöttisch im angrenzenden Presseraum. Vor kurzem haben die griechischen Medien noch über Karikaturen von Merkel mit Hakenkreuz berichtet. Weber aber wollte sich dort präsentieren als einer, der auch zwar auf Regeln pocht – Grenzen sichern! Euro-Regeln einhalten! –, aber im Ton ganz anders als etwa einst der strenge Zuchtmeister Wolfgang Schäuble. Doch sehr viele Journalisten sind nicht im Athener Pressezentrum versammelt. Und Webers Zwölf-Punkte-Plan, kurz vorher präsentiert, hat wenig Wellen geschlagen.
Als Weber später am Abend in einer Hotelbar mit Journalisten zusammensitzt, müsste er also eigentlich nachlegen, damit diese etwas in die Blöcke schreiben. Etwa