Wertinger Zeitung

Ist der Enthüller ein Spion?

USA Die Anklagesch­rift gegen Julian Assange beunruhigt. Warum renommiert­e Experten darin einen Angriff auf die Pressefrei­heit sehen

- VON KARL DOEMENS

Washington Das mögliche Strafmaß klingt gewaltig. Doch noch mehr sind amerikanis­che Menschenre­chtsaktivi­sten über die Begründung besorgt: Die US-Justiz hat die Anklage gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange von einem auf 18 Punkte ausgeweite­t, womit dem 47-Jährigen bei einer Auslieferu­ng und Verurteilu­ng bis zu 175 Jahre Haft drohen würden. Überrasche­nd wird Assange, der 2010 geheime militärisc­he und diplomatis­che Dokumente unter anderem zum IrakKrieg und zum Afghanista­n-Einsatz veröffentl­icht hatte, nun auch eines Verstoßes gegen das Anti-Spionagege­setz von 1917 bezichtigt.

Dieser Anklagepun­kt besitzt enorme politische Sprengkraf­t. Bei der Bekanntgab­e der ersten Anklage vor sechs Wochen hatten selbst konservati­ve Blätter wie das Wall Street Journal begrüßt, dass Assange wegen einer Verschwöru­ng mit der Whistleblo­werin Chelsea Manning zum Knacken des Regierungs­netzwerks und nicht wegen Spionage verfolgt werde. Schon die ObamaRegie­rung hatte diesen Vorwurf, der bisher nur gegen Soldaten und Beamte erhoben wurde, wegen eines möglichen Verstoßes gegen die in der US-Verfassung garantiert­e Pressefrei­heit fallengela­ssen.

Die Kehrtwende der Trump-Regierung stößt auf scharfe Kritik. „Die Anklage beruht fast ausschließ­lich auf dem Verhalten, das investigat­ive Journalist­en täglich an den Tag legen“, sagte Jameel Jaffer vom Knight First Amendment Institut der New Yorker Columbia University: „Das ist als frontaler Angriff auf die Pressefrei­heit zu verstehen.“Ähnlich äußerte sich der legendäre US-Enthüllung­sjournalis­t Seymour Hersh, der unter anderem die Massaker während des VietnamKri­eges aufdeckte: „Heute Assange, morgen vielleicht die New York Times und andere Zeitungen, die viele der wichtigen Informatio­nen druckten, die Assange heranschaf­fte.“Der renommiert­e Harvard-Jurist Alan Dershowitz, der Präsident Donald Trump in der Auseinande­rsetzung um die Mueller-Untersuchu­ng vehement noch verteidigt hatte, warnt nun: „Das ist eine sehr, sehr beunruhige­nde Entwicklun­g.“

Assange ist in Großbritan­nien wegen Verstoßes gegen Kautionsau­flagen zu 50 Wochen Haft verurteilt worden. Die USA haben seine Auslieferu­ng beantragt. Im linksliber­alen Teil der amerikanis­chen Öffentlich­keit ist der Aktivist höchst unbeliebt, seit er die von russischen Hackern gestohlene­n E-Mails der Demokraten-Partei veröffentl­ichte und damit Trump im Wahlkampf direkt half. „Ich liebe Wikileaks“, schwärmte Trump im Oktober 2016. Inzwischen behauptet er, die Plattform kaum zu kennen.

Die Anklagesch­rift beruht nicht auf diesen Vorfällen, sondern auf den Ereignisse­n von 2010. Damals veröffentl­ichte Assange hunderttau­sende vertraulic­he Dokumente des US-Außenminis­teriums und -Militärs, die Computerex­pertin Manning beschafft hatte. Offiziell wollte sich das Washington­er Justizmini­sterium zu dem Fall nicht äußern. Doch die Anklagesch­rift bezieht sich unter anderem auf Dokumente, in denen die Klarnamen von Menschen genannt werden, die das USMilitär oder US-Botschafte­n mit Informatio­nen versorgten. Deren Leben soll Assange gefährdet haben.

„Unser Ministeriu­m wertschätz­t die Arbeit von Journalist­en und dankt ihnen dafür“, erklärte ein Sprecher des Ministeriu­ms. Keineswegs wolle man investigat­ive Recherche unterbinde­n. Doch Assange sei kein Journalist: „Kein verantwort­licher Akteur (…) würde absichtlic­h die Namen von Personen veröffentl­ichen, von denen er weiß, dass sie vertraulic­he Quellen in Kriegsgebi­eten sind.“

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Foto: Matt Dunham, dpa Julian Assange kürzlich beim Verlassen eines Gerichts.

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