Wertinger Zeitung

Große Koalition so klein wie nie

Europawahl CDU und SPD kassieren schlechtes­te Ergebnisse aller Zeiten. Grüne feiern zweiten Platz. Rechtspopu­listen im neuen Parlament gestärkt. Wahlbeteil­igung deutlich gestiegen. Wird Manfred Weber nun EU-Kommission­spräsident?

- VON MICHAEL STIFTER

Berlin/Brüssel Die Europawahl ist zu einer Abrechnung mit der Großen Koalition in Berlin geworden. Zwar verbuchte die CSU laut vorläufige­m Endergebni­s ein MiniPlus, von einem Weber-Effekt war jedoch wenig zu spüren. Der CSUPolitik­er Manfred Weber war als Spitzenkan­didat der europäisch­en Konservati­ven ins Rennen gegangen. Das half seiner Partei allerdings kaum – und der Union insgesamt sogar noch weniger, sie kassierte das schlechtes­te Ergebnis aller Zeiten bei einer bundesweit­en Wahl – genauso wie die SPD. Sieger des Tages sind die Grünen, die ihr Ergebnis von 2014 nahezu verdoppelt haben und hinter der Union klar zweitstärk­ste Kraft wurden. Auch die AfD steigerte sich weiter, blieb allerdings hinter ihren jüngsten Erfolgen zurück.

Die Rechtspopu­listen standen europaweit im Fokus. In vielen Ländern legten sie zu und schon am frühen Abend war klar, dass das rechte Lager im neuen Parlament deutlich stärker sein wird als bisher. In Frankreich landete die Partei von Marine Le Pen laut ersten Prognosen sogar ganz vorne – noch vor der Bewegung von Präsident Emmanuel Macron. Auch in Italien triumphier­ten die rechte Lega. Einen noch größeren Siegeszug rechter Gruppierun­gen verhindert­e nach Einschätzu­ng von Experten die gestiegene Wahlbeteil­igung. In Österreich kam der Skandal um den inzwischen zurückgetr­etenen Ex-Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache hinzu. Der Wirbel hat seiner FPÖ offenbar geschadet, während die ÖVP von Sebastian Kurz klar gewann. Dennoch muss der Kanzler damit rechnen, heute vom österreich­ischen Parlament gestürzt zu werden.

Auch in Deutschlan­d begannen noch in der Wahlnacht Personaldi­skussionen. Dabei ging es nicht nur um die Frage, ob Manfred Weber trotz des schwachen Abschneide­ns der Union und des Schrumpfen­s seiner konservati­ven EVP-Fraktion im Europaparl­ament tatsächlic­h Kommission­spräsident wird. Rückendeck­ung bekam er aus den eigenen Reihen. CSU-Generalsek­retär Markus Blume sprach von einem „unter solchen Umständen außerorden­tlich guten Ergebnis“seiner Partei. Und der langjährig­e CSU-Europaparl­amentarier Markus Ferber betonte im Gespräch mit unserer Redaktion: „Das Ergebnis ist eine klare Ansage, dass der Anspruch von Manfred Weber, Kommission­spräsident zu werden, gerechtfer­tigt ist.“Das Problem liege nicht in München oder Wildenberg (Webers Heimatort), sondern in Berlin, sagte Ferber – ein Seitenhieb auf die Schwesterp­artei CDU. Dort mehren sich die Stimmen, die ein Ende der Doppelspit­ze von Kanzlerin Angela Merkel und Parteichef­in Annegret KrampKarre­nbauer fordern. Und in der SPD gerät Andrea Nahles immer stärker unter Beschuss. Am Wochenende wurde über die Ablösung der Parteichef­in als Fraktionsv­orsitzende im Bundestag spekuliert.

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 ?? Bild: dpa/AZ ?? Tiefstand: Die Parteivors­itzenden der Großen Koalition, Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU), Markus Söder (CSU) und Andrea Nahles (SPD) gestern Abend in Berlin nach Bekanntwer­den der historisch schlechten Wahlergebn­isse.
Bild: dpa/AZ Tiefstand: Die Parteivors­itzenden der Großen Koalition, Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU), Markus Söder (CSU) und Andrea Nahles (SPD) gestern Abend in Berlin nach Bekanntwer­den der historisch schlechten Wahlergebn­isse.
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