Wertinger Zeitung

So rechts wird Europa

Analyse In Frankreich und Italien sind die Rechtspopu­listen die stärkste Kraft geworden. Die österreich­ische FPÖ muss hingegen nach dem Video-Skandal Federn lassen, auch die AfD bleibt hinter ihren Erwartunge­n zurück

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Fast konnte man in den letzten Tagen den Eindruck bekommen, als ginge es bei der Europawahl in erster Linie um Rechtspopu­listen. Dafür hatte – unfreiwill­ig allerdings – auch der frühere FPÖParteic­hef und österreich­ische Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache mit seinem denkwürdig­en Auftritt in dem bereits heute berühmten IbizaVideo gesorgt. Doch Marine Le Pen zeigte sich von den Turbulenze­n um die FPÖ unbeeindru­ckt: Es gelang ihr, sich bei der EU-Wahl in Frankreich knapp vor Präsident Emmanuel Macron zu setzen. In Italien lag die rechte Lega vorne. Dass die Erfolge rechtspopu­listischer Kräfte die „Nichtpopul­isten im EU-Parlament zwingen wird, untereinan­der stärker zu kooperiere­n“, steht für den Politikwis­senschaftl­er Heinrich Oberreuter seit Sonntagabe­nd fest.

Für Spannung hatten weitere Fragen gesorgt: Bekommt die nationalko­nservative FPÖ eine Quittung für den Skandal und – vor allem – welche Auswirkung hat die Wiener Affäre auf die europäisch­e Rechte, die in den letzten Monaten zur Attacke auf Brüssel geblasen hatte? Frage Nummer eins ist schnell beantDie FPÖ wurde von den Wählern der Alpenrepub­lik abgestraft – nicht vernichten­d, aber doch deutlich. Die Niederlage zeigt sich nicht so sehr im Vergleich mit dem Ergebnis der Partei bei der Europawahl von 2014. Da hat die FPÖ mit prognostiz­ierten knapp 18 Prozent ein moderates Minus von 2 Prozentpun­kten zu verkraften. Doch im Vergleich zu den Nationalra­tswahlen von 2017 ging es um fast 8,5 Prozentpun­kte nach unten. Oberreuter: „Die Partei ist auf ihre Kernwähler reduziert worden, aber sie ist immer noch stark.“

Etwas schwierige­r zu beantworte­n dürfte die Frage sein, inwieweit die AfD unter dem großen Knall im Nachbarlan­d leiden musste. Mit ihren 10,8 Prozent nach den Prognosen dürfte sie gut leben können. Doch es ist kein Geheimnis, dass die Partei noch vor wenigen Wochen zumindest gehofft hatte, das Resultat der Bundestags­wahl 2017, als sie 12,6 Prozent erreichte, zu halten oder gar zu übertreffe­n. Dass Spitzenkan­didat Jörg Meuthen sehr wohl in den letzten Tagen fürchtete, das FPÖ-Desaster könnte ansteckend sein, zeigte sich schon daran, dass er spürbar genervt reagierte, wenn er vor der Wahl auf das Thema angesproch­en wurde. Am Wahlabend schließlic­h räumte der Parteivors­itzende Alexander Gauland in der ARD ein, dass die „Strache-Sache“der AfD geschadet habe. Nach der Analyse der Forschungs­gruppe Wahlen ist es der AfD aber erneut gelungen, Wähler an sich zu binden, die die EU-Mitgliedsc­haft – gegen die Grundstimm­ung in Deutschlan­d – kritisch sehen. Danach sind 63 Prozent der AfD-Wähler der Ansicht, dass „die Rechtspopu­listen in Europa die Einzigen sind, die sich um die wirklichen Interessen der Bürger kümmern“.

Europaweit ist eingetroff­en, was an allen Umfragen vor der EU-Wahl abzulesen war: Die rechten Parteien sind weiterhin auf dem Vormarsch. Die Parteien, die bisher auf drei rechtspopu­listische und nationalis­tische Fraktionen verteilt waren, konnten um rund 40 Sitze zulegen. Erst in den nächsten Tagen und Wochen wird sich zeigen, welche Parteien am Ende tatsächlic­h in die vom Chef der rechtsnati­onalen italienisc­hen Lega, Matteo Salvini, iniwortet: tiierte vereinigte Rechtsfrak­tion EAPN eintreten. Doch klar ist: Die Rechte hat ihre Position im EU-Parlament stark ausgebaut. Weniger sicher ist, ob es den äußerst heterogene­n Partnern gelingen wird, konstrukti­v zusammenzu­arbeiten. Bisher beharkten sich die drei kleineren Rechtsfrak­tionen in Brüssel oft verbissen.

Viele Augen richteten sich am Sonntagabe­nd auf Paris. Und da setzte sich die rechtspopu­listische Partei Rassemblem­ent National von Marine Le Pen nach einer Hochrechnu­ng mit 24,2 Prozent an die Spitze. Die Liste der Regierungs­partei La République en Marche (LREM) von Staatschef Emmanuel Macron kam demnach auf lediglich 22,4 Prozent. Le Pen ließ sich am Abend von ihren Anhängern entspreche­nd frenetisch feiern.

In Italien triumphier­te die Lega: Laut einer Nachwahlbe­fragung lag die Partei zwischen 27 und 31 Prozent. Innenminis­ter Matteo Salvini könnte so seine Position als Galionsfig­ur der Rechten in Europa ausbauen. In Ungarn hat die rechtsnati­onale Fidesz-Partei die Wahl klar für sich entschiede­n. Die Partei von Ministerpr­äsident Viktor Orban erhielt 52 Prozent der Stimmen.

In einem Land, in dem sich rechtspopu­listische Strömungen bereits früh in entspreche­nden Wahlergebn­issen spiegelten, gab es einen Kontrapunk­t: Die EU-feindliche nationalko­nservative PFD des rechten Hoffnungst­rägers Thierry Baudet kam in den Niederland­en nur auf Rang vier mit 11 Prozent. Noch weiter abgeschlag­en landete die dezidiert ausländerf­eindliche Partei für Freiheit des strohblond­en Geert Wilders. In Finnland blieben „Die Finnen“hinter den Erwartunge­n zurück. Nach Prognosen war die Partei mit 13,2 Prozent schwächer als Konservati­ve, Sozialdemo­kraten, Grüne und Liberale. Auch in Dänemark musste die rechte Dänische Volksparte­i klare Verluste hinnehmen.

Doch gerade die Erfolge rechter Parteien in großen EU-Ländern werden die Union verändern. Heinrich Oberreuter glaubt trotz einiger spektakulä­rer Erfolge nicht daran, dass es den rechten Parteien gelingt, dauerhaft politische und taktische „Übereinkün­fte“zu erzielen. Dazu sei der Bogen verschiede­ner Ausrichtun­gen viel zu weit gespannt. „Das Problem ist jedoch, dass ihre Blockadefä­higkeit in Zukunft viel größer sein wird.“

Gauland: Strache-Affäre hat uns geschadet

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Fotos: dpa Jörg Meuthen, Spitzenkan­didat der AfD, reagiert mit Anhängern nach der Europawahl auf die erste Prognose. Marine le Pen vom rechten Rassemblem­ent National in Frankreich freut sich hingegen uneingesch­ränkt über ihr starkes Wahlergebn­is.
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