Wertinger Zeitung

„Ich sage: Kopf hoch, SPD“

Koalition Andrea Nahles kämpft um ihre Partei – und um ihr Amt als Vorsitzend­e. Annegret Kramp-Karrenbaue­r und die Union trifft es an diesem Wahltag nicht ganz so hart. Eine stabile Koalition aber sieht anders aus

- VON STEFAN LANGE UND CHRISTIAN GRIMM

Berlin Stille. Einfach nur Stille. Nach Bekanntgab­e der ersten Prognosen regt sich im Willy-BrandtHaus nicht einmal Enttäuschu­ng oder Zorn. Kein Fluch ist zu hören. Die Sozialdemo­kratische Partei Deutschlan­ds hat ein weiteres Wahlfiasko erlebt und ist bei der Europawahl erstmals bei einer bundesweit­en Abstimmung hinter die Grünen auf den dritten Platz zurückgefa­llen. Im linken Lager ist die SPD nach 150 Jahren nur noch die Nummer zwei. Selbst in ihrer Hochburg hat es nicht mehr gereicht. Der CDU ist das geglückt, was ihr noch nie geglückt war: Sie ist den Hochrechnu­ngen zufolge in der Hansestadt an der SPD vorbeigezo­gen.

Sofort steht Parteichef­in Andrea Nahles wieder im Feuer. Beim obligatori­schen Auftritt vor den Anhängern der Partei gelingt es ihr immerhin, anders als bei früheren Niederlage­n, die Fassung zu bewahren. „Ich sage Kopf hoch, SPD.“Und an die Grünen gerichtet: „Wir nehmen die Herausford­erung an.“Die Herausford­erung für die 48-Jährige liegt aber zunächst einmal im eigenen Lager. Sie wird von ihrem Vorgänger Martin Schulz attackiert, der 2017 die Bundestags­wahl vor die Wand gefahren hatte. Schulz will ihr den Fraktionsv­orsitz abjagen, wie mehrere Abgeordnet­e bestätigen. Er hat nichts zu verlieren. Entweder ihm gelingt die Rache gegen Nahles, die ihn nach der vergeigten Wahl kalt abserviert­e, oder er geht nach dieser Legislatur­periode in den Ruhestand. Bisher allerdings hat er keine Mehrheit in der Fraktion hinter sich. Unterstütz­ung bekommt der frühere Präsident des EU-Parlaments immerhin von Sigmar Gabriel, der personelle Konsequenz­en nach den neuerliche­n Tiefschläg­en fordert und dabei voll auf Nahles zielt. Gabriel und Schulz haben sich nach der Bundestags­wahl zwar verkracht. Nun aber eint die beiden ehemaligen Parteivors­itzenden der Ärger über die amtierende Vorsitzend­e. Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Ohne Frage hat Nahles Fehler gemacht. Die Neuausrich­tung der Partei soll erst Ende des Jahres abgeschlos­sen sein – zwei Jahre nach dem Desaster bei der Bundestags­wahl. Die soziale Frage mobilisier­t so wenig wie bei der Bundestags­wahl – was nach zehn Jahren Aufschwung nicht überrascht. Im Wahlkampf blieb noch dazu Spitzenkan­didatin Katarina Barley blass. Bei der Kommunikat­ion mit den jungen Wählern über die neuen Online-Medien agieren die Sozialdemo­kraten außerdem ähnlich unbeholfen wie die CDU. Generalsek­retär Lars Klingbeil hat sich als Netzpoliti­ker einen Namen gemacht, bringt aber sein Können bislang nicht zur Geltung. Dazu kommen die anhaltend schlechten Beder Parteivors­itzenden. Mehrfach hat Andrea Nahles versucht, sich zu ändern und zu mäßigen. Gelungen ist es ihr nicht.

Für Annegret Kramp-Karrenbaue­r, ihre Kollegin von der CDU, ist es der erste Wahlabend als Parteivors­itzende. Früh schon ist klar, dass die Union erstmals bei einer bundesweit­en Wahl unter 30 Prozent stürzt, obwohl sie mit dem CSU-Politiker Manfred Weber doch einen aussichtsr­eichen Kandidaten für das Amt des Kommission­spräsident­en ins Rennen geschickt hat. Das könnte jetzt die Diskussion darüber anheizen, wie sinnvoll das duale System der CDU mit Angela Merkel an der Regierungs­spitze und Kramp-Karrenbaue­r an der Parteispit­ze eigentlich noch ist.

Das Ergebnis bei der Wahl entspreche nicht dem Anspruch der Union als Volksparte­i, räumt „AKK“denn auch ein. Die Union habe aber ihr Wahlziel erreicht, stärkste Kraft zu werden. Im Konrad-Adenauer-Haus lichten sich nach den ersten Ergebnisse­n trotzdem schnell die Reihen. Die Stimmung ist nicht euphorisch, aber auch nicht unzufriede­n. Verstärkt wird das durch das gute Abschneide­n in Bremen. Annegret KrampKarre­nbauer kann sich auf die Fahnen schreiben, die erste CDU-Chefin zu sein, unter deren Regie die Partei in der Hansestadt die Dominanz der SPD gebrochen hat.

Zu viel Freude will bei den Schwarzen allerdings nicht aufkommen, denn das Ergebnis der Roten wirft mehr Fragen auf, als manchem Funktionär der Union lieb ist. „Wir haben kein Interesse an einem Koalitions­partner, der sich selber demontiert“, sagt ein CDU-Präside, der sich um die Zukunft der Koalition sorgt. In der Tat hatten viele Spitzenpol­itiker der Union schon vor diesem Sonntag vor einem Fiasko für die SPD gewarnt. Denn bei den C-Parteien hat sich die Lage nach der Aufregung, die im Schatten des CDU-Parteitags aufkam, wieder beruhigt. Friedrich Merz stürzt Annegret Kramp-Karrenbaue­r? Löst Annegret Kramp-Karrenbaue­r vorzeitig Bundeskanz­lerin Angela Merkel ab? Von solchen Szenarien wolle man bei CDU und CSU im Moment nichts wissen. Die Zielrichtu­ng ist (zumindest derzeit), mit Angela Merkel im Kanzleramt und der SPD als Partner bis zum Ende der Wahlperiod­e durchzureg­ieren.

Das schlechte Abschneide­n der Sozialdemo­kraten an diesem Sonntag könnte diese Pläne allerdings durchkreuz­en. Generalsek­retär Klingbeil spricht von einem „enttäusche­nden Ergebnis“Für die Sozialdemo­kraten sind die Zahlen ein Desaster. Bis zuletzt hatten sie gehofft, zumindest in ihrem Stammliebt­heitswerte land Bremen die Stellung zu halten. Klingbeil warnt zwar vor „Schnellsch­üssen“bei der Analyse der Wahlergebn­isse. Der drohende Machtverlu­st in der Hansestadt wird aber der ohnehin schon angeschlag­enen Vorsitzend­en Nahles angelastet werden. Da spielt es schon fast keine Rolle mehr, dass die Partei bei der Europawahl noch viel schlechter abgeschnit­ten hat.

Die SPD hat noch ein paar Tage Zeit, um den Pfad in ihre politische Zukunft zu festigen. Ein Treffen der Regierungs­parteien an diesem Montag im Kanzleramt soll einer ersten Bestandsau­fnahme dienen. Die CDU kommt am nächsten Sonntag zu einer Vorstandsk­lausur zusammen. Auch hier wird man übers Personal sprechen und die Planung für die zweite Regierungs­hälfte festzurren. So lange hätte die SPD mindestens Zeit, sich zu sortieren. Das gilt aber nur, wenn sie die Nerven behält und nicht unter dem Druck des Wahldebake­ls zerbricht.

CSU-Chef Markus Söder jedenfalls lässt es sich nicht nehmen, noch am Sonntagabe­nd seinen Finger in eine offene Wunde der SPD zu legen. Alte Maßstäbe, sagt er, dürften jetzt nicht mehr gelten. „Die große Herausford­erung der Zukunft ist die intensive Auseinande­rsetzung mit den Grünen.“Wer will, kann daraus auch eine Drohung an die SPD heraushöre­n: Wenn ihr euch nicht bewegt, machen wir eben mit den Grünen weiter.

Am Wochenende geht die Union in Klausur

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Wird bei der SPD nun die Vorsitzend­e Andrea Nahles oder die Große Koalition infrage gestellt? Die Grünen hatten gestern hingegen Grund zu feiern und zum ersten Mal bundesweit die Sozialdemo­kraten überholt.

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