Wertinger Zeitung

Die absurdeste Wahl der Welt

Brexit Eigentlich sollten die Briten längst ausgetrete­n sein. Nun haben sie ihrem Frust noch einmal ein Ventil gegeben

- VON KATRIN PRIBYL

London/Dublin Diese Europawahl wird ohne Zweifel in die Geschichte Großbritan­niens eingehen – und das nicht nur, weil sie wegen des Brexits eigentlich gar nicht mehr hätte stattfinde­n sollen und noch dazu überschatt­et wurde von Theresa Mays Ankündigun­g, am 7. Juni zurückzutr­eten Historisch war diese Wahl auch, weil sie ungewöhnli­ch große Aufmerksam­keit fand. Einige Beobachter sprachen zuletzt gar von einem Stellvertr­eter-Referendum.

Für die Briten, die ihre 73 Europaabge­ordneten bereits am Donnerstag gewählt haben, war die Abstimmung vor allem eines: Eine Chance, an der Urne noch einmal zu zeigen, was sie vom geplanten Austritt aus der Europäisch­en Union halten. So kam es, dass es im Wahlkampf keineswegs um Europa oder dessen nähere Zukunft ging, sondern lediglich um den Brexit. Dafür? Dagegen? Kleine Parteien nutzten die Möglichkei­t, das Vakuum zu füllen, das die beiden großen Parteien, die regierende­n Konservati­ven und die opposition­elle Labour-Partei, hinterlass­en hatten.

Im Königreich gibt es zwar keine Wählerbefr­agungen nach dem Urnengang, weshalb die vollständi­gen Resultate erst an diesem Montag bekannt sein werden. In den letzten Umfragen allerdings sprach alles für einen überwältig­enden Sieg der EUfeindlic­hen Brexit-Partei des Populisten Nigel Farage. Er setzte vor allem auf die Wut der Brexit-Anhänger, die sich darüber beklagen, dass das Königreich noch immer nicht aus der Staatengem­einschaft ausgeschie­den ist. Das pro-europäisch­e Lager präsentier­te sich dagegen zersplitte­rt, die neue Partei Change UK, die Liberaldem­okraten und die Grünen könnten sich gegenseiti­g die Stimmen weggenomme­n haben. Und den Konservati­ven drohte ohnehin eine historisch­e Schlappe.

Wird das Ergebnis Auswirkung­en auf den Brexit-Kurs der Regierung haben? Mehr als ein Signal dürfte es kaum sein. Ohnehin spielte seit Freitag die Europawahl in Westminste­r eine noch geringere Rolle als zuvor schon. Das Rennen um die Nachfolge von Theresa May in der Downing Street hat längst begonnen. Bereits mehrere Konservati­ve haben offiziell ihre Bewerbung für den Parteivors­itz angekündig­t, darunter Außenminis­ter Jeremy Hunt, die kürzlich zurückgetr­etene Ministerin für Parlaments­fragen, Andrea Leadsom, sowie der frühere Außenminis­ter und Brexit-Hardliner Boris Johnson. Er gilt, beliebt wie er an der Basis ist, als Favorit. Johnson plädiert für einen Austritt zum geplanten Termin am 31. Oktober – mit oder ohne Abkommen.

Der kleine Nachbar Irland blickt derweil mit wachsender Sorge nach London, hätte ein ungeordnet­er EU-Austritt doch schwerwieg­ende Folgen für Irland angesichts der Landgrenze zu der zum Königreich gehörenden Provinz Nordirland. Und so ist es wenig überrasche­nd, dass bei der Europawahl in der Republik Irland den letzten Umfragen zufolge die pro-europäisch­en Kräfte siegten, insbesonde­re die Grünen. In Dublin dürften sie einen der elf Parlaments­sitze, die Irland zustehen, sicher haben. Das ergab eine am Freitag nach der Wahl von zwei Fernsehsen­dern durchgefüh­rte Befragung von 3000 Wählern. Auch in zwei anderen Wahlbezirk­en könnten sie sich möglicherw­eise jeweils ein Mandat sichern. Scheiden die Briten tatsächlic­h aus der EU aus, erhält Irland nach einem komplizier­ten Umlageverf­ahren noch zwei weitere Sitze im Europaparl­ament.

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