Wertinger Zeitung

Deutsch essen bei Deutscher Bahn

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Im digitalen Zeitalter scheint die Zahl der Provokateu­re zu steigen. Vielleicht fallen sie auch nur intensiver auf, verbreitet sich doch ein Widerstand erzeugende­r Affront schnell im Netz. Wer dann einen rechten „Shit“behauptet, wird mit dem passenden „Storm“bestraft.

Manch Hartgesott­ener empfindet das nicht als Strafe: Er giert nach dem „Shitstorm“, um sein provokativ­stes Inneres zu streicheln. Der Grünen-Politiker Boris Palmer ist ein derartiger Typ. Das liegt bei ihm wohl in der Familie. Sein Vater Helmut war auch ein StachelMen­sch. Er wurde Remstal-Rebell genannt. Doch mit dem Widerborst­igen in digitalen Gefilden ist das so eine Sache. Recherche und Reflexion schaden nicht vorm Akt der Unbotmäßig­keit. Das bekam Boris Palmer zu spüren, als er sich facebooken­d über die Multikulti­Werbetrupp­e der Bahn empörte. In der Kampagne taucht auch der exzellente und dunkelhäut­ige Koch Nelson Müller auf. Der in Stuttgart aufgewachs­ene Sympath beißt in ein Focaccia. Ansonsten isst der Gast bei der Deutschen Bahn meist deutsch. Auch die zentrale Werbebotsc­haft „Genuss auf ganzer Strecke“kommt ohne Gastro-Anglizisme­n aus. Palmer müsste seine Freude an der germanisch­en und von Müller unterstütz­enden Nahrungsmi­ttel-Auswahl haben: Da kann man sich Königsberg­er Klopse, Currywurst, Kartoffele­intopf mit Geflügelwi­enern und Rindergula­sch schmecken lassen.

Bei näherer Recherche drängt sich der Verdacht auf, Palmer boxt mit der Bahn gegen den falschen Provokatio­nspartner, zumal für jedes Gemüsecurr­y zehn Cent an das Bergwaldpr­ojekt e. V. gehen und die Bahn zu 100 Prozent mit Ökostrom fährt. All das müsste den ideologisc­hen Kern eines Grünen streicheln und beruhigend auf seinen gelegentli­chen Jähzorn einwirken. Ja, es gibt sogar noch Nudelsalat und Lisa’s Bio-Kesselchip­s.

Palmer ließ das alles links liegen und giftete gegen die Deutsche Bahn los. Dabei steht ein Provokateu­r besser da, wenn er erst denkt und dann wütet. Den Beweis dafür erbringt gerade der blautollig­e Polit-Neuling und clevere Pfarrersso­hn Rezo, der seine Youtube-Attacke auf die CDU in langer Recherchea­rbeit vorbereite­t hat. Und was für ein Shit: Da tut sich die Gegenseite dann hart mit einem Storm.

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